Bro-Country - Fluch oder Segen für die Country Music?

Jason Aldean

Seit einiger Zeit macht in der Country Music ein Begriff die Runde, der die musikalischen und stilistischen Veränderungen auf den Punkt bringen soll, die das Gesicht des Genres in den letzten Jahren spürbar verändert haben: Bro-Country. Was aber genau verbirgt sich hinter dieser unscheinbar klingenden Wortkreation?

Erstmals verwendet wurde der Begriff vom New Yorker Journalisten Jody Rosen im August 2013. Er widmete einen ganzen Artikel seinem Unverständnis darüber, dass Florida Georgia Lines Hitsingle "Cruise" sich zum erfolgreichsten Country Song aller Zeiten entwickelte. Rosen beschrieb das Lied als belanglos und langweilig, und auch an der Qualität des Songwriting äußerte er deutliche Zweifel. Kurzum sei "Cruise" das perfekte Beispiel für Bro-Country, so Rosen, und er lieferte folgende Definition für dieses neue Phänomen: Musik von und für tätowierte, muskelbepackte, partywütige, junge amerikanische weiße Typen. Als Hauptinhalt der Songs dieses neuen Subgenres definierte Rosen die Themen "sich betrinken" und "flachgelegt werden". Klassische Inhalte wie Heimat, Liebe und andere Erwachsenenthemen suche man im Bro-Country vergebens, so der Autor.

Unwissentlich hatte Rosen so den Grundstein für eine Diskussion gelegt, die im Folgenden erst so richtig an Fahrt aufnahm. Nicht zuletzt dank eines Youtube-Videos namens "Why Country Music Was Awful in 2013" vom damaligen Entertainment Weekly Autor Grady Smith wurde Bro-Country um einige Vorurteile reicher. In dreieinhalb Minuten reihte Smith diverse Ausschnitte von Luke Bryan, Tyler Farr, Blake Shelton, Jason Aldean und diversen anderen Künstlern aneinander, um zu zeigen, dass der neue Sound aus Nashville nur einige wenige Themen kenne, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen: Pickup Trucks, heiße Frauen in hautengen Jeans, einsame Feldwege, Alkohol. Alle diese Klischees werden mittlerweile fast schon automatisch mit Bro-Country in Verbindung gebracht.

Doch ist Bro-Country aufgrund dieser Definition zwangsläufig etwas Schlechtes? Für Puristen und Traditionalisten besteht da überhaupt kein Zweifel. Ihrer Meinung nach ist das, was Nashville da fast wie am Fließband hervorbringt, ein Verrat an den bereits erwähnten klassischen Inhalten, die Country Music einst zu einem großen und erstgenommenen Genre machten. Bro-Country sei lächerlich, und auch die musikalische Entfremdung vom einst so unverwechselbaren Country Sound sei eine Schande. Befürworter der neuen Ära verstehen hingegen die ganze Aufregung nicht. Veränderung sei etwas völlig normales, sagen sie, und was sei schon verkehrt daran, einfach ein wenig Spaß zu haben und die Dinge nicht so ernst zu nehmen? Auf welcher Seite man auch immer steht, im Endeffekt sind es doch die nackten Zahlen, die entscheidend sind. Und ein Blick auf die Charts der vergangenen Jahre genügt, um zu sehen, dass Künstler aus der Bro-Country-Schublade einen Erfolg nach dem anderen feiern konnten.

Wer allerdings glaubt, der Pro-oder-Kontra-Zwist herrsche nur unter den Fans, befindet sich gewaltig auf dem Holzweg. Nein, auch unter den Künstlern ist schon der eine oder andere Hahnenkampf ausgebrochen. Die höchsten Wellen schlug Zac Brown, als er Luke Bryans "That's My Kind of Night" als den "schlimmsten Song, den ich je gehört habe" beschrieb. Nicht unbedingt die feine Art, so über einen anderen Künstler zu reden. Das dachte sich auch Jason Aldean, der seinem Freund Luke gewohnt geradlinig auf Twitter zur Seite sprang: "Glaub mir, wenn ich dir sage, dass es niemanden einen Scheiß interessiert, was du zu sagen hast", lautete seine unmissverständliche Botschaft an Brown. Seitdem brodelt es unter Oberfläche in Nashville. Stars wie Alan Jackson und Gary Allan haben sich bereits kritisch zu den Veränderungen geäußert, die Bro-Country hervorgerufen hat. Allan gab gar zu Protokoll, er habe das Gefühl, sein Genre verloren zu haben. Aldean hingegen wehrte sich in einem Billboard Interview entschieden gegen das Stigma, das ihm und anderen Künstlern angehängt wird. "Dieses ganze Bro-Country Ding, wer auch immer diesen lächerlichen Begriff kreiert hat, soll von Bier oder Trucks oder was auch immer handeln", so der erfolgreichste Künstler der letzten Jahre. "Ja, wir hatten einige Lieder, in denen es darum geht. Aber das ist nun mal genau das, was wir wirklich taten, als wir aufwuchsen. Viele von uns kommen aus diesen kleinen Orten wo es nicht viel zu tun gab, und das war unsere Art der Beschäftigung." Auch der sonstige Sunnyboy Blake Shelton hatte einige deftige Worte parat, die sich an die Traditionalisten richteten. "Niemand will mehr die Musik seines Großvaters hören", sagte er. "Und mir ist es egal, wie viele dieser alten Fürze in Nashville rumlaufen und sagen, 'Mein Gott, das ist nicht Country!' Das liegt daran, dass du keine Alben mehr kaufst, du Esel! Die Jugendlichen tun das, und sie wollen nicht die Musik kaufen, die du früher gekauft hast." Auch dieser Ausbruch blieb natürlich nicht unkommentiert, und Shelton musste viel Prügel für seine Aussagen einstecken. Der Ärger schwappte sogar bis nach Deutschland und CountryMusicNews.de-Redakteurin Bettina Granegger schrieb damals die Reportage "Blake Shelton lässt deutsche Country-Musiker die Toleranz vergessen".

Keine Frage, Bro-Country ist ein heiß diskutiertes Thema, und wird es vermutlich auch noch sehr lange bleiben. Abgesehen von der grundlegenden (und meist etwas kleinkarierten) "gefällt mir oder gefällt mir nicht"-Debatte gibt es allerdings einen gewichtigen Aspekt, der zunehmend argwöhnischer beäugt wird. Es mehren sich die kritischen Stimmen, dass in vielen Texten Frauen zu (Lust-) Objekten degradiert werden. Von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf nicht. Bro-Country ist, wie der Name schon sagt, eine rein männliche Geschichte. In diversen (aber keineswegs allen) Songs wird immer wieder über die eine generische Frau gesungen, die einige essentielle Qualitäten vorzuweisen hat: Sie sieht fantastisch aus. Sie trägt Jeans, die mehr offenbaren als verbergen. Sie weiß, wie man einem Cowboy ordentlich den Kopf verdreht. Sie tanzt gern, vorzugsweise auf der Ladefläche eines Pickup Trucks oder im Scheinwerferlicht. Sie trinkt gern. Weitere Eigenschaften sind nicht gefragt. Ist das nun sexistisch und entwürdigend, oder darf man das Ganze wieder einmal nicht zu eng sehen? Diese Frage muss sich wohl jeder selbst beantworten. Fakt ist, dass weibliche Fans in Scharen zu den Konzerten eben jener Künstler pilgern, die dieses fragwürdige Frauenbild in ihren Liedern vermitteln. Entweder, sie sehen das alles völlig entspannt und fühlen sich nicht angegriffen, oder sie verstehen die Problematik schlicht nicht.

Sehr wohl verstanden haben Maddie Marlow und Taylor Dye. Unter dem Namen Maddie and Tae veröffentlichte das Country Duo vor kurzem die Single "Girl in a Country Song". In dem bissigen Track, der es mittlerweile bis auf Platz 11 der Billboard Hot Country Songs Charts geschafft hat, nehmen die beiden Sängerinnen diverse Lieder aufs Korn, in denen das eben beschriebene Frauenbild zelebriert wird. Von Thomas Rhetts "Get Me Some of That" bis hin zum obligatorischen "Cruise", so einige Künstler bekommen ihr Fett weg. "Das Mädchen in einem Country Song - wie konnte es nur so weit kommen?" singen Maddie and Tae im Refrain. "Als wären wir nur dafür gut, für euch und eure Freunde am Wochenende gut auszusehen. Früher brachte man uns Respekt entgegen. Jetzt können wir froh sein, wenn wir in euren Truck klettern, den Mund halten und bei euch mitfahren dürfen." Doch auch in der männlichen Ecke tut sich mittlerweile etwas in Sachen Darstellung von Frauen. Kenny Chesney etwa wollte auf seinem neuen Album "The Big Revival" mit dem Song "Wild Child" einen Kontrapunkt zu all den Songs setzen, die Maddie and Tae und andere Kritiker in Rage versetzten. "'Wild Child' sagt einem Mädchen, das Träume hat, das ein Freigeist ist, das intelligent und interessant ist, dass sie eine Chance hat, dass sie wertvoll ist", so der Superstar. Ein Ansatz, der bei Fans und Kritikern ein großes positives Echo fand.

Doch zurück zur Hauptthematik. Wer also hat denn nun Recht? Die Kritiker, oder die Befürworter? Ist Bro-Country ein Fluch oder ein Segen für das Genre? Wie so häufig liegt die Antwort wohl irgendwo in der Mitte. Auf beiden Seiten gibt es überzeugende Argumente. Doch im Endeffekt ist es mal wieder eine Frage des Geschmacks. Solange es gefällt, wird es sich auch verkaufen - ganz gleich, ob es sich nun Bro-Country, Hick Hop oder wie auch immer schimpft. Und warum ist man überhaupt so erpicht darauf, allem einen Namen zu geben? War man nicht eigentlich immer stolz darauf, dass Country Music so viele verschiedene Facetten zu bieten hat? Ist unter diesem großen Überbegriff nicht mehr als genug Platz für Bro-Country, Traditional-Country, Alternative-Country und all die anderen stilistischen Ausrichtungen? Der Fehler liegt oft im Detail, heißt es so schön. Vielleicht sollte man deshalb aufhören, sich in Kleinigkeiten zu verzetteln.

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