Bei "Johnny Cash: The Redemption of an American Icon" können sich Fans auf wenig neue Hintergründe freuen. Als Knackpunkt der Handlung stellt sich eine Situation im Herbst 1967 dar. Johnny Cash war zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt seines kommerziellen Erfolgs und gleichermaßen in den tiefsten Tiefen seiner Amphetamin-Sucht. Die Folgen seines Lebensstils in Verbindung mit der Sucht verursachten einschneidende Depressionen bei Johnny Cash und er zog sich zur genannten Zeit in die Nickajack-Höhle in Marion County, Tennessee, zurück. Nach eigenen Angaben, Cash erzählte diese Geschichte Jahre später öffentlich, wollte er in dieser Höhle sterben, hatte dann jedoch eine spirituelle Erleuchtung. In seiner Biografie schrieb Cash 1997: "Ich werde nach Gottes Zeitplan sterben, nicht nach meinem."
Wendepunkt
Für die Macher hinter "Johnny Cash: The Redemption of an American Icon" ist dieser Moment, diese göttliche Intervention ein Wendepunkt in der Geschichte von Johnny Cash. Mehr noch, es soll die wichtigste Erkenntnis in seinem Leben sein. Doch hapert es regelrecht an vielen Stellen der Darstellung, die Geschichte um Cashs religiösen Moment ist seit längerem Umstritten. Robert Hillburn schrieb 2013 in seiner Cash-Biografie, "Johnny Cash: The Life, the Cave", davon, dass Nachforschungen zufolge im Jahr 1967 die Höhle im Herbst komplett unter Wasser gestanden haben soll. Hiermit soll in keiner Weise in Frage gestellt werden, ob Cash ein tiefreligiöser Mensch gewesen ist, im Gegenteil, Cash teilte seinen Glauben öffentlich und bei vielen Gelegenheiten. Er ging auf die Bühne mit Billy Graham, einem Baptistenpastor und Erweckungsprediger des Evangelikalismus, er veröffentlichte religiöse Gospel-Alben, dem ist so nicht zu widersprechen.
Doch diese Nuancen und Eigenheiten des Glaubens Cashs möchte "Johnny Cash: The Redemption of an American Icon" gar nicht berühren. Stattdessen beschönigt das Werk an vielen Stellen die chaotische Komplexität des Lebens des Country-Sängers, nur, um eine simple und praktische Bekehrungsgeschichte zu erzählen. Damit steckt der Film sozusagen in einer Glaubenskrise. Ist es ein Dokumentarfilm oder doch eine moralische Erzählung? Zu rein faktischen Dokumentation soll Faktentreue fehlen, zudem wird der eingangs beschriebene Moment eher als moralgesteuerte Erzählung der Sünde, gefolgt von einer nüchternen Erlösung dargestellt. Hierbei vor allem auch nur teilweise faktisch und eher ungenau.
Beschönigungen
Die Bestrebungen hin zur moralischen Auferweckungsgeschichte werden in Details des Stückes deutlich. Dem Werk zufolge führte Cash nach "Nickajack" eine nüchterne und stabile sowie substanzfreie Ehe mit June Carter über vier Jahrzehnte. Die Realität zeigte diese Ehe als turbulent und kompliziert. Carter ließ schließlich über einen Anwalt die Scheidungspapiere erstellen, beide kämpften mit Drogenmissbrauch und traten 1989 die Reha in einer Entzugsklinik aufgrund ihrer Schmerztablettensucht an. An derartigen Stellen wird deutlich, dass die Macher des Films zwischen religiösen Darstellung und faktischen Erzählungen wechseln und sich so mehr selbst im Weg stehen.
Bei Greg Laurie hat dieses Vorgehen in gewissem Maße System. Der Pastor, der die Buchvorlage schrieb und zudem ausführender Produzent des filmischen Werks ist, greift dieses Thema zwischen künstlerischem Erfolg und Religion immer wieder auf. Er selbst sieht sich als "Kind der Jesus-Bewegung" in den 1970er Jahren. Hier sollen die frühen Samen zeitgenössischer christlicher Musik gepflanzt worden sein. Laurie schrieb viele Bücher wie "The Redemption of an American Icon", meist mit dem Ziel eine Verbindung zwischen Glauben und Erfolg zu schaffen, um so seine eigenen religiösen Ansichten zu verbreiten. "Anscheinend hatte John Lennon eine Begegnung mit Christus", schrieb er in "Lennon, Dylan, Alice and Jesus: The Spiritual Biography of Rock and Roll".
Ob diese ganze Darstellung und geschaffenen Verbindungen Johnny Cash heute zustimmen würde, kann nur zur Diskussion gestellt werden. Michael Stewart Foley schrieb zuletzt in seinem Buch "Citizen Cash", dass der Country-Sänger seit seinem Tod als "leere Leinwand" verwendet wird. Das Leben des Künstlers soll demnach seit längerem für politische Botschaften, christlich rechte Ansichten, progressiv Linke Ausprägungen oder andere Meinungsbilder verwendet werden. Im Fall von Greg Laurie sind die Ansichten recht klar: Der Pastor ist strikt gegen Abtreibung und Homosexualität, er unterstützte 2020 Amy Coney Barrett auf ihrem Weg zum Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Mit diesen Attributen ist das neue filmische Werk über Johnny Cash in einer Misere angekommen. Dass ein Pastor mit Geschichten populärer Kulturfiguren seiner Gemeinde eine Geschichte verständlich machen möchte, ist weder neu noch verwerflich, doch entscheidet sich "Johnny Cash: The Redemption of an American Icon" nicht.
Ist der Film eine religiöse Erzählung oder ein dokumentarisches Werk? Die Frage wird erneut gestellt, denn neben den bereits genannten fehlenden Elementen, werden viele klassische Doku-Elemente erfüllt. Es zeigen sich bekannte Gesichter und sprechen über Cash und sein Leben, es kommt Sheryl Crow zu Wort, Tim McGraw, Wynonna Judd, Jimmie Allen oder Alice Cooper dürfen erzählen, auch Cashs Sohn John Carter Cash wird zum Interview gebeten. Es beginnt mit Cashs bescheidener Erziehung in Arkansas, Strapazen der Straße, Versuchungen des Lebens und Verhängnisse der Drogen, alles mit Kommentaren zu Cashs Glauben und Charakter. Als dann Greg Laurie das erste Mal vor die Kamera tritt, werden viele komplett den Faden verlieren. Er sitzt auf der Bühne im Ryman Auditorium in Nashville und rezitiert religiöse Sprüche. "Erziehe ein Kind so, wie es gehen soll, und wenn es alt ist, wird es nicht davon abweichen", als Beispiel. Doch tut er das nicht als Pastor, sondern als "Autor der American Icon-Reihe".
Johnny Cash: The Redemption of an American Icon (2022 Movie) Official Trailer
Wer sich von den Absichten des Werks noch nicht überzeugen lassen konnte, muss bis zum Abspann durchhalten. Nachdem der Abspann gelaufen ist, hält Laurie eine sechsminütige Predigt darüber, wie "man als Johnny Cash wiedergeboren wird". Hier kann sich den Schlussworten der Einschätzung des Rolling Stone angeschlossen werden: "Wenn Laurie nur nicht 90 Minuten verschwendet hätte, bevor er zu seinem Punkt kam." Zu sehen war der Film vorerst alleinig in ausgesuchten Kinos in den Vereinigten Staaten am 5., 6. und 7. Dezember 2022.