Nun, Zach Bryan dürfte das alles auch wissen. Doch scheinbar ist es ihm egal. Jedenfalls macht er es: Der Opener von seinem neuen, gleichnamigen Album, das Nachfolge-Werk seines Platin-Erfolges "American Heartbreak" aus dem Vorjahr, ist ein knapp zweiminütiges - sehr dezent von einer Akustik-Gitarre untermaltes - Spoken-Word-Stück. Mutig, mutig, alle Achtung.
Aber auch irgendwie typisch für ihn. Schließlich verläuft die Karriere des 1996 im japanischen Okinawa geborene Ex-US Navy so gänzlich anders als die Karrieren anderer Country-Acts seiner Generation. Anstatt gängige Muster neu zu interpretieren und sich soundmäßig mit Netz und doppelten Boden mainstreamig abzusichern, geht Bryan den Weg der Reduktion. Im Zweifelsfall reicht ihm eine Akustikgitarre. Oder ein Gedicht.
Bleibt sich treu: "Zach Bryan", der gleichnamige Nachfolger seines letzten Hit-Albums
Unkonventionell geht es in dem 16 Songs starken Album auch weiter. Die ersten Töne des zweiten Tracks "Overtime" gehören gleich mal der amerikanischen Nationalhymne, gespielt von einer E-Gitarre. Ältere Semester werden jetzt an den Skandal-Auftritt von Jimi Hendrix beim legendären Woodstock-Festival denken als er - Huch! - mit seiner Gitarre den Klang von Kampffliegern imitierte und die amerikanische Flagge auf der Bühne verbrannte. Aber okay, das waren andere Zeiten: Hippie-Zeiten, Flower-Power, Make Love not War und so weiter. Zach Bryan ist davon nicht nur vom Geburtsdatum weit entfernt, auch ideologisch hat er nichts mit hippiesker Vaterlandskritik am Hut. Rebellisch aber gebiert sich der Mann, wie man sieht, durchaus.
Ähnlich wie bei Johnny Cash schlägt auch in seiner Brust - trotz so mancher Kritik ¬- das Herz eines Patrioten. Das muss sich ja auch nicht ausschließen. Im Gegenteil. Noch verwandter als mit dem nonkonformen Cash scheint Zach Bryan allerdings mit den Country-Sängern der ganz alten Schule zu sein. Immer wieder erinnert er in seinem Ausdruck oder wenn er sich in seinen Songs nur minimalistische Begleitung gestattet, an Protestsänger wie Pete Seeger.
Wie wenig sich Bryan um Song-Spielregeln - Strophe, Refrain, Bridge - schert, wird nahezu in jedem Track seines neuen Albums deutlich. Das bereits erwähnte "Overtime" dient als gutes Beispiel: Nach dem Hymnen-Zitat kommt der Song mit Punk-Rock-ähnlichem Drive in die Gänge. Puh! Doch dann gesellt sich unvermittelt eine Akustik-Gitarre dazu, es folgt ein Break, der alles irgendwie auflöst, dann geht wieder die Punk-Post ab, bis - der Phantasie scheint kein Riegel vorgeschoben zu sein - fröhliche, genauso passende wie unpassend wirkende Mariachi-Bläser eine niedliche Melodie tröten.
Zach Bryan findet auf unausgetretenen Pfaden zum Ziel
Ein Sound-Eintopf, der seinesgleichen sucht. Der aber auch richtig Spaß machen kann und bei dem es jede Menge zu entdecken gibt - und den er im Verlauf mehrfach, beispielsweise bei "East Side of Sorrow", kredenzt.
Seinen ganzen Charme spielt der gegen den Strich gebürstete Star vor allem aber in minimalistischen Songs aus. In Tracks wie "Summertime's Close" oder in dem witzigen Song "Ticking". Hier treffen Hobo-Wildheit auf Country- und Folk-Elemente und auf einen Sänger, der offenbar Reißnägel frühstückt und abends mit Rachenputzer gurgelt. Ein sehr raues Organ! Eine Stimme, die wie gemacht für diese Art von Musik.
Erstaunlicherweise gelingt es Zach Bryan nahezu mit jedem Track, ein Ausrufezeichen zu setzen. Mal serviert er einen hübschen Americana-Song ("Hey Driver" feat. The War and Treaty), dann mixt er Folk mit Punk-Attitüde und Bluegrass-Setting ("Fear and Friday's"), bei "Holy Roller" teilt er sich das Mikro mit der weitaus sanfteren Stimme von Sierra Ferrell und bei dem über fünfminütigen "Jake's Piano - Long Island" erinnert er - man glaubt es kaum - mit wehmütigen Klavierakkorden an New Yorks Piano-Man Billy Joel. Zumindest in den ersten Minuten.
Welchen Stellenwert der etwas andere Country-Star in der Szene genießt, wird in zwei weiteren Duetten deutlich: Bei dem sehr gefühlvollen und langsamen Country-Track "I Remember Everything" trifft seine wettergegerbte Stimme auf die wie immer geschmeidig klingende Kacey Musgraves. Ein starker Song! Das gilt auch für "Spotless", bei dem er sich die Hitparaden-Stürmer von The Lumineers ins Studio geholt hat. Weitere Glanzlichter setzt er mit dem wunderschönen "El Dorado" und dem finalen, so biografischen wie ungeschminkten "Oklahoma Son". Ein Song, der prototypisch für ihn und seine Karriere steht. Und der beweist, dass im Country immer noch eine Stimme und eine Gitarre ausreichen können, um einen Hit zu landen. Vorausgesetzt, der Act hat etwas zu erzählen - und das hat Zach Bryan nun mal auf alle Fälle.
Fazit: Unkonventionell und stark: Zach Bryan wandelt nach seinem letzten Hit-Album erneut auf Pfaden, weitab des Mainstreams. Kacey Musgraves und The Lumineers begleiten ihn dabei.