Ferris & Sylvester im Interview mit CountryMusicNews.de über das neue-Album und die anstehende Tournee
Ihr habt Gestern eine Show gespielt und dabei auch die Songs von Eurem neuen Album "Otherness". Hat Euch das sehr nervös gemacht? Live spielen ist ja immer ein Test ohne Netz und doppelten Boden…
Issy Ferris: Ja, stimmt. Das ist wirklich immer eine Nagelprobe. Und ja, wir waren nervös. Aber das ist für mich ein gutes Zeichen. Denn wenn man nervös ist, heißt das, dass man das Ganze ernst nimmt - und das tun wir.
Archie Sylvester: Wir haben gestern vier oder fünf neue Songs zum ersten Mal live gespielt, was ziemlich viel ist. Normalerweise packt man auf einer Tournee ein oder zwei neue Songs in die Setlist. Doch wir waren mutig und haben mehrere gespielt - und das hat sich gelohnt. Die Resonanz auf die neuen Tracks war überwältigend. Man hofft ja immer, dass das neue Material gut beim Publikum ankommt. Aber wissen kann man das vorher nie…
Wie groß war das Publikum und wo habt ihr die erste Show der Tournee gespielt?
Archie Sylvester: Wir haben in einer kleinen Stadt in den Midlands namens Milton Keynes gespielt. Da waren vielleicht so 200 Leute da.
Issy Ferris: Es war eine der kleineren Städte und es war wirklich schön. Wir gehen bei einer Tour immer erst in die Kleinstädte, bevor wir in den großen spielen.
Archie Sylvester: Und wir spielen anfangs immer in den kleineren Venues. Je länger eine Tour dauert, desto größer werden auch die Konzerthallen. In London spielen wir dann in einer Halle mit rund 600 Leuten Kapazität. Das ist dann schon ganz schön groß.
Issy Ferris: Mit London verbindet uns ja auch viel. Da haben wir uns kennen gelernt und dort haben wir angefangen, gemeinsam aufzutreten.
Geht ihr mit den gleichen Musikern auf Tour, mit denen Ihr auch das Album aufgenommen habt?
Archie Sylvester: Mehr oder weniger. Wobei auf dem Album zwei Leute Schlagzeug gespielt haben, und ich bin auch noch ein Drummer. Ein Songwriter-Drummer. Es reicht für Snare und Bass-Drum. Wenn ein Song mehr braucht, weiß ich, wo meine Grenzen sind.
Ich habe von anderen Songschreibern gehört, dass es sinnvoll ist, etwas Schlagzeug spielen zu können. Es soll beim Rhythmus der Lyrics helfen. Seht Ihr das genauso?
Issy Ferris: Ja, absolut. Archie hat immer schon den Rhythmus eines entstehenden Songs im Kopf. Ich finde das wirklich inspirierend. Weil Archie dieses Ohr für den Groove hat, finden die Hooks auch immer ihren richtigen Platz - und das ist beim Songwriting ein wichtiger Aspekt.
Archie Sylvester: Man kann die Melodie oder die Hookline einfach durch die Art des Gesanges verändern – singt man schnell, oder lässt man sich Zeit oder singt man auf den Punkt genau. Das macht viel aus. Ich finde es interessant, was wir darüber gerade sprechen. Denn Timing ist wichtig. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass das Timing beim Singen wichtiger ist als die richtige Tonlage. Versehe mich nicht falsch, die Tonlage ist sehr wichtig. Aber das Timing - wo man was platziert - ist für mich noch wichtiger. Damit kann man die Atmosphäre eines sehr Songs verändern und den Hörern ein bestimmtes Feeling vermitteln
Was kommt zuerst, wenn ihr einen Song schreibt: der Text oder die Melodie?
Issy Ferris: Das ist mal so, mal so. Ich würde sagen, dass ich ein bisschen lyriklastiger bin. Manchmal, wenn wir uns ans Schreiben machen, habe ich eine Menge Notizen auf meinem Handy, mit Ideen und Texten oder kleinen Sprachnotizen mit bestimmten Wörtern. Aber ich glaube nicht, dass wir eine feste Formel für das Songwriting haben.
Archie Sylvester: Nein, haben wir auch nicht. Auf "Otherness" haben wir zwei Songs, die mit einer Groove-Idee begannen. Von da aus sind wir weitergegangen und haben den Rest komponiert. Das haben wir vorher noch nie so gemacht. Aber es war inspirierend und das ist wichtig. Man darf es sich nicht immer zu leicht machen und immer nach dem gleichen, bewährten Schema komponieren. Das wird dann zur Routine. Deshalb probieren wir immer wieder etwas Neues aus.
Issy Ferris: Exakt. Es bringt einen weiter, wenn man gelegentlich die Komfortzone verlässt. Archie macht das immer wieder. Er ist ein unglaublicher Gitarrist. Eine konventionell gestimmte Gitarre kann er besser spielen, als jeder andere. Aber er stimmt sie öfters um, um sich herauszufordern und um neue Inspirationen zu bekommen. Die Musiktheorie halte ich dagegen für gar nicht so wichtig, da vertrauen wir schon lieber auf unser Gefühl und komponieren aus dem Bauch und aus dem Herzen heraus.
Zwischen dem ersten Song des Albums "Dark Side" und dem letzten, "Love Is Real", liegen musikalisch Welten: der Opener ist ein Bluesrock-Knaller, der letzte Track ein subtiler Folk-Song. Als welche Art von Band würdet Ihr Euch beschreiben?
Issy Ferris: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, für uns ist es im weitesten Sinne Blues, aber du hast es gerade auf den Punkt gebracht: Wir machen nicht nur Blues.
Archie Sylvester: Wie wäre es mit: Folk-Blues-Rock 'n' Roll-Band mit einem Hauch von Psychedelic?
Prima, aber ich vermisse dabei Americana - wo ihr doch im letzten Jahr einen Americana-Award bekommen habt…
Archie Sylvester: Stimmt. Und wir lieben auch Americana. Die traditionellen amerikanischen Musikformen haben uns sicher sehr beeinflusst. Aber ehrlich gesagt, denken wir beim Songwriting gar nicht so sehr an irgendwelche Genres. Hauptsache der Song hat das bestimmte Etwas.
Issy Ferris: Um ehrlich zu sein, wissen wir immer noch nicht so genau, was man unter Americana überhaupt versteht: Es ist Blues drin, Folk, Country. All´ das machen wir auch … mitunter …
Vielleicht ist es auch egal, welches Etikett man Eurer Musik verpasst. Schließlich gibt es doch nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte, richtig?
Archie Sylvester: Völlig richtig. So sehen wir das auch.
Wer sind Eure wichtigsten Vorbilder?
Archie Sylvester: Da gibt es so manche: Led Zeppelin, aber auch Country-Einflüsse sind für uns wichtig, Leute wie Glenn Campbell und Jimmy Webb. Von den modernen Acts finden wir Brittany Howard und die Alabama Shakes stark.
Issy Ferris: Und natürlich Nick Cave ... Außerdem liebe ich noch Joni Mitchell und Dolly Parton. Das sind wirklich starke Frauen mit richtig starken Songs. Ach ja, Fleetwood Mac wären auch noch da.
Archie Sylvester: Richtig, Fleetwood Mac. Ich mag beide Versionen der Band – die Urbesetzung mit Peter Green an der Gitarre und dann auch die spätere, mit Stevie Nicks und Lindsey Buckingham. Zwei völlig verschiedene Bands, wenn man es genau nimmt. Die erste Besetzung ist aber mein Favorit, schon alleine deshalb, weil Peter Green einer meiner Gitarren-Idole ist.
Das bringt mich zu meiner nächsten Frage: Ihr seid verheiratet und ihr macht beide zusammen Musik - genau wie Stevie Nicks und Lindsey Buckingham. Die waren, bevor sie bei Fleetwood Mac einstiegen, wie Ihr im Duo unterwegs.
Issy Ferris: Ja, stimmt. Das kommt gar nicht so häufig vor, dass Ehepaare auf diese Weise zusammenarbeiten - und es ist auch nicht immer ganz leicht. Da wir sehr leidenschaftlich sind, bei dem was wir tun, kann man sich schon mal in die Wolle kriegen. Aber wir können damit umgehen. Unsere Regel heißt: am Ende des Tages muss jeder Streit begraben sein. Das kriegen wir auch immer hin.
Übrigens, optisch erinnert ihr mich sogar etwas an die jungen Stevie und Lindsey…
Issy: Schon klar, und ich bin Lindsey (lacht).
Archie Sylvester: Wie wäre es mit Peter Green & Stevie Nicks? Das wäre mir lieber. Nichts gegen Lindsey Buckingham, aber mit Peter Green kann er nicht mithalten.
Ich habt Euch bereits mit einigen Stars die Bühne geteilt. Zum Beispiel mit Robert Plant…
Archie Sylvester: Wir hatten das Glück, ihn mehrfach zu treffen. Einmal bei den letztjährigen Americana Awards. Er hat den Preis für das beste Internationale Album gewonnen, wir für das beste nationale Album. Das erste Mal kreuzten sich unsere Wege aber schon 2018 beim Bath Festival. Er war Headliner und wir waren im Lineup, was eine große Ehre für uns war. Unsere Garderoben waren gegenüber und so hat er nach unserem Auftritt bei uns reingeschaut. Puh, das war schon ein Moment… Robert Plant, die Rocklegende. Aber er ist ein absoluter Gentleman und sehr freundlich. Er sagte, dass er unseren Auftritt genossen hat und dass wir schöne Harmony-Vocals draufhätten. Das war schon ein großes Kompliment.
Issy Ferris: Und dann habt ihr die ganze Zeit über Fußball geplaudert…
Archie Sylvester: Stimmt. Er ist ein Fan der Wolverhampton Wolves, ich bin Fan von Crystal Palace. Also haben wir etwas fachgesimpelt. Ganz stressfrei, wie unter guten Kumpels.
Witzig, Ihr trefft eine echte Rock-Legende und sprecht über Fußball…
Archie Sylvester: Ich denke, das ist genau das Geheimnis von diesen großen Musikern oder Schriftstellern, die ein Millionenpublikum erreichen: sie sind bodenständig geblieben und können mit jedem über alles sprechen. Sie haben die Bodenhaftung nicht verloren.
Ihr habt auch im Vorprogramm von Zucchero gespielt
Issy Ferris: Wir haben ihn sogar bei drei Tourneen begleitet und es war immer total lustig und gut. Er ist sehr nett und seine Crew ist cool. Das ist noch alte Schule, mit vielen, großen Trucks, 50 Crewmitgliedern und fantastischem Catering.
Archie Sylvester: Als Vorband musst du paar Dinge beherzigen, dann funktioniert das auch: Sei immer auf die Minute pünktlich – beim Soundcheck und beim Gig. Komme immer zur abgemachten Zeit und überziehe nie. Wenn du das geregelt bekommst, gibt es auch ein ordentliches Catering (lacht).
Issy Ferris: Bei der letzten Tour haben wir sogar unseren kleinen Sohn mitgenommen und die ganze Zucchero-Crew war total süß zu ihm. Dafür waren wir ihnen echt dankbar.
Zucchero hat ja immer wieder mit Blues-Acts zusammengearbeitet. Habt Ihr mit ihm über eine Zusammenarbeit gesprochen?
Archie Sylvester: Nein, haben wir nicht, vielleicht machen wir das beim nächsten Mal. Man muss bedenken, der Mann ist ein echter Rockstar. Fünf Minuten vor dem Auftritt taucht er auf, dann setzt er seinen Hut auf und rockt die Bühne. Anschließend schmaucht er backstage eine Zigarre. Er ist schon echt cool.
Es heißt, ihr hättet beim Deutschland-Besuch von King Charles und Queen Camilla für das Königspaar gespielt. Stimmt das?
Archie Sylvester: Es war eine große Ehre, dafür angefragt zu werden. Ja, wir kamen mit unserer Band dafür extra nach Hamburg und wir haben für die Royals eine Show gespielt. Leider kam das Königspaar für unseren Auftritt etwas zu spät. Immerhin haben wir sie kennen lernen dürfen und ihnen die Hände geschüttelt. Ich habe etwas herumgeflachst und ihm gesagt, dass wir abends noch eine Show auf der Reeperbahn spielen würden, da könnte ich die beiden auf die Gästeliste setzen.