Die Pistol Annies zeichneten sich stets durch einen unkonventionellen Sound aus, und auch bei Presleys Debüt wird schnell klar, dass sie mit ausgelutschten Mainstream-Klängen nur wenig am Hut hat. Der Auftakt "Ain't No Mean" beginnt mit einer schrammeligen Gitarre, einem ungeduldigen Schlagzeug und einer bluesigen, sumpfigen Strophe. Presleys angenehme Stimme ergänzt dieses eigenwillige Arrangement zu einen Gesamtkonstrukt, das aneckt, aber irgendwie auch Charme hat. Gleiches gilt auch für das folgende "All I Ever Wanted". Es sind keine Melodien, die sich zäh wie Honig auf die Ohren legen, sondern vielmehr ungewöhnliche Inszenierungen, die gefallen, weil sie anders sind. Nach druckvollen E-Gitarren oder pompösen Arrangements sucht man zunächst vergeblich. Etwas zugänglicher wird es mit "Grocery Store", bei dem trotz des eher gemächlichen Tempos an manchen Stellen zart aufgedrehte Verstärker vernehmbar sind und der Sound ein wenig griffiger ist. Der Titeltrack "American Middle Class" ist dann eine mit einem Hauch von Twang versehene Nummer, die von Presleys bescheidenen, mittelständischen Wurzeln im ländlichen Kentucky berichtet. Besonders unterhaltsam ist die gesprochene Einleitung durch den Vater der Künstlerin, dessen Akzent wohl selbst bei Muttersprachlern für Verständnisprobleme sorgen könnte.
Das Leben in den Südstaaten steht auch bei "Dry County Blues" im Vordergrund. Der grimmige Song malt ein düsteres Bild von Arbeitslosigkeit, Langeweile, Drogenkonsum, und der illegalen Beschaffung von Alkohol. Erinnert irgendwie an die beißenden Beobachtungen von Kacey Musgraves, was Presley hier vermittelt. Erfrischend, dass auch ernste Thematiken ihren Platz in der Country Music finden. Ähnlich beklemmend geht es mit "Pain Pills" weiter. Trotz der fast schon schmissigen musikalischen Begleitung ist die Botschaft des Liedes alles andere als rosig. Presley beklagt den weit verbreiteten Missbrauch von Schmerzmitteln, der Menschen zu Grunde richtet. Es ist dieses Talent, mit der Musik Geschichten zu erzählen, das die brünette Sängerin auszeichnet. Das zeigt sich auch bei "Knocked Up", in dem Presley einen sarkastisch angehauchten Blick auf eine (oder vielleicht gar ihre?) ungewollte Schwangerschaft wirft.
Richtig persönlich wird es dann bei "Drunk", einer gnadenlosen Abrechnung mit ihrem Ex-Mann, dem Vater ihres Kindes. Presley klagt an, dass sie alle Last des Lebens schulterte, während ihr Partner seine volle Aufmerksamkeit dem Alkohol widmete. Harter Tobak, aber hier spielt wohl das klassische Konzept von Musik als Therapie eine tragende Rolle. Abgesehen von der Thematik zählt der Song auch musikalisch zu einem der herausragenden Stücke des Albums. Wenn schließlich nach dem groovigen "Blessing and a Curse" die letzten Klänge des melancholischen "Surrender" erklingen, endet ein Hörerlebnis, das anspruchsvoll, aufwühlend und schlicht anders als das ist, was die Country Industrie gewöhnlich hervorbringt.
Fazit: Angeleena Presley liefert mit "American Middle Class" ein Album ab, auf dem mit den Texten noch wirkliche Geschichten erzählt werden. Musikalisch eigenwillig, aber dennoch voller Emotionen beansprucht die Künstlerin eine musikalische Nische für sich, die ihr so schnell niemand streitig machen wird.
Label: Slate Creek (hier nicht veröffentlicht) | VÖ: 14. Oktober 2014 |
Titelliste
01 | Ain't No Man | 07 | Life of the Party |
02 | All I Ever Wanted | 08 | Knocked Up |
03 | Grocery Store | 09 | Better off Red |
04 | American Middle Class | 10 | Drunk |
05 | Dry County Blues | 11 | Blessing and a Curse |
06 | Pain Pills | 12 | Surrender |