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John Hiatt gehört offenbar zu den produktiven Musikern. Gerade einmal ein gutes Jahr nach seinem Album "Open Road" meldet sich der US-amerikanische Singer/Songwriter mit seinem neuen Werk "Dirty Jeans And Mudslide Hymns" bei seinen Fans zurück. Elf neue Lieder sind auf dem neuen Silberling, der allerdings mit 51 Minuten Spielzeit in dieser Hinsicht nicht gerade üppig ausgestattet ist. Den Liedern selbst ist die Nashville -Vergangenheit Hiatts anzuhören, dieser Eindruck wird aber keineswegs überlastig oder gar dominant. Vielmehr vermischt er Folk mit Rock, Americana mit Blues, lässt auf eine schnellere Nummer immer eine Ballade folgen und bedient damit ein breites Zielpublikum und ihre angestammten Hörgewohnheiten.
Der Opener "Damn This Town" liegt musikalisch irgendwo auf der Linie zwischen Tom Petty und Bruce Springsteen. Hiatt gelingt es jedoch, eine eigene Note hinzuzufügen, näselt und quetscht seinen Gesang, während im Hintergrund die Gitarre strapaziert wird. Es ist so eine Melodie, die sich langsam in das Ohr schleicht. Nach mehrmaligen Hören wird man feststellen, dass sie kaum mehr aus dem Kopf geht. Irgendetwas bleibt zurück. Etwas Angenehmes. Nicht ganz so harmonisch wie die musikalische Umsetzung ist die Geschichte, die im Song erzählt wird. Es ist die Geschichte einer sicher nicht ganz untypischen US-amerikanischen Familie, in der sich der Vater zu Tode gesoffen hat, der eine Bruder beim Pokern umgebracht wurde, ein anderer mit einem Sender am Bein herumläuft, "damit sie immer wissen, wo er ist", was der Jüngste angestellt hat "erzähle ich nicht, und es soll auch niemand Mutter wissen lassen". Das klingt alles sehr nach Zerrüttung und Verzweiflung, die in nur einem Schluß mündet: "Verdammt sei diese Stadt, ich muss hier weg". Vielleicht ist dieser Text auch ein wenig Vergangenheitsbewältigung für den Sänger, dem bisher der große Erfolg versagt blieb und der in seinem Leben einiges durchmachen musste: Seit frühester Jugend ergab er sich dem Alkohol, seine zweite Frau nahm sich das Leben, seine Frauenbeziehungen scheiterten und die eigenen Alben floppten, zeitweise stand er ohne Plattenvertrag da, die von ihm geschriebenen Lieder machten andere Sänger berühmt., wie Rosanne Cash, Rodney Crowell, Bob Dylan, Earl Thomas Conley, Wille Nelson, David Crosby, Joan Baez.
Doch nach diesem auch musikalisch von Verzweiflung (über sei eigenes Leben?) geprägten Midtempo-Opener wird es schnell ruhiger. Das folgende "'Til I Get My Lovin' Back" ist eine schaurig-schöne Ballade, angereichert mit einer fast schon traurig klingenden Steelgitarre. Ja ja, die Liebe ist "ein seltsam Ding"! Dazu passen melancholische Noten ebenso wie beschwingte.
"I Love That Girl" ist eine von den fröhlichen! Mit einem frischen Sound und mitreißendem Beat. Eine neue Liebe ändert alles, verschwunden ist die vordergründige Traurigkeit. Der Sänger kann plötzlich mit "bloßen Händen Gitarrensaiten ausreißen", ist ausgelassen und voller Tatendrang. Nicht ganz typisch für das ganze Album, aber eine interessante Ausflug in ein "blaues Randgebiet": "All The Way Under", ein gitarrenbetonter Blues, für dessen rotzigen und kratzigen Sound Produzent Kevin Shirley sorgte.
"Don't Wanna Leave You Now"- wieder eine eindringliche Ballade, aber gar nicht mal so ruhig. In "Train to Birmingham" verschmilzt Americana Gefühl mit Roadhouse-Shuffle-Beat und mündet in der gesungenen Quintessenz: "Ich sterbe etwas langsamer, im Zug nach Birmingham". "Adios to California", wieder mit Pedalsteel, reflektiert der Song das (nach unserem Verständnis) Leben im Süden der USA, das kalifornische Gefühl von Entspanntheit und Wärme. Eine anschmiegsame Melodie, relaxt vorgetragen, zwischen Pop und Country.
Die Stile wechseln, nicht zu arg, immer im nicht sehr breiten Korsett zwischen den Spielarten des Rock und Folk. Der Zuhörer bekommt zahlreiche Moll-Töne serviert, die die Lieder düster und trübe erscheinen lassen. Selbst bei flotten Songs wie "Detroit Made" (mit Rockabilly Beat) oder beim schon genannten "I Love That Girl", die von der musikalischen Grundaussage eher fröhlich sind, kann man sich einer latenten Melancholie nicht entziehen, ohne genau zu wissen, woher diese kommt. Da ist dieser Strudel, der den Zuhörer unaufhörlich in eine düstere, auch lähmende Stimmung zieht …
Fazit: Ein sehr gelungenes Singer/Songwriter Album, das sich musikalisch abwechslungsreich zwischen Folk, Rock und Country bewegt. Nicht für Puristen, wohl aber für wirkliche Musikliebhaber. Ein Album zum Durchhören.
Label:New West / Blue Rose (Soulfood) | VÖ: 5. August 2011 |
Titelliste
01 | Damn This Town | 07 | Hold On for Your Love |
02 | Til I Get My Lovin' Back | 08 | Train to Birmingham |
03 | I Love That Girl | 09 | Down Around My Place |
04 | All the Way Under | 10 | Adios to California |
05 | Don't Wanna Leave You Now | 11 | When New York Had Her Heart Broke |
06 | Detroit Made |