Aus Überzeugung Country: Gene Watson

Gene Watson

Palestine; Texas rund 20.000 Einwohner leben in der verschlafenen Kleinstadt, die mich als Besucher nicht gerade zum Verweilen einlädt. Immerhin wurde hier am Montag, dem 11. Oktober 1943 ein gewisser Gary Gene Watson als eines von 7 Kindern geboren. Sternzeichen Waage wie ich geht es mir durch den Kopf als ich vergeblich versuche, mir bleibende Eindrücke zu verschaffen. Eine Kommune wie so viele in den USA. Aber eine "country-trächtige Gegend, denn sie lieferte dieser Musik Künstler wie Lefty Frizzell, Jim Reeves, Bob Luman, George Jones, Tracy Byrd, Hank Thompson, Willie Nelson usw. usw.

Palestine, etwa auf halbem Weg zwischen Dallas (dort gab es das legendäre "Big D Jamboree") und Shreveport (Heimat des ebenso legendären Louisiana Hayride) gelegen - was sollte da anderes aus Gene Watson werden als ein Countrysänger. Einer, der mit einer unverkennbaren Stimme ausgestattet wurde, der stets in der Tradition der Country Music blieb und sich nie irgendwelchen Modetrends anbiederte. Wenn es um seine Musik ging, dann blieb er kompromisslos, auch wenn das einen gewissen Abstieg für ihn bedeutete.

Gene Watson ist kein Twen mehr, seine Gesichtszüge spiegeln Erfahrung wieder, dort haben sich die Spuren all der Jahre eingegraben, die er mit und für die Musik unterwegs ist. In der Country Music sind dies fast schon Auszeichnungen, für die man sich freilich in Zeiten des Jugend-Wahnsinns, der Äußerlichkeiten und der Massen-Produktion nicht viel kaufen kann.

Gene Watson
Immerhin weiß Watson noch genügend Fans hinter sich, die etwas übrig haben für ein angeborenes Feeling, wie man einen Country Song überzeugend, stilecht, glaubwürdig rüberbringt. Das zeichnet ihn aus, es macht ihn einzigartig, "one of a kind" wie der Amerikaner so treffend sagt. Wenn er seine Stimme erhebt, weiß man sofort, das kann nur Gene Watson sein!

Der Ausstrahlung dieser Stimme kann ich mich nicht entziehen, seit ich sie 1975 erstmals hörte. Eine Bekannte aus dem Lonestar State schickte mir eine Single auf einem winzigen texanischen Label. Der Titel: "Love In A Hot Afternoon", der Sänger: Gene Watson. Wenig später gelang ihm auf Capitol Records einen Riesenhit damit. Bis dahin hatte er bereits reichlich Erfahrung sammeln können. ..

Die Familie, in die Watson geboren wurde, ernährte sich von Farmarbeit - nicht auf der eigenen Farm sondern als Erntehelfer. Man war zwangsweise viel unterwegs. Als der Vater Autoersatzteile verkaufte, siedelte man sich in Paris, Texas an (der Ort wurde später durch den gleichnamigen Film weltbekannt). Gene Watson verließ im 9. Schuljahr die Schule und begann, bei seinem Vater zu arbeiten. Autos wurden so etwas wie seine Leidenschaft, er kannte sie bald in- und auswendig. Ständig gegenwärtig in der Watson Family war die Musik, sie gehörte einfach zum Alltag wie Essen und Trinken. Zwar musizierte man gemeinsam, trat auch öffentlich bei diversen Anlässen auf (deren gab es reichlich in der Gegend von Fort Worth/Dallas), dennoch kam es Watson nie in den Sinn, dass die Musik jemals mehr sein könnte als eine schöne Abwechslung vom Alltag. Seine Lebensplanung - sofern er überhaupt eine hatte - unterschied sich in Nichts von dem des Durchschnittsbürgers. Mi 17 heiratete er Mattie Louise Blivins, ein Jahr später wurde Sohn Gary Lynn geboren, weitere 2 Jahre danach gesellte sich Terri Lynn hinzu.

Eine Kehrtwendung bekam sein Leben 1966 als ihm ein Onkel seinen ersten Job als Sänger in einem Club namens The Palms in Dallas verschaffte.. Erst als er seine Band "Gene Watson & the Other Four" (bestand aus seinem Bruder Eddie und 3 Cousins) gründete und nach Houston ging, wurde die Musik zum Beruf. Es entstanden erste Aufnahmen für das winzige Label Tonka Records. Aber es lief nicht. Die Band fiel auseinander, Watson arbeitete wieder in einer Autowerkstatt, um die Familie zu ernähren und trat in Clubs von Houston auf. Dabei zog er die Aufmerksamkeit zweier Geschäftsleute aus Houston auf sich, die u.a. das Label Wide World Records betrieben.. Dort erschien 1969 Gene Watson´s erste Solo-Single, produziert von Jack Clement: "I´ll Run Right Back To You" / "Autumn In June". Weitere Singles folgten und dann das Album "Gene Watson". Schon bei diesen ersten Aufnahmen bewies der Künstler ein untrügliches Gespür dafür, die richtigen Songs auszusuchen. Von Anbeginn an wird seine besondere Fähigkeit für Balladen offenkundig.

Diese ersten Platten sorgten dafür, dass Gene Watson in Texas bekannt wurde. In Russ Reeder fand er einen Manager, der sich voll für ihn einsetzte und sogar das Label Resco speziell für ihn startete. 1974 schließlich unterschriebe Gene Watson bei Capitol Records. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits "Love In A Hot Afternoon" auf Resco veröffentlicht. Etliche andere wie Waylon Jennings und Jim Ed Brown hatten den Song auch schon aufgenommen. Die meisten von ihnen änderten den Text allerdings, denn für jene Zeit schien der Titel zu frivol, um im Radio gespielt zu werden. Capitol schickte die Single erneut ins Rennen, sie kletterte noch bis auf Platz 3. Auch das Debüt Album für Capitol trug diesen Single-Titel.

Die Country Music hatte einen neuen Star!

Gene Watson
Der aber blieb vorsichtig, der Beruf im Show Business enthielt keine Sicherheit. Also legte er sein Leben so an, dass er jederzeit zurück in seinen alten Beruf gehen konnte. Auch wenn er nun ein gefragter Künstler war konnte man sich nicht darauf verlassen, dass man dies bis zur Rente bleiben würde.

Das Problem, einen geeigneten Nachfolger für seinen Hit zu finden, löste Watson auf seine Art. Er wurde fündig bei Ray Griff und dessen "Where Love Begins", mit dem er wieder die Top 5 erreichte. Jetzt konnte er seine Autoreparaturwerkstatt erst einmal einmotten....

Gene Watson entwickelte sich zum Dauergast in den Charts, doch trotz solch starker Aufnahmen wie "Paper Rosie", "I Don´t Need A Thing At All", "Pick The Wildwood Flower", "Should I Come Home", "Nothing Sure Looked Good On You", "Raisin' Cane In Texas" und dem sehr emotionalen "Farewell Party" (hier geht es um eine Beerdigung) wollte ihm keine Nummer Eins gelingen.

Mit Beginn der 80er Jahre wuchs Watson´s Unzufriedenheit mit Capitol Records. Er wurde das Gefühl nicht los, dass man für ihn nur das Nötigste tat, denn seine Platten verkauften sich gleichbleibend gut. Damit konnte der ehrgeizige Texaner nicht zufrieden sein...ein Firmenwechsel war die logische Konsequenz. Bevor Watson bei MCA Nashville unterschrieb, machte er noch rasch die Single "Any Way You Want Me" für den Soundtrack desClint EastwoodFilms "Der Mann aus San Fernando".

Als es dann bei MCA 1981 weiter ging, brauchte Gene Watson nur eine kurze Anlaufzeit. Mit "Between This Time & The Next Time" und dem wehmütig gefühlvollen "Maybe I Should Have Been Listening" zeigte er den Fans wie es weiter gehen würde. Und dann schlug seine Stunde: "Fourteen Carat Mind" brachte ihm endlich die lang ersehnte Spitzenposition - es würde freilich bei Billboard auch seine einzige bleiben. Songschreiber-As Dallas Frazier und Larry Lee waren die Autoren, Watson hatte das Demo auf einem herkömmlichen Band erhalten, war zunächst schon deshalb neugierig und dann sofort überzeugt, einen Hit gefunden zu haben.. Im Januar 1982 wurde er bestätigt als er Platz 1 der Charts erreichte.

Etwa ab dieser Zeit veränderten Gene Watson & the Farewell Party Band auch ihr Äußeres. Die Cover seiner Alben machen das deutlich, Watson wurde zum Bartträger und ließ das Haar viel länger wachsen. Beruflich erlebte er bis 1984 seine erfolgreichste Zeit, jede seiner Singles landete in den Top Ten. Erstaunlicherweise und sehr zu meinem bedauern sucht man meinen Lieblingssong von Gene Watson vergeblich in den Charts: "Old Loves Never Die". Nicht nur ich halten dieses von Dave Kirby und Warner Robb geschriebene Lied für einen kompletten Song.

Als Mitte der 80er Jahre die Verkaufszahlen für Watson sanken, wechselte er erneut das Label und ging zu Epic Records Nashville. Eine wohl richtige Entscheidung, denn 1985 tauchte er mit dem leicht western swingenden Titelsong seines ersten Albums für das neue Label: "Memories To Burn" in den Top 5 auf. 1986 machte Watson in Europa nachhaltig auf sich aufmerksam, er gehörte zu den Stars des legendären Wembley Festivals mit seinen diversen Festivalorten, darunter auch Frankfurt/Main und Zürich.

Die Country Music befand sich im Umbruch, nahezu alle größeren Firmen setzen immer stärker auf die Jugend. Junge, gut aussehende Sängerinnen und Sänger übernahmen zunehmend das Kommando. Sehr zum Leidwesen so reinrassiger Country Sänger wie Gene Watson, denn Leute wie er liefen nur noch am Rande mit. Völlig frustriert von dieser Entwicklung zog Watson einen Rücktritt aus dem Country Geschehen ernsthaft in Erwägung. Dass er es dann doch nicht tat, ist das Verdienst von Randy Travis und seiner Managerin Lib Hatcher. Travis bewies mit seinen Erfolgen als Newcomer, dass man weiter traditionelle Country Music erfolgreich singen konnte, Hatcher (spätere Ehefrau von Travis) übernahm Watson's Management und besorgte den Deal mit Warner Brothers Nashville. Was bis dato kaum Jemand wusste: Watson und Hatcher nahmen seinerzeit 4 Duette auf, die bis heute nirgendwo veröffentlicht worden sind.

Auch der Einstieg bei Warner darf als gelungen bezeichnet werden, denn die Single "Don't Waste It On The Blues" wurde erst auf Position 5 gestoppt. Und das Album "Back In the Fire" enthält mit "Somewhere Over You" den einzigen Song, den er je aufgenommen hat, an dem er als Co-Autor (mit Jim Rushing und Dave Lindsey) mitgewirkt hat. Zwar blieben dann die richtigen Hits bei Warner aus aber Watson fühlte sich wieder wohl, denn er konnte die Musik machen, die ihm am Herzen liegt, auf die er sich versteht und er wusste reichlich Fans hinter sich. Dennoch konnte er sich nicht dem allgemeinen Trend entziehen. Die Country Music Industrie sortierte die verdienstvollen Künstler der Generation des Gene Watson gnadenlos aus. 1991 gab Warner Brothers ihm den Laufpass, seine Karriere bei einem großen Label war beendet. Zur Freude kleiner, unabhängiger Labels, denen immer wieder kommerzielle Erfolge gelingen. Ein Trend, der sich bis in die Gegenwart hinein verstärkt hat.

Beim kanadischen Label Broadland veröffentlichte Watson das Album "In Other Words" und trug sich dann erneut mit Rücktrittsgedanken. Das verhinderte Step One Records in Nashville, wo Watson einige Jahre lang eine musikalische Heimat fand. Und mit Label-Eigner Ray Pennington, selbst erfolgreicher Produzent, Musiker, Songschreiber und Sänger, einen Mann, der seine Sprache sprach. Gene Watson konnte wieder "seine" Musik machen und schaffte auch bei diesem Indie-Label wieder einige bemerkenswerte Platzierungen in den Charts.

Gene Watson hatte inzwischen ein Alter erreicht, in dem er nicht mehr mit der Jugend konkurrieren wollte und auch nicht mehr musste. Statt sich im gnadenlosen Kampf um Medien-Präsens völlig aufzureiben, wandte er sich nun Projekten zu, die sich viele Künstler in seiner Situation leisten können. Allerdings absolvierte er immer noch ein beachtlich umfangreiches, zermürbendes Live Programm. Bis ihn die Gesundheit aus der Bahn warf.

Ende 2000 musste er sich einer Darmkrebsoperation unterziehen, die anschließende Therapie zehrte deutlich an seinen Kräften. Allerdings war Watson ein gutes halbes Jahr später soweit wieder hergestellt, dass er mit seiner Farewell Party Band erneut auf ausgedehnte Tourneen ging., bis der Arzt ihn zurück pfiff. Ein neues Album erschien bei RMG Records: "From The Heart", 2003 brachte Intersound die CD "Gene Watson ... Sings" heraus, zwei Jahre später schickt Koch International "Gene Watson ... Then & Now" ins Rennen.

Der Sänger aus Palestine war endgültig in ruhigeres Fahrwasser gesteuert. Aber er ist immer noch da. Gene Watson hat all die teils drastischen Veränderungen in der Country Music der letzten 40 Jahre überstanden, er hat viele auch erfolgreichere Künstler kommen und gehen sehen aber dank seiner einzigartigen Stimme, die keinen Deut nachgelassen hat, ist er immer noch gefragt. Auch weil er gänzlich unbeirrt seine Musik gemacht hat und nie der Verlockung erlegen ist, sich künstlerisch einem möglich gewesenen größeren kommerziellen Erfolg zu opfern.

Drei Zitate Watsons sollen das Bild dieses Künstlers abrunden: "Leute wie George Jones und ich, wir sind aus Überzeugung reine Countrysänger. Ich werde auch nichts anderes machen. Lass die Anderen ihre Versuche mit Neuem machen, ich möchte weiter meine Fans zufrieden stellen. Und die wollen "Country", sagte er mir 1986. Er bekräftigte das 1993 so: "Ich gehe nicht mit anderen Trends. Ich will nichts sein als ein Countrysänger, der einen guten Song singt." Ihn als Star zu bezeichnen mag Gene Watson gar nicht: "Es gibt für mich keinen Star. Ich bin ein Mensch wie alle anderen auch, der mit anderen Menschen gut auskommt. Ich bin weder schlimmer noch besser als sie."

Dass er sich an seine eigenen Worte hält, beweist sein neues Album "Ina Perfect World". Er nimmt uns mit auf eine musikalische Reise durch die keineswegs perfekte Welt der Gefühle, Stimmungen,, Beziehungen, des Alltags...Perfekt ist die Art und Weise, in der produziert wurde und in der Gene Watson seine Songs vorträgt. Angesichts dessen, was uns da sonst so aus den Charts angeboten wird ist das wie ein Glas sprudelndes, kristallklares, kühles Wasser nach einer anstrengenden Radtour. Auf einen wie Gene Watson kann und darf die Country Music nicht freiwillig verzichten.
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