Als Autor dieser Zeilen möchte ich vorausschicken: Ich war nie ein großer Fan des singenden Marius Müller-Westernhagen. Für mich war er immer ein Schauspieler, der einen Sänger spielt. Das war vermutlich falsch, sicher ungerecht. Seine Songtexte fand ich jedoch immer gut. Aber der Wumms-Bumms-Rock und das auf Rock-Röhre getrimmte Singen waren nicht gerade mein Ding. Ich geb's zu ...
Und jetzt kommt MMW, wie der Schlacks aus Düsseldorf zu seinen besten Zeiten lakonisch genannt wurde, mit diesem Album daher: "Das Pfefferminz-Experiment". Maximaler Skepsis vor dem ersten Ton folgt: maximales Erstaunen nach den ersten Takten. Hoppla. Was ist das denn? Nach dem - in Englisch gemurmelten Einzählen - "one, two, three, four" kommt eine verdammt lässige Akustikgitarre, ein, würde mal sagen, typisches Americana-Riff spielend. Dann die Sprechstimme von Westernhagen, "ich hab' ein Luxusauto ... und ich habe eine teure Wohnung." Nach rund einer Minute singt diese Sprechstimme, und sie macht das einfach nur geil: Herzenswärme. Soulig, bluesig, erdig. Immer noch spielt diese Gitarre diesen starken Riff mit kaum einer Variation. So nach und nach gesellen sich noch weitere akustische Instrumente zum Arrangement des Openers "Mit 18": ein Akkordeon, ein Akustikbass, etwas Percussion. Spätestens als in der Bridge eine Fiddle grandios aufgeigt wird klar, dass wir es mit einem Novum zu tun haben: Americana auf Deutsch.
"Das Pfefferminz-Experiment" – Americana auf Deutsch
Damit Americana authentisch klingt, sollte man wohl weder ein deutsches Studio noch ausschließlich deutsche Musiker dafür buchen. So sah das wenigstens Marius Müller-Westernhagen. Für die Aufnahmen von "Das Pfefferminz-Experiment " hat er sich deshalb das geschichtsträchtige Dreamland-Studio in Woodstock, Bundesstaat New York, ausgesucht und sich für die Sessions mit exzellenten Musikern umgeben, darunter: Kevin Bents (Piano, Keyboard, Akkordeon), Jack Daley (Bass) sowie Multiinstrumentalist Larry Campbell. Letzterer, einst unentbehrlich in Bob Dylans Band, übernahm auch die Produktion des Albums.
Mit diesem kompetenten Team machte sich Westernhagen an das Material seines 1978 erschienenen Erfolgsalbums "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz". Melodien, Akkorde, Texte fungierten dabei lediglich als Bausteine; als Rohstoff, aus dem Westernhagen und seine Musiker etwas völlig Neues formten. Man muss deshalb schon sehr genau hinhören, um die Klassiker, die einst den Ruhm Westernhagens begründeten, überhaupt wiederzuerkennen.
"Willi Wucher" kommt als träger, schleppender, total relaxt gespielter Folk-Blues daher; das bissige Zuhälter/Prostituierten-Drama "Oh Margarethe" verströmt im trägen, souligen Blues eine magische Wirkung; das politisch absolut unkorrekte - und vermutlich einst als Gegenentwurf zu Randy Newmans "Short People" erdachte - "Dicke" bringt Latino-Flair und abgefahrene Operettenhaftigkeit auf einen Nenner; und dann noch die sparsam arrangierten Folk-Säuferballaden "Alles in den Wind" und "Johnny Walker", die mit jeder Textzeile mehr traurige Wahrhaftigkeit offenbaren, als wohl alle aktuellen Country-Drinkin’-Songs aus Nashville zusammen genommen.
Marius Müller-Westernhagen läuft zur Höchstform auf
Den damaligen Titeltrack und Top-Hit "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" hat Westernhagen in ein traditionelles, an eine launige Blues-Session denken lassendes Outfit gesteckt: das perfekte Arrangement, um den großartigen Text zur Geltung zu bringen. MMW läuft dabei röhrend, knurrend und glucksend als Sänger zur Höchstform auf.
Keine Frage, mit knapp 71 Jahren ist aus dem singenden Schauspieler ein (wenn überhaupt noch) schauspielernder Sänger geworden. Ein großartiger Geschichtenerzähler war er schon immer. Doch nun, in diesen abgespeckten, auf's wesentliche reduzierten Arrangements bekommen seine grandiosen Wortspiele und Textwendungen eine völlig neue Dimension.
Fazit: Das ist keine Neuaufnahme seines Erfolgsalbums, es ist ein Geniestreich! Mit "Das Pfefferminz-Experiment" beweist Marius Müller-Westernhagen, dass authentische Roots-Musik auf Deutsch machbar ist. Verleiht ihm einen Americana Music Award!
Label: Polydor (Universal) | VÖ: 8. November 2019 |
01 | Mit 18 |
02 | Zieh dir bloß die Schuhe aus |
03 | Willi Wucher |
04 | Oh, Margarethe |
05 | Alles in den Wind |
06 | Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz |
07 | Dicke |
08 | Giselher |
09 | Grüß mir die Genossen |
10 | Johnny W. |