Auf ihrem neuen Album "Taking The Long Way" bleiben die Schwestern Martie Maguire, Emily Robison und Natalie Maines ihrem Image treu: Sie gehen volles Risiko, sie bleiben in ihren Aussagen ehrlich, unangepasst und glaubwürdig. Das macht alleine schon die Tatsache klar, dass sie für ihre neue CD keinen Hitschneider wie Dann Huffengagierten, sondern ein echtes Original, eine echte Legende - Rick Rubin. Dass der Soundschmied für Krawall-Combos wie Red Hot Chili Peppers durchaus auch eine Ader für feinfühligen Folk und Country hat, bewies er bei den viel gerühmten Arbeiten mit Johnny Cash. Doch wem sage ich das? Jeder halbwegs informierte Countryfreund weiß dies sicherlich... Dennoch: Rick Rubin und Johnny Cash konnte man sich gut als perfektes Tandem vorstellen. Doch was lockt der bärtige Bär hinter dem Mischpult aus den zerbrechlichen Stimmen der drei The Chicks hervor?
In 14 neuen, meist unter Mithilfe prominenter Co-Autoren (u.a. Sheryl Crow, Keb' Mo, Mike Campbell und Pinks Autorin Linda Perry) entstandenen Titeln geben sie die Antwort: Die The Chicks haben in den vier Jahren seit ihrem letzten Album "Home" etwas an ihrer Unbekümmertheit eingebüßt. Doch wen wunderts? Immerhin haben die drei hübschen Texanerinnen eine ganze Menge erlebt. Als frisch gebackene Mütter nimmt das Familienleben nun einen wesentlich größeren und bedeutenderen Teil in ihrem Leben ein. Davon berichten sie in sanften Folk-Songs wie "Easy Silence", "Lullaby" und "Baby Hold On". In dem rockigen, mit wuchtiger Orgel (Benmont Tench) und satten Beats (Red Hot Chili-Drummer Chad Smith) inszenierten "Everybody Knows" gehen sie dagegen auf Distanz zu ihrem eigenen Superstar-Status; in dem an den frühen Neil Young erinnernden "Not Ready To Make Nice" legen sie noch mal im Streit mit George W. Bush nach. Nein, die The Chicks sind immer noch nicht die braven Landmädels, wie sie der amerikanische Präsident - und leider wohl auch ein Großteil der US-Medien - gerne sehen und hören würde.
Rustikale Rock-Töne bilden dennoch die Ausnahmen der CD. Neben dem erwähnten "Baby Hold On" schlagen lediglich noch das flotte "I Like It" und das robuste, mit hübschen Banjo-Kontrapunkten ausgestattete "Lubbockor Leave It" in die härtere Kerbe. Ein Nachteil ist das freilich nicht. Denn das Trio kann in den ruhigen, bluegrass und folk-verwurzelten Songs herrlich ihr musikalisches Können und ihren unerreichten Satzgesang ausleben. Hier einen Song noch weiter hervor zu heben, ist schlichtweg überflüssig: Alle Titel liegen weit über der gängigen Niveau-Messlatte. Zum Abschluss des Longplayers wagen die Ladys noch einen Fingerzeig auf ihre musikalische Beweglichkeit: "I Hope" besticht als souliger Gospel in bester Norah Jones-Manier. Der Umweg hat sich gelohnt...
Fazit: Das persönlichste - aber auch das nachdenklichste Album der drei Country-Diven. Johnny Cash-Produzent Rick Rubin leistete wieder mal ganze Arbeit.