Während The Twang gerade an ihrem dritten Album arbeiten, lieferte die Gruppe “Texas Lightning” kürzlich den aktuellsten Beweis für die Massentauglichkeit der frischen Klänge. Die Hamburger Combo, die seit sechs Jahren alle möglichen Stil-Versatzstücke ins Country-Format konvertiert, schaffte es bis zur Athener Gand-Prix-d´Eurovision Endausscheidung. Dass sie für ihr - allerdings selbst komponiertes - "No No Never" viel zu wenig Punkte bekam, steht auf einem anderen Blatt und spricht wohl eher gegen die internationale Jury.
Talentscouts und Plattenbosse behaupten ja immer, dass sie das eigentliche Potenzial eines guten Songs schon an der einfachen, nur an Klavier oder Gitarre gespielten Melodie erkennen können. Nicht aus Zufall können deshalb Rock- und Pop-Größen wie Eric Clapton & Co. immer wieder erfolgreich im Country-Fach wildern. Wenn es somit gar nicht die Verpackung ist, die über die Güte einer Nummer entscheidet, muss die Methode ja zwangsläufig in alle Richtungen funktionieren. Dachte sich auch das Berliner Kreativ-Duo Alec Völkel (Gesang) und Sascha Vollmer (Gesang, Gitarre) und verwandelte den Sisters-of-Mercy”-Pop-Hit “This Corrosion” in eine schräge Bluegrass-Nummer. Die vermeintliche Schnapsidee klang so überzeugend, dass man sich weiter in die fremden Jagdgründe von Diana Ross, Donna Summer oder Britney Spears vor wagte. Inzwischen musste die Formation auf sieben Mitglieder erweitert werden und spielt als The BossHoss vor ausverkauften Hallen. Mehr noch: Die auf dem Gold-prämierten Debüt-Album “Internashville Urban Hymns” befindliche Country-Coverversion des Kultsongs “Like Ice in the Sunshine” brachte der Band einen Langnese-Werbevertrag ein. Und nachdem der CD-Einstand auch in einer DVD-Variante herausgebracht wurde, sind BossHoss nun mit dem taufrischen Album “Rodeo Radio”, der Single “I Say a Little Prayer” (der Burt-Bacharach-Nummer) und einer countryfizierten Version der Fußball-Hymne “You never walk alone” am Ball.
Zwar sind stlistische Crossover nichts ungewöhnliches und sollen schon bei (Alt-)Stars von Elvis bis Cash, von Sinatra bis Sting und jeder Menge mehr beobachtet worden sein. Das Besondere am neuen Boom ist, dass er sich bevorzugt bei aktuellem Hitparaden-Stoff und scheinbar unvereinbarem wie Rap, New Wave, Britpop oder Heavy Metal bedient. Mit Fiedel, Banjo und Waschbrett wird bei BossHoss selbst HipHop wie Nellys “Hot in Herre” oder Eminems “Without me” saloonfähig. Und wer hätte ausgerechnet einen Disco- und Schwulengassenhauer wie Y.M.C.A. für country-kompatibel gehalten, bevor ihn The Twang auch für Cowboys genießbar machten?Dass die Bands dabei ziemlich dick mit schrillen Outfits und Western-Klischees auftragen, zeigt, dass sie mit viel Selbstironie und Humor bei der Sache sind. So beispielsweise auch Handsome Hank & the Lonesome Boys, die sich - wie einst Deutschpopper Sascha alias “Dick Brave” - eine ziemlich schräge Biografie zulegten. Demnach sei Hank ein mittlerweile 86-jähriger, legendärer Banjospieler aus Knoxville/Tennessee, der sich nach wilder Jugend zum Musikprediger läuterte und das Volk durch Country-Versionen gängiger Hitparaden-Nummern für seine frommen Botschaften begeistert. Nun ja: In Wirklichkeit verbirgt sich hinter der fantastischen Story der Basler Multiinstrumentalist Sämi Schneider, der ziemlich tief in den Jungbrunnen gefallen sein muss, sollte ihn das Bild auf dem bislang einzigen “Hank”-Longplayer “Greatest Hits” aus dem Jahre 2003 tatsächlich als damals 83-jährigen zeigen. Um also bei der Wahrheit zu bleiben: Ein weiteres Album der vier Schweizer Ulknudeln, wegen seiner Weihnachtslieder “Das Weisse” gennannt, ist nie offiziell erschienen und wurde nur bei Konzerten verkauft. Auch die ursprünglich für diese Tage angekündigte Tour wurde zum Jahresende hin verschoben, denn dann sei auch das nächste Album “Live in Murmansk” endlich fertig - sofern unser Hank noch rüstig ist…
Ersatzweise könnten auch Bands wie die Hayseed Dixie mühelos in die Bresche springen. Die vier US-Boys beliefern die Country-Szene direkt von Nashville aus mit Hard & Heavy-Covers aus dem Fundus von AC/DC, Black Sabbath, Kiss & Co. Das bisherige Ergebnis sind die Alben “A hot Piece of Grass”, “Let there be Rockgrass”, “A Hillbilly Tribute to AC/DC” sowie die DVD “No sleep till Liverpool”, die nach Meinung des Plattenlabels allesamt klingen wie “Viva Las Vegas auf Kerosin.” Doch egal, Hauptsache Country.