Überhaupt tut sich der deutsche Ableger des US-Dienstes mit "Yellowstone" schwer. Die ersten drei Staffeln stehen derzeit zum Streamen bereit, auf die Staffeln vier und fünf müssen Abonnenten aus lizenzrechtlichen Gründen noch warten. Immerhin gehört "1883", der erste Ableger, zu den exklusiv (auch beworbenen) Inhalten. Aber "1923"? Dabei ist allein schon die Besetzung ein Hammer. Helen Mirren und Harrison Ford? In den USA hat diese Besetzung auf jeden Fall mehr als nur Interesse geweckt. Mit 7,4 Millionen Zuschauern hat die Pilotepisode Paramount einen Zuschauerrekord am 18. Dezember 2022 beschert.
In "1923" hat Cara Dutton die Zügel in der Hand
"1923" erzählt die Geschichte der Familie Dutton primär aus der Perspektive der Cara Dutton (Helen Mirren), der Matriarchin der Familie. Sie ist verheiratet mit Jacob Dutton (Harrison Ford), dem Bruder von James Dutton (den Tim McGraw in "1883" porträtiert). Die ersten Episoden lassen erkennen, dass sie, Cara, die treibende Kraft im Hause Dutton ist. Cara ist geradlinig, sie ist eine Analytikerin und sie ist unbarmherzig, wenn die Familie (das Unternehmen Dutton) von außen angegriffen wird. Die Familientradition ist ihr wichtig, sie blickt aber auch in die Zukunft und weiß, dass sich die Welt um sie herum verändert hat und dass diese Veränderungen auch vor ihrer Familie nicht Halt machen werden. Gleichzeitig aber lässt Cara auch eine gewisse Schwere erkennen. Sie und Jacob sind kinderlos, was Cara durch ihre innige Beziehung zu Jacobs Neffen John und Spencer komprimiert, die sie als ihre Söhne anerkannt hat und denen sie eine Zuneigung zukommen lässt, die so gar nicht zu der harten Matriarchin passen will.
Die erneut von "Yellowstone"-Erfinder Taylor Sheridan erdachte Serie benötigt etwas Zeit, um das Umfeld zu erklären, in dem die neue Serie ihre Geschichte erzählt. Die Gegenwart ("Yellowstone") ist bekannt, ein Titel wie "1883" erschafft ebenfalls direkt Bilder vor dem geistigen Auge, mit denen Serienmacher spielen können. Aber wie sah 1923 eigentlich aus? In Bezug auf die USA fällt einem da mit Sicherheit der Begriff der Prohibition ein, das Verbot des Alkoholausschanks- und Konsums, mit dem sich die Politik das Wohlwollen der religiösen Gruppen im Land erkaufen wollte.
Dann jedoch wird es schwierig. Auf der einen Seite sind das Goldenen Zwanziger, die kulturell so frei waren, dass man 100 Jahre später staunt; auf der anderen Seite denkt man an die Große Depression, die die USA heimsuchte - und würde damit in einer Geschichtsklausur direkt durchfallen, denn das, was man Great Depression nennt, begann mit dem Schwarzen Donnerstag am 24. Oktober 1929 und dem großen Börsencrash, also sechs Jahre nach 1923, dem Jahr, in dem die Serie spielt, die auf zwei Staffeln angelegt ist. Dennoch sind da die Bilder von verarmten Farmern und Landarbeitern, die vor 1929 bereits in Teilen das Geschehen in den ländlichen Gebieten der USA bestimmten. Und an genau dieser Stelle setzt Taylor Sheridan mit seiner Geschichte an.
Die Duttons sind im Jahr 1923 die größten Landbesitzer in Montana. Jacob ist ein Mann, der das alte Amerika repräsentiert. Er ist auf seine Weise immer noch ein Pionier, der auf dem Pferd über seine Besitzungen reitet, der an die Freiheit des Einzelnen glaubt und daran, dass das Land Chancen bietet. Die Menschen respektieren ihn. Er ist ein harter Hund, wenn es ums Geschäft geht. Aber er ist auch ein Mann, der zu seinem Wort steht. Im Hintergrund jedoch zieht Cara die Fäden. Sie erkennt, wie bereits erwähnt, dass sich die Zeiten geändert haben. Im fernen Washington hat sich ein neuer Politikstil entwickelt, der darauf setzt, die Wirtschaft nicht mehr zu regulieren, sondern den Markt sich selbst zu überlassen. Das mag sehr amerikanisch klingen, Anfang des 20. Jahrhunderts aber gab es unter Präsident Theodore Roosevelt sehr wohl regulative Eingriffe in jenes Gebilde, das wir den Markt nennen.
Roosevelt zerschlug beispielsweise Monopole und erließ Gesetze, die, um einen deutschen Terminus zu benutzen, kleinen und mittelständischen Unternehmen mehr Rechtssicherheit verschaffte. Nicht wenige Politiker im Land sahen in diesen Regelungen ein Hindernis für das Prosperieren der Wirtschaft, die nach dem Ersten Weltkrieg dringend einen Anschub brauchte. Also wurden die von Roosevelt auf den Weg gebrachten Reformen zu einem Großteil wieder zurückgefahren, um den Markt aus seinen Fesseln zu befreien. Die USA haben Anfang der 1920er Jahre exakt das durchgezogen, was libertäre, marktradikale Kräfte der Gegenwart fordern.
Das Resultat: Die Wirtschaft florierte tatsächlich. Gleichzeitig aber traten in ländlichen Regionen erste Anzeichen einer Verarmung auf. Kleine Farmer konnten mit großen Betrieben nicht mehr mithalten, Landarbeiter verloren ihren eh schon geringen sozialen Schutz. So ist der Konflikt, den die Serie gleich zu Beginn etabliert, ein zwiespältiger, der sich nicht in Kategorien wie Gut und Böse fassen lässt. Der Konflikt beginnt zwischen der Familie Dutton und Banner Creighton (Jerome Patrick Flynn), einem schottischen Schafzüchter (und so etwas wie der Sprecher der Züchter im Staat), der es auf das Land der Familie Dutton abgesehen hat.
Creighton ist kein sympathischer, netter Kerl. Er ist unbarmherzig und er will etwas, das ihm nicht gehört. Auf der anderen Seite aber hat eine Dürre dazu geführt, dass Weideland rar geworden ist. Die Schafzüchter brauchen Land für ihre Tiere. Land, das die Familie Dutton besitzt, die jedoch nicht bereit ist, Land mit einem Konkurrenten zu teilen. Mag Jacob Dutton gegenüber seinen Untergebenen ein anständiger Arbeitgeber sein, tritt er gegenüber Konkurrenten egal welcher Art unbarmherzig auf. Es entwickelt sich demnach ein Konflikt, der dadurch an Schärfe gewinnt, dass eines Tages nicht nur die Dürre den Farmern das Leben schwer macht, sondern auch Heuschrecken über die Felder herfallen. So etwas wie eine politische Instanz, die vermitteln könnte, denn unterm Strich sind Creightons Begehrlichkeiten sogar verständlich (er will nicht untergehen), gibt es nicht mehr. Der Markt ist entfesselt. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Und da sind die Duttons die größten Landbesitzer. Ihr Land, ihr Recht. Und wer dieses Recht missachtet, landet auch schon einmal mit einem Strick um den Hals an einem Baum.
So entwickelt sich ein regelrechter Krieg zwischen den Duttons auf der einen Seite - und den Schafzüchtern der Region auf der anderen.
Es ist aber nicht nur der Streit mit den Nachbarn der Region, der für Zündstoff sorgt. Auftritt: Donald Whitfield (Ex-Bond Timothy Dalton), ein Wirtschafts-Tycoon, der es gleichfalls auf das Land der Duttons abgesehen hat. Whitfield ist ein moderner Geschäftsmann, jemand, der mit Anwälten agiert, der Absatzmärkte blockiert, der nicht mit einem offenen Visier kämpft. Vor allem aber ist er nicht weniger mächtig. Die Duttons mögen in Montana eine Größe darstellen, Whitfield "besitzt" Politiker an ganz anderen Schaltstellen der Macht.
Weitere Figuren in 1923
Die ersten Episoden der Serie führen mit Spencer Dutton (Brandon Sklenar) eine weitere Hauptfigur ein, die - irritiert. Spencer hat sich nach Afrika abgesetzt, um dort der Anfang der 1920er Jahre unter Europäern populären Großwildjagd zu frönen. Spencer will auf den ersten Blick so gar nicht in die Welt der Duttons passen. Egal in welcher Inkarnation sind die Mitglieder der Familie Dutton Menschen, die Verantwortung tragen. Im Guten. Im Schlechten. Für Spencer, einen Mann in den 30ern, scheint diese Verantwortung jedoch eher eine Lässlichkeit, wenn nicht gar Last darzustellen. Er geht auf die Jagd, um einen Nervenkitzel zu erleben. Und er ist von der exzentrischen Engländerin Alexandra (Julia Schlaepfer) fasziniert, die ganz anders ist als die Frauen in seiner Heimat. Das aber ist nur der Mann, den Spencer nach außen hin darstellt. Als Freiwilliger hat er im Ersten Weltkrieg gekämpft und Dinge erlebt, die ihn nicht mehr loslassen. Er weiß nicht, wie er mit diesen Erinnerungen umgehen soll, denn die passen nicht in das archaische Bild von Freiheit, Land, Recht, das seine Familie in den USA lebt.
Die Schauwerte der ersten Episoden sind erstaunlich. Auf die Verwendung von CGI wurde, wo immer möglich, verzichtet. Jede einzelne Episode soll über 30 Millionen Dollar gekostet haben. Geld, das man sieht und erklärt, warum trotz des Erfolges der ersten Episoden bereits ein Ende absehbar ist. Für Nachschub ist allerdings auch schon gesorgt, Mit "6666" (Arbeitstitel) steht ein Ableger im Produktionsportfolio, dessen Geschichte parallel zu "Yellowstone" angesiedelt sein soll und in Texas spielt. Gleichfalls angekündigt ist ein Ableger von "1883": "1883: The Bass Reeves Story".
Der Starttermin von 1923 in Deutschland
Offiziell hat Paramount+ den Starttermin in Deutschland noch nicht festgelegt. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die erste Staffel von "1923" im April 2023 startet.