Damit ja kein Zweifel über seine Vitalität aufkommt, legt Delbert McClinton mit dem Opener, dem über vierminütigen "Mr. Smith" gleich mal derartig zupackend los, dass man vermuten könnte, bei dem Track handelt es sich um einen verschütt gegangenen Titel der Blues Brothers: Ein tempogeladener Blues-Shuffle mit schneidigem Bläsersatz, Gospel-Chor, wummernder Orgel, mitreißenden Sax- und Trompeten-Soli und dazu the Man himself, Delbert McClinton, als kratzbürstigen Conférencier und Storyteller. Der Vergleich mit den legendären Blues Brothers liegt übrigens ohnehin nahe: Schließlich war Delbert McClinton einst bei dem Projekt beteiligt und steuerte den einen oder anderen Titel für die Herren Belushi und Aykroyd bei.
Delbert McClinton – der musikalische Grenzgänger...
Das ist Geschichte. Musikgeschichte sogar. Trotzdem muss sich Delbert McClinton Anno 2019 nicht gegenüber seiner glorreichen Vergangenheit verstecken. Nein, er liefert immer noch. Immer noch versteht es der musikalische Grenzgänger, der im Rhyhtm and Blues und Soul genauso seine Spuren hinterlassen hat, wie im Country und Rock 'n' Roll, knapp verdichtete Titel mit maximaler Energie zu schreiben - und diese auch entsprechend zu interpretieren.
Man nehme nur die weiteren Tracks der mit 14 Titeln üppig ausgestatteten CD: "If I Hock My Guitar" serviert wuchtigen, ungeschminkten Blues; traditionell, aber mit eigener Note versehen. Beim nachfolgenden, so witzigen wie schmissigen "No Chicken On The Bone" serviert er einen wundervollen Texas Swing - sehr jazzig, sehr cool. Was vor allem an McClintons Geiger erinnert, der mit seiner Spielweise weniger an die üblichen Western-Fiddlern, sondern an Django Reinhardts Sideman Stéphane Grappelli denken lässt.
Natürlich ist damit noch längst nicht das harmonische und rhythmische Portfolio des texanischen Altmeisters ausgereizt. Ganz im Gegenteil. Jeder Song bietet: eine Überraschung. Bei "Let's Go Down Like We Used To" wird es funky und soulig, bei "Gone to Mexico" präsentiert er Calypso-Rhthmen im Stile eines Tex-Mex-Tanzorchesters in den 50er Jahren und bei "Lulu" kredenzt er knisternden Bar-Jazz; ein Genre, ein Sound, dessen er sich im Verlauf der CD noch öfters mit leichter Hand bedient. Beim swingenden "Ruby & Jules" etwa, oder bei der langsamen, zurückhaltend interpretierten Ballade "Any Other Way".
...steht bei "Tall, Dark & Handsome" über den Dingen
Wie weit Delbert McClinton mit seinen 79 Jahren, knapp 30 Alben, zwei Grammys und unzähligen Konzerten über den Dingen steht, belegen - auch - die zwei letzten Tracks seiner neuen Song-Kollektion: In dem düsteren, dunklen, mit Dissonanzen versehenen Klavierstück berichtet der musikalische Nonkonformist knapp vier Minuten lang, wie es so ist, wenn man sich "Temporarily Insane" (zeitweise krank) fühlt, und gewährt dabei einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche. Ja, Tom Waits lässt hier grüßen. Das finale, einminütige, super-schräge, mit Fliegentönen und verstimmten Banjo-Melodien traktierte "A Poem" hätte sich aber wohl nicht mal Mr. Waits aufzunehmen getraut.
Fazit: Ein Phänomen. Mit seinen 79 Jahren zieht Delbert McClinton auf "Tall, Dark & Handsome" alle musikalischen Register: kreativer und dreister denn je. Respekt!
Label: Hot Shot (H'Art) | VÖ: 21. Juni 2019 |
01 | Mr. Smith |
02 | If I Hock My Guitar |
03 | No Chicken on the Bone |
04 | Let's Get Down Like We Used To |
05 | Gone to Mexico |
06 | Lulu |
07 | Loud Mouth |
08 | Down in the Mouth |
09 | Ruby & Jules |
10 | Any Other Way |
11 | A Fool Like Me |
12 | Can't Get Up |
13 | Temporarily Insane |
14 | A Poem |