Die "Cagle-Heads" im Publikum können sich gleich über zwei Leckerbissen freuen - wie erwartet natürlich über die Musik, davor aber auch über eine Darbietung des Künstlers auf seinem American Quarter Horse, Playboy Master. Cagle führt die Kunst des Reining vor, also Western-Dressur, und kommentiert dabei über sein Kopfhörer-Mikrofon. Die Grundlagen lernte er schon als Junge, als er die Sommer auf der Farm seines Großvaters in Deridder, Louisiana, verbrachte.
"Ich bin ein Junge vom Land," sagt er einige Tage später. "Ich habe versucht, davor wegzulaufen, aber das bin ich nun mal." Und wenn man erst alt genug ist, findet man schließlich heraus, dass das Land das beste Geheimnis der Welt ist: Ein Zufluchtsort. Es wurde uns perfekt erschaffen übergeben. Es ist der einzige Ort der Welt, an dem man einem Kind mehr Charakter, Stärke und Ehre mitgeben kann, als dies das Militär kann. "Nichts gegen unsere Armee," fügte Cagle hinzu. "Aber sie nehmen dich erst auseinander, und dann bauen sie dich so auf, wie sie dich haben wollen. Das Land macht dich erst fertig aber lässt dich dann herausfinden, wer du bist."
Ob nun in seinen Reitkünsten, in seinem Humor oder in seiner Musik: Chris Cagle bringt zum Ausdruck, dass er überall zuhause ist, wo er im Country-Spirit leben, atmen, reiten oder singen kann. Und das war eigentlich alles, was er wollte, als er 1994 nach Nashville kam. Er machte die üblichen Stationen eines jungen Musikers durch - Kellnern und andere Nebenjobs -, während er alles daransetzte, seine Musikerkarriere voran zu treiben. Das gelang ihm dann sechs Jahre später, als Virgin Records sein Debütalbum "Play It Loud" heraus brachte. Drei Singles von diesem Album kamen in die Top 15 der Billboard Hot Country Songs Charts, und eine davon, "I Breathe In, I Breathe Out," schaffte es sogar auf Nummer 1.
Nachdem Virgin im Jahr 2002 seine Country-Abteilung geschlossen hatte, kamen die dort verpflichteten Künstler bei Capitol Records Nashville unter. Dort veröffentlichte Cagle auch 2003 sein Album "Chris Cagle" und im Jahr 2006 "Anywhere But Here". Auf diesen ersten drei Alben begründet sichCagles Ruf als ausdrucksstarker Sänger mit großem Songwriting-Talent. Als aber anfing, sich dem Projekt zu widmen, aus dem schließlich das Album "My Life's Been a Country Song" wurde, hatte er das Gefühl, dass er dieses Album mit noch mehr Konzentration angehen müsse. Nicht etwa, weil er aufgehört hatte, Songs zu schreiben. Aber die Songs, die er zu dem Zeitpunkt schrieb, fühlten sich einfach nicht richtig an.
Cagle zuckt die Achseln und erklärt: "Das Material war einfach nicht gut genug. Als ich anfing, die Songs für dieses Album zu schreiben, setzte ich mich mit Sachen auseinander, mit denen ich mich in den vier, fünf Jahren davor nicht auseinandersetzen wollte. Und ich habe es satt, darüber nachzudenken. Ich habe es satt, dazu Fragen zu beantworten. Und ich habe verdammt nochmal keine Lust, darüber zu singen."
Sein Produzent, Scott Hendricks, der auch schon ausführender Produzent von "Play It Loud" gewesen war, bestärkte ihn in dieser Haltung, als Cagle und er eine Strategie ausarbeiteten." Es war unglaublich, wie viel Scott recherchierte, bevor wir auch nur eine Note eingespielt hatten," sagt Cagle. "Was er sagte war genial: 'Es ist wichtig, dass wir uns die schwachen Punkte in deiner Karriere vornehmen. Indem wir das tun, können wir die Schwachstellen gutmachen, die guten Punkte werden großartig, und die großartigen Punkte werden fantastisch."
Sie verständigten sich darauf, dass sie für diese Strategie einfach das bestmögliche Material zusammentragen würden, auch wenn auf dem fertigen Album schließlich keine Original-Songs mehr zu hören wären. Hendricks war auf diese Strategie gekommen, indem er einerseits seinem eigenen Ohr vertraute und alles in Form einer Tabelle auflistete: Tempo und Tonarten auf Chris Cagles früheren Alben. Andererseits las er sorgfältig alle Kommentare von Fans und Kritikern über Cagles Repertoire durch, die er in Musikmagazinen und im Internet finden konnte.
"Ich kann mich gut daran erinnern, dass mir davor graute, Chris sagen zu müssen: 'Du musst ein paar Dinge ändern,'" sagt Hendricks. "Wenn jemand sich an eine bestimmte Methode gewöhnt hat, bedeutet es ein Paradigmenwechsel, wenn er sich diese Methode einmal objektiv ansehen soll. Es ist nicht einfach, die Messlatte höher zu legen. Ich muss Chris zugute halten, dass er bei diesem Prozess mitgearbeitet hat - und ich habe das Gefühl, dass wir sein bisher bestes Album gemacht haben."
Schließlich wurde aus tausenden von Stücken eine Tracklist. Cagle traf die Auswahl, indem er jedes Demo "blind" anhörte, ohne zu wissen, wer der Songwriter oder der Publisher des Materials war. Er hört sich die Musik oft während einer Autofahrt oder bei anderen Tätigkeiten an, und nahm sie mehr als Fan wahr, nicht so sehr als Künstler. Erst nachdem er jeden Song ganz gehört hatte, schrieb er neben den Titel entweder ein "P" für "pass" (bestanden), "H" für "hold" (halten) oder ein Fragezeichen bei Songs, die er noch einmal genauer anhören wollte. Es stellte sich heraus, dass diese Vorgehensweise nicht nur fruchtbar war, sondern auch aufschlussreich.
"Wenn man sich die Titel anschaut, zum Beispiel 'No Love Songs,' 'What Kind of Gone,' 'If It Isn't One Thing' und 'Never Ever Gone', so klingen sie ziemlich negativ," bemerkt Cagle. "Aber wenn man sich die Songs dann anhört, kommt heraus: 'I Don't Want to Live' bedeutet 'Ich will nicht mehr leben ohne dich.' Die Songs selbst sind positiv, und das finde ich in vieler Hinsicht ironisch."
Außerdem fand Cagle dass die Zeit reif sei, sich an komplexere Songs zu wagen, die mit verschiedenen Bedeutungsebenen spielen, beispielsweise im Verhältnis von Titel und Text. Produzent Scott Hendricks spürte, dass sich der Sänger in einer kreativen Übergangsphase befand und ermutigte Cagle, auch in anderen Bereichen seine Grenzen zu erweitern. Das bedeutete unter anderem, mit neuen Leuten zu arbeiten, von den Technikern im Studio bis hin zu den Musikern. Dieser Prozess ging so weit, dass sogar der Text eines Songs leicht verändert wurde. "My Heart Move On" hieß auf dem Demo ursprünglich "My Heart Will Move On". Cagle gefiel das Stück und seine deutliche Symbolik, die dramatischen Molltonarten und der galoppierende Groove, aber er hatte das Gefühl, dass er es nicht ohne eine kleine aber wichtige Änderung aufnehmen wollte.
"In diesem Stück heißt es am Ende: 'Like a storm, like a train, like the seasons when they change . it goes off to find another home,'" sagt Cagle und singt den kraftvollen Refrain vor: "Wie ein Sturm, wie ein Zug, wie der Wechsel der Jahreszeiten - es zieht los und findet ein neues Zuhause." Aber statt zu singen 'my heart will move on' (mein Herz wird weiter gehen), und weil alle anderen Aussagen im Text so bestimmt sind und in der Gegenwart stehen dachte ich mir, 'Wisst ihr was? Es ist doch, als wollte ich gerade jetzt, in diesem Moment, meinem Herzen sagen, dass es weiter gehen soll. Also: 'My heart move on (mein Herz, mach weiter)'".
"Chris und ich haben über diese Änderung gesprochen," sagt Brett James, der das Stück zusammen mit Blair Daly geschrieben hat. "Und ich finde sie völlig in Ordnung. Sie fügt dem Stück etwas hinzu. Es hört sich doch etwas bitter an, wenn man zu einer früheren Geliebten sagt 'My heart will move on.' Ich glaube, es hört sich in Chris' Version etwas positiver an. Er hatte einen guten Grund, das Stück zu verändern, und ich bin froh, dass er es getan hat."
Das Paradox des Albums "My Life's Been a Country Song" besteht darin, dass das Material darauf zwar nicht von Cagle stammt, es aber trotzdem viel über den Künstler verrät. Die Konzentration, mit der er im Studio arbeitet, seine Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen und Risiken bei seiner Arbeit einzugehen - alles das zeigt, wie er sich in den letzten Jahren diszipliniert hat. Es fing damit an, dass er sich um seine Gesundheit gekümmert hat und ging so weit, dass er seine persönlichen Prioritäten überprüft und verändert hat.
"Ich werde dieses Jahr 40 und ich habe noch keine Kinder," sagt er nachdenklich. "Aber ich möchte lange genug leben, ein Kind und kleine Enkelkinder zu haben. Musik ist ein wichtiges Kapitel in meinem Leben, aber es ist nicht das allerwichtigste. Mit Shows verdiene ich meinen Lebensunterhalt, aber mein Leben ist keine Show. Ich möchte 85 Jahre alt werden. Ich habe nicht vor, in einem Zimmer im Krankenhaus zu sterben und dabei auf meine goldenen Schallplatten an der Wand zu starren. Nein, ich möchte dabei mit meinen Kindern und mit meiner Frau sprechen. Wenn ich diese Welt verlasse, dann möchte ich diese Dinge hinterlassen: drei oder vier großartige Kinder, die meinen Namen tragen. Das sind die wirklich wichtigen Dinge."