CountryMusicNews.de gewährte der Country-Superstar eine halbstündige Audienz.
"Hi, I'm Tim". Nettes Lächeln. Weiße Zähne blitzen auf. Strickmütze. Eng anliegender Rollkragenpullover. Dunkle Jeans. Tim McGraw ist in Natura um einen Tick kleiner und um einiges schmaler als erwartet. Der Körperfettanteil dürfte im Promillebereich liegen - der Händedruck ist so, wie man sich das bei einem kernigen Kerl wie ihm vorstellt: hart, zupackend, trocken. "Diese Arena hier ist der ideale Ort, um sich auf einem neuen Kontinent vorzustellen", sagt er mit einer recht weichen Stimme, als er auf einem Barhocker Platz nimmt. Er freue sich auf das Konzert. Und er betont, dass diese Show kein einmaliges Europa-Erlebnis soll. Im Gegenteil. Europa - das ist nicht nur der alte Kontinent, wie ihn vor ein paar Jahren der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld wenig schmeichelhaft bezeichnete. Europa ist ein neuer Markt für amerikanische Country-Stars. Schließlich gehen in den USA die Tonträger-Verkäufe stetig zurück. Das will kompensiert sein. "Durch das Internet kann jeder ganz einfach in die Musikwelt eintauchen", sagt Tim McGraw. Die Welt werde kleiner. Die Ware Musik sei überall sofort verfügbar. Die Country Music, so der Gatte von Country-Diva Faith Hill, habe dadurch enorm profitiert. "Sie boomt förmlich", sagt er.
Neues Label - neuer Karriereschub
Und er muss es wissen. Denn seit Beginn seiner Karriere in 1993 scheint der Mann nur eine einzige Richtung zu kennen: immer weiter die Karriereleiter hinauf. Der Boom - bei Tim McGraw ist er Standard. Mit über 40 Millionen verkaufter Alben gehört er längst zu den erfolgreichsten Genre-Künstlern aller Zeiten. Dabei ist bei ihm die Musiker-Rente noch längst nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil. Nach dem Labelwechsel von Curb zu BigMachine/Universal hat die Karriere des dunkelhaarigen Beaus wieder kräftig an Fahrt aufgenommen. Sein neues Album "Two Lanes of Freedom" landete auf Platz eins der amerikanischen Country-Charts, auf Platz zwei der Pop-Charts. Dennoch bestreitet er, dass sich die neue Label-Heimat auf seine Musik ausgewirkt hätte. "Klar, die Atmosphäre, die einen umgibt, beeinflusst einen schon irgendwie", sagt er, "aber letztendlich habe ich mich schon immer von Album zu Album weiter entwickelt. Meine Musik ändert sich, doch ich bleibe dabei die Konstante."
Deutsche Wurzeln
Mit der neuen Plattenfirma seien jetzt aber Dinge möglich, die vorher nicht drin gewesen wären. Zum Beispiel diese Show hier in London. Oder: eine Tour durch Deutschland. "Wir wollen unbedingt nach Deutschland", betont er und guckt dabei mit schokobraunen Augen so treu wie der treueste Dackel. Tim McGraw in Deutschland? Dabei, so schien es, hat er doch stets einen großen Bogen um Good Ole Germany gemacht. "Nein, nein", stellt er klar, der Blick nun eher Modell Jagdhund, "es hat einfach meistens nicht gepasst. Als meine Frau bei "Wetten, dass ...?" auftrat musste ich in London bleiben und auf unsere Töchter aufpassen. Wäre aber sehr gerne dabei gewesen." Außerdem habe er erst kürzlich ganz TV-Amerika gezeigt, wo seine persönlichen Wurzeln liegen. In Deutschland. "Ich habe eine Show gemacht, die heißt "Trace Your Roots". Es geht dabei darum, wo jeder seinen Stammbaum hat. Es stellt sich heraus, dass einige meiner Vorfahren aus Rheinland-Pfalz stammen. In meinen Adern fließt also deutsches Blut!"
Truck, Yeah?
Von dem neuen Album will Tim McGraw nachher "vier, fünf neue Titel" spielen. Darunter den Titeltrack, "One of These Nights", das fast schon brit-poppige "Mexicoma" und die Single-Auskopplung "Truck Yeah!". Den Vorwurf, dass dieser Song ja doch recht simpel und auf Krawall gebürstet sei, lässt er erst mal stehen. Dann, nachdem er sich ein paar Sekunden das stoppelige Kinn gekrault hat, gibt er zu: "Okay, das ist einfach ein Party-Song. Es ist völlig egal, worum es darin geht. Doch der Titel reißt die Leute mit. Alles was sie gröhlen müssen, ist Truck, Yeah!" Er könne aber nachvollziehen, dass nicht jedem der Song gefällt. "Meine Frau hat das gleiche über den Titel wie sie gesagt, ihr hat er anfangs auch nicht gefallen. Aber nachdem sie ihn aber paar Mal gehört hat, findet sie ihn super. Vor allem live."
Spektakuläre Live-Show
Das kann man nachvollziehen. Die Show, die Tim McGraw mit seiner vielköpfigen, aus exzellenten Musikern bestehenden Live-Band in der gut gefüllten The O2-Arena abzieht, ist schlicht und ergreifend perfekt. Sie bietet erstklassiges Entertainment. Tim McGraw, im Interview noch der fast schon bescheidene Künstler, verwandelt sich auf den Bühnenbrettern zum hell leuchtenden Superstar. Souverän führt er durch das mit vielen alten Songs - "All I Want", "Everywhere", "Unbroken" - gespickten Programm. Trotz großer Posen wirkt McGraw nicht arrogant. Er sucht und findet die Nähe zu seinen Fans. Diese sind: aus dem Häuschen. Vor allem die weiblichen. Doch auch bei der männlichen Kundschaft steht Tim McGraw hoch im Kurs. Er ist einfach ein netter, kerniger Kerl. Ein Typ, mit dem man gerne mal ein Bier trinken würde. Dabei ist er seit fünf Jahren absolut trocken. "Habe ich hinter mir", sagt er gegen Ende des Interviews, "dafür mache ich jetzt Sport. Mehrere Stunden täglich." Man glaubt es ihm. Und man spürt es beim Händedruck bei der Verabschiedung.