Colter Wall - Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs

Colter Wall: junger Nachlassverwalter der Traditionen

Ziemlich genau diese Philosophie hat sich ausgerechnet ein Jungspund aus dem kanadischen Präriestaat Saskatchewan zu eigen gemacht - und wird dafür von Country- und Folk-Puristen geradezu überschwänglich verehrt: Hach, Johnny Cash ist dem Grab entstiegen! Das ehrliche, erdige, traditionelle Country hat wieder eine Stimme! Da bei beiden ersten Alben überdies Top-Produzent Dave Cobb seine Finger im Spiel hatte, entfachte Colter Wall auf Anhieb ein unüberhörbares Medien-Echo. Und jetzt? Der Mann ist gerade mal 25, wäre da nicht ein dezenter Flirt mit mehrheitsfähigem Country-Pop angesagt

Nicht mit Colter Wall. Nicht mit dem zauselbärtigen Kanadier, zu dem diese kellertiefe Stimme nicht so recht zu seiner Jugend und seinem schmächtigen Körper passen will. Colter Wall singt schließlich nicht "Songs of the Plains" (so der Titel seines 2018 erschienenen zweiten Albums) oder - wie jetzt - "Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs", weil er damit einem Hype oder einem Image entsprechen will, sondern weil diese Musik aus seiner Seele, aus seinem Herzen kommt. Marketing, Airplay, Charts-Erfolge? Colter Wall scheinen diese Musikbusiness-Parameter am Allerwertesten vorbei zu gehen. Er sattelt seinen Gaul und reitet der untergehenden Sonne entgegen. Ja, vielleicht ist er der tatsächlich der letzte, echte Cowboy-Romantiker.

"Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs" bietet pure Cowboy-Romantik

Der Verdacht liegt nahe. Nehmen wir nur mal den Song "Cowpoke". 1951 von "Ghost Riders in the Sky"-Komponist Stan Jones geschrieben, romantisiert der im Walzer-Takt gehaltene Track das Umherziehen, das Reisen, die Einsamkeit und auch die Armut der frühen Cowboys: "I ain't got a dime in these ol' wore-out jeans, so I'll stop eating steak and go back to beans", heißt es großartig gereimt in dem neu aufgelegten Klassiker, den Wall so überzeugend wie ironiefrei vorträgt. Pedal-Steel und Mundharmonika weinen dazu herrliche Noten-Tränen. Cowboy-Kitsch? Aber Hallo! Aber auch mit Stil.

Noch spartanischer fällt das musikalische Arrangement bei "I Ride An Old Paint Leavin' Cheyenne" aus. Bei der Neuinterpretation des Western-Klassikers klingt Wall gerade so, als ob man in einem Hotelzimmer eine kleine Session mit einem Mikro aufgenommen hätte: Wall, Akustikgitarre, Harp, fertig! Trotzdem fehlt es an nichts. Warum? Weil Colter Wall seine Song-Naturburschen auch in naturbelassener Form zu neuem Leben erweckt. Dave Cobb hätte da vielleicht nicht mitgemacht, doch bei "Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs" übernimmt der junge Musik-Veteran nun selbst die Produktion. Dass er das Handwerk draufhat, zeigt er beispielsweise in "Big Iron". Mit dem flotten Western Swing erweckt er Marty Robbins Gunfighter-Ballade aus dem Jahr 1960 zu neuem Leben.

Am ehesten erinnert Colter Wall im Verlauf der zehn "Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs" an den großen Johnny Cash in dem Wall-Original "Talkin' Prairie Boy". Zu einem hübschen, immer wiederkehrenden Folk-Gitarren-Thema, das sowohl auf Bridge und Chorus verzichtet, erzählt Colter Wall seine Story vom Prärie-Jungen. Von Rap ist sein Sprechgesang trotzdem so weit entfernt, wie ein Vegetarier von einem Büffel-Steak. Noch auffallender aber ist, dass Colter Wall diese nostalgische Welt offenbar komplett verinnerlich hat. Er tickt und er singt wie die alten Cowboys. Und er schreibt auch längst Songs wie die Pioniere jener Tage. Selbst wenn er dafür in einem eher modernen Hotelzimmer verweilt, wie das finale "Houlihans at the Holiday Inn" beweist.

Fazit: Ohne musikalischen Ziehvater Dave Cobb ist Jung-Star Colter Wall noch entschlossener auf Retro-Trip: "Western Swing & Waltzes and Other Punchy Songs" bietet Cowboy-Romantik pur.