Nun, wir haben es hier also mit einem Duo zu tun. Mit Chris Thile, dem exorbitanten Mandolinen-Virtuosen und als Gründungsmitglied und Frontman der Punch Brothers eine feste Größe im akustischen Bereich. Aber, wie man weiß, ist Thile alles andere als ein musikalischer Konformist. Der demnächst erst 36 Jahre alt werdende, aus Oceanside, Kalifornien, stammende Ex-Nickel Creek-Musiker geht nur zu gerne seinen eigenen Weg. Er blickt nach links und rechts - und vor allem nur zu gerne nach vorne. Er sammelt Inspirationen ein, er wagt Experimente und er geht musikalisch verwegene Kooperationen ein. Zum Beispiel mit Yo-Yo Ma und Edgar Meyer, mit denen er das mit einem Grammy ausgezeichnete Album "The Goat Rodeo Sessions" einspielte. Ein anderes Mal knöpft sich der seit frühester Kindheit Mandoline spielende Musiker Bach-Sonaten vor. Immer was Neues, auch wenn es mal was Altes ist.
Virtuose Grenzgänger: Chris Thile und Brad Mehldau
Nun hat er sich mit dem 46-jährigen, aus Jacksonville, Florida, stammenden Meister-Pianisten Brad Mehldau zusammengetan - einem Jazzer von echtem Schrot und Korn. Der Virtuose spielte bereits mit Genre-Stars wie Joshua Redman und Christian McBride und gilt als einer der einflussreichsten und versiertesten Jazz-Pianisten der letzten 20 Jahre. Und, wie Thile, ist auch Mehldau immer auf der Suche nach neuen Klängen, nach neuen Partnerschaften.
Man könnte also durchaus sagen, dass sich hier zwei gesucht und gefunden haben. Zwei Grenzgänger, zwei geniale Musiker. Doch was kann dabei herauskommen? Mit Sicherheit Musik, auf handwerklich höchstem Niveau. Davon kann man schon ausgehen, bevor man auch nur einen einzigen Ton der Doppel-CD "Chris Thile & Brad Mehldau" gehört hat. Aber lässt sich das auch von einem weniger risikofreudigen Ohr auch hören?
Um es vorweg zu nehmen: ja, durchaus, zumindest über weite Strecken dem mit elf Songs sparsam bestückten "Chris Thile & Brad Mehldau"-Tonträger. Man muss sich aber auf dieses eigenartige Gebräu aus zirpenden Mandolinen-Klängen und hingebungsvoll gespielten Piano-Kaskaden einlassen. Der Mainstream des 08/15-Songs ist bei den zwei so weit weg, wie die echte Kunst vom schnöden Kommerz.
Wer mit den Punch Brothers, vielleicht auch mit den Avett Brothers, dem Alternative-Bluegrass etwas anfangen kann, wird aber vermutlich schnell seine Freude an den genauso eigenwilligen, wie intensiven Sounds der beiden haben. "The Old Shade Tree", eine Eigenkomposition des großartigen Zweiers, hat es gleich mal in sich: Auf knapp sechseinhalb Minuten lotet das Duo die Grenzen von Jazz, Klassik, Bluegrass und was auch immer für Genres genüsslich aus. Nur Piano und Mandoline und ein gelegentlich eingestreuter, leidenschaftlich mit hoher Stimme vorgetragener Gesang. Fertig. Mehr muss auch nicht sein, um ein grandioses Stück Musik auszubreiten. Dass amerikanische Country-Radiostationen einen so weiten Bogen um dergleichen Klänge machen werden, wie ein Vampir um Knoblauch, muss man wohl nicht erwähnen.
Chris Thile & Brad Mehldau - fantastische Interpretationen von Folk- und Bluegrass-Klassikern
Dafür wird der eine oder andere junge Bluegrass-Sender ihre fantastischen Versionen von "Scarlet Town", aus der Feder von David Rawlings und Gillian Welch, das von Joni Mitchell geschriebene "Marcie" und - natürlich! - Bob Dylans Klassiker "Don't Think Twice, It's All Right" sicher gerne auf die Playlist setzen. Vorausgesetzt der Programm-Macher besitzt genügend Mut und Toleranz.
Fazit: Zwei Genies, zwei musikalische Sonderlinge, zwei Visionäre - und ein fulminantes Doppel-Album. Chris Thile und Brad Mehldau loten auf ihrem gleichnamigen Werk kunstvoll die Grenzen von Bluegrass, Jazz und Klassik aus. Gewöhnungsbedürftig, aber auf höchstem Niveau.
Label: Nonesuch (Warner) | VÖ: 27. Januar 2017 |
Disk 1 | |
01 | The Old Shade Tree |
02 | Tallahassee Junction |
03 | Scarlet Town |
04 | I Cover the Waterfront |
05 | Independence Day |
06 | Noise Machine |
Disk 2 | |
01 | The Watcher |
02 | Daughter of Eve |
03 | Marcie |
04 | Don't Think Twice It's Alright |
05 | Tabhair dom do Lámh |