Roy Orbison ist voll auf der Höhe.
Hinter ihm liegt eine lange Straße voller Hoffnungen, Träume und Engagements, die nur für einen einzigen Abend bestanden. Diese Straße führt zurück zu der texanischen Kleinstadt Wink. Vor ihm liegen Seelenschmerzen, eine persönliche Tragödie, kommerzieller Abstieg und - 20 Jahre später - ein erfolgreiches Comeback. Aber für diese zweieinhalb Minuten vor Millionen von Fernsehzuschauern lebt Orbison seinen Traum.
"Roy hatte immer schon große Träume", sagt seine Witwe Barbara Orbison. "Wenn du aus Wink in Texas kommst, willst du in der ganzen Welt die Nummer Eins sein. Also, vielleicht war ja etwas Großspurigkeit da drin. Roy war ein Träumer."
Roy Kelton Orbison wurde am 23. April 1936 in Vernon, Texas geboren und wuchs in Wink auf. Wink ist so klein, dass man das Städtchen nur in der Richtung verlassen kann, in der man es betreten hat. Sein Vater war ein Mechaniker, der Gitarre spielte; seine Mutter eine Hausfrau, die malte und Gedichte schrieb. Roy, ein blasser, kurzsichtiger Junge, erhielt an seinem sechsten Geburtstag eine Folk-Gitarre von Sears. Es war Liebe auf den ersten G-Dur-Akkord.
"Vom ersten Moment an", erinnert sich Roy, "waren es ich und die Gitarre, Spielen und Singen". Und die Leute drehten sich um nach der seltsam erwachsenen Stimme, die aus der Kehle des schwitzenden Jungen mit der Brille kam. Im Alter von acht Jahren sang Roy bereits auf lokalen Radiosendern die Lieder seiner Helden Ernest Tubb und Lefty Frizzell. In seiner Schulzeit waren er und seine Band, die Wink Westerners, bei Tanzveranstaltungen im westlichen Texas heiß begehrt. Sie bekamen sogar reguläre Auftritte in einer lokalen Fernsehshow.
Roys musikalische Träume nahmen durch Elvis Presleys Live-Auftritt im Jahr 1954, den Roy als Offenbarung empfand, eine präzise Form an. Orbison sagte, er könne nie "stark genug betonen, wie schockierend der hüftschwingende Hillbilly an diesem Abend aussah und mir auch so erschien. Was da aus ihm herauskam, war keine Show. Elvis lebte sich voll aus."
Jahre später gab Elvis das Kompliment zurück, indem er Orbison den "größten Sänger der Welt" nannte. Roy änderte den Namen seiner Band zu "Teen Kings" und gab seinem Sound einen Anflug von Rockabilly, was man besonders bei dem neuen Stück "Ooby Dooby" hören konnte. Das Stück, das aus der Feder von zwei Studenten der North Texas State Universität stammte, erschien auf Roys erster Single und erreichte das Ohr von Sam Phillips, der für Sun Records arbeitete.
Der schüchterne, bebrillte Orbison war ein seltsamer Anblick bei Sun Records, das die Heimat von raubeinigen Individualisten wie Jerry Lee Lewis und Carl Perkins war. Auch wenn es ein Nachschnitt war, erreichte "Ooby Dooby" im Jahr 1956 Platz 56 in den Charts. Roy fühlte sich bald enttäuscht, der Zauber war verflogen.
"Nach dieser Aufnahme ging es bergab", sagte Orbison, "wegen der Dinge, die ich tun wollte und dem, was Sam wollte, das ich tun sollte. Er wollte, dass alles aufwärts geht und zwar schnell - das war in jener Zeit unsere Art von Rock'n'Roll. Musikalisch ging ich meinen eigenen Weg.
Roy verließ Sun, um die nächsten vier Jahren auf der Suche nach seinem eigenen Sound zu verbringen. Im Jahr 1958 machte er einen weiteren Fehlstart, als er in Nashville zwei Singles für RCA Victor unter der leitenden Hand von Chet Atkins aufnahm. Chet war genauso verblüfft von Orbison wie es schon Phillips gewesen war.
Die Schallplatten waren ein Flop. In einer Periode, in der Roys durchschnittliches Jahreseinkommen 1.700,-- US-Dollar betrug, gab es zwei Hoffnungsschimmer. Erstens brachten die Everly Brothers eine Coverversion von seinem Song "Claudette" (das Roy für seine neue Frau geschrieben hatte) heraus, was zu einem Plattenvertrag mit Acuff-Rose führte. Zweitens begann er mit einem Sänger namens Joe Melson zusammenzuarbeiten. Dies sollte nicht nur einen zur der Zeit fehlenden Funken beim Songschreiben erzeugen. Melsons sanfte Stimme - er sang "Sha-la-la-las" und "Dooby-do-wahs" - begleitete Roys Stimme auf vielen Schallplatten, die noch kommen sollten.
Der Durchbruch
Bei Monument Records gelang Orbison 1960 mit "Only the Lonely" Durchbruch. Er erreichte Spitzenpositionen der Charts. Orbison hatte sich zu einem internationalen Star gemausert.
Vor seinem Auftritt in der Ed Sullivan Show nahm Orbison 1963 zwei Lieder in Hamburg auf. Mit Ralph Siegel als Produzent sang er "Mama" und "San Fernando" ein. Ein Sprung in Charts blieb ihm mit diesen beiden Liedern aber verwehrt.
Nach den Hits "Only the Lonely", "Running Scared", "Crying", "In Dreams", "Blue Bayou" und seinem größten Erfolg "Oh, Pretty Woman" wurde Orbison von privaten Schicksalsschlägen heimgesucht. Seine erste Frau Claudette starb 1966 bei einem Motorradunfall. Zwei seiner drei Söhne aus dieser Ehe, Roy, Jr. und Anthony, starben am 14. September 1968 bei einem Brand seines Landhauses. Der dritte Sohn Wesley konnte von Orbisons Eltern in letzter Sekunde gerettet werden.
Die "Single Oh, Pretty Woman" war für lange Zeit Orbisons letzter weltweiter Hit und auch der letzte große Erfolg beim Plattenlabel Monument Records. Für eine Million US-Dollar wechselte er 1965 zu MGM, das ihm einen Spielfilm, "The Fastest Guitar" und einige Fernsehauftritte garantierte. Doch die großen Erfolge blieben aus.
1988 feierte er mit "You Got It" und dem Album "Mystery Girl" ein Comeback, zudem tat er sich mit Bob Dylan, George Harrison, Jeff Lynne und Tom Petty zusammen und gründete The Traveling Wilburys.
Bereits in jungen Jahren litt er an Herzproblemen, Ende der 70er Jahre musste er sich einer Bypassoperation unterziehen. Er starb am 6. Dezember 1988 an Herzversagen und so konnte er sein eigentliches Combeack nicht mehr erleben.
Auf geht's! Tun wir was für den Mann: Einige Stimmen von Orbison-Fans
"Er hatte so etwas an sich, das einem das Gefühl gab, man könne durch ihn hindurch greifen, wenn man versuchte, ihn zu berühren. Es schien, als würde er von einem anderen Stern kommen. Er hatte diese Reinheit, wenn er sang ... und er hatte stets diese Einsamkeit, diesen Abstand." (Bruce Springsteen)
"Keine Stimme hat mich je so bewegt wie die von Roy Orbison. Ich liebte ihn als Person und ich liebte seine Stimme. Ich denke oft an ihn und höre mir seine Lieder immer wieder an." (Dolly Parton)
"Für mich klingt seine Stimme, als ob der Wind Wörter formt und sie dir über die Zeiten hinweg schickt. Seine Stimme klingt so einsam, dass es zu ihr einfach keinen Vergleich gibt. Es fühlt sich teils wie Oper an, teils wie Mariachi, etwas wie ein einsamer Jodler und zum Teil fühlt es sich wie ein irischer Tenor an, der einen Umweg über Texas gemacht hat. Außerdem ist da so etwas sehr zartes, sehr persönliches an seiner Stimme, die einem Gefühle anvertraut, die man zumeist für sich behält. Er hört sich an wie ein Mann, der auch Manns genug zum Weinen ist. Er fühlt sich sowohl neu an, aber auch, als ob er schon seit Jahrhunderten da sei. In der Musik gibt es keinen, der mit ihm vergleichbar wäre." (Tom Waits)
"Die schiere Schönheit und die schmerzende Emotionalität von Roys Stimme und Musik hat mich vom ersten Mal an, als ich ihn hörte, tief bewegt. Seine Persönlichkeit strahlte etwas ebenso Rätselhaftes und Überirdisches aus wie sein Gesang. Weder vor noch nach ihm findet man jemanden wie ihn "” er ist einer der Größten aller Zeiten." (Bonnie Raitt)
"Mit einer der schönsten Stimmen in der Geschichte der aufgezeichneten Musik hätte er locker das Selbstbewusstsein eines Opernstars haben können, aber er war einer der bescheidensten, gutmütigsten Menschen, die je die Erde mit ihrer Anwesenheit geschmückt haben. Und dies trotz der schrecklichen Tragödien in seinem Leben. Ein tapferer, wahrhaft schöner Mann." (Kris Kristofferson)
"Roy Orbison war Teil des Soundtracks meiner Jugendjahre und meines gesamten Lebens. Als ich es geschafft hatte, mit ihm zu singen, war da ganz offensichtlich dieses Gefühl in mir, dass ich seiner nicht würdig bin. Wie hatte ich mir so etwas nur vorstellen können als ich jünger war? Aber das legte sich schnell bei, als ich ihn dann traf. Er war wirklich der sanftmütigste, freundlichste Mann. Ich habe ihn sehr geliebt." (Emmylou Harris)