"This is How the Future Sounds" von Inge Lamboo ist ein Album für Zuhörer, die es mögen, wenn Songs nicht nur konsumiert, sondern erlebt werden
Inge Lamboo, Jahrgang 1998, stammt aus dem niederländischen Lisserbroek, einem Ort, den das deutsche Wikipedia nicht einmal kennt und der sich auf der Landkarte genauso unscheinbar ausnimmt wie Lamboos Anfänge auf Social Media. Doch was die Multiinstrumentalistin, die die meisten Instrumente ihres neuen Albums selbst spielt, dort mit Mashups zwischen britischem Alternative Rock, Fleetwood Mac und sanften Country-Klängen trieb, war nicht nur Clickbait für gelangweilte Scroll-Daumen. Es war klug, stilsicher und traf offenbar einen Nerv. Jedenfalls begannen nicht nur Größen wie Lindsey Buckingham oder Pink, ihre Videos weiterzuempfehlen - letztere brachte sie bei Sony ins Gespräch. Der Rest ist kein Märchen - aber eine dieser Geschichten, in denen der Algorithmus nicht der Bösewicht ist.
Inge Lamboo - so klingt die Zukunft
Ihr zweites Album trägt den Titel "This is How the Future Sounds", was natürlich großspurig klingt, aber aus dem Mund dieser Künstlerin weniger wie eine Kampfansage und mehr wie ein freundlicher Vorschlag wirkt. Der Sound ist irgendwo zwischen Country-Pop, 2010er-Radio-Softness und dem warmen Timbre analoger Melancholie angesiedelt. Es ist abwechslungsreich, dennoch wirkt das alles wie aus einem Guss, so unterschiedlich Lamboo die Schwerpunkte der einzelnen Stücke auch legen mag.
Anfang und Ende ihres Albums bilden einen Kreis - musikalisch wie thematisch. Beide Songs lehnen sich an einen klassischen Country-Sound an, doch während der erste den Blick nach vorn richtet, schaut der letzte zurück: nicht verzagt, sondern gelassen, vielleicht sogar ein wenig stolz. "Like a Phoenix" heißt der Opener und der macht schnell klar, dass hier niemand mit wehenden Fahnen davonprescht. Kein hektischer Aufbruch, kein Synthie-Stakkato mit Zukunftspathos aus der Konserve. Stattdessen: ein moderner Country-Song mit feiner Zurückhaltung. Kraftvoll, ohne laut zu sein. Emotional, ohne rührselig zu werden.
Inge Lamboo singt mit einer Klarheit, die im Pop selten geworden ist. Ihre Stimme dominiert, aber sanft, ohne den Drang, im Mittelpunkt stehen zu müssen. Man spürt in jeder Zeile: Das hier ist kein Aufguss alter Geschichten, sondern der Auftakt zu etwas Neuem. Und das beginnt nicht mit Getöse, sondern mit Haltung. "Like a Phoenix" macht keinen Hehl daraus, dass die Zukunft ungewiss sein mag - es jedoch eine Freude ist, ihr entgegenzutreten. Optimismus statt düsterer Blicke. Mit offenen Augen und einem Sound, der keine Angst vor Reibung hat, denn was hier nach den Weiten des Westens klingt, modern, aber doch tief verwurzelt in seinen Klangwelten, wird im zweiten Stück vollkommen aufgelöst: "Lying Eyes" bricht stilistisch mit dem zuvor Gehörten. Eine traurige Liebesgeschichte, aber kraftvoll - und glasklarer Radiopop ohne nerviges Autotune. Zumindest in den eher ruhigen Momenten, in denen Lamboo die Akustikgitarre spielt, hört man für einen kurzen Moment eine Verbundenheit zum Einstiegssong ihres zweiten Albums.
Pete Townshend lässt bitten
"Somewhere in Between" derweil macht den Stil zum Titel. Fing dies alles nicht mit einem Country-Song an? Sind wir jetzt, mit dem dritten Song, im Formatradio gelandet? Mitnichten, denn "Call Out Your Name", Song Nummer 4, ist ein cooler Ritt durch den Westen. Man schmeckt den Staub dieses Ritts förmlich auf den Lippen, ohne Hektik, den Blick in den Sonnenaufgang (oder Untergang?) gerichtet. Es ist niemand Geringeres als Pete Townshend, der den Takt vorgibt. Ja, Pete Townshend von "The Who" spielt die Gitarre bei einer dieser Nummern, die sich zwischen Herz und Spannungsbogen bewegen wie ein gut gesetzter Filmschnitt. Townshend, sonst eher in Rockopern und nicht gerade auf TikTok und Instagram zuhause, entdeckte Lamboo durch eines ihrer viralen Videos. Er nahm Kontakt zur Niederländerin auf, und digitale Fernkommunikation macht es möglich: Man muss heute nicht zwingend in einem Studio miteinander agieren, um dennoch gemeinsam eine musikalische Reise antreten zu können.
Unaufgeregte Popwelten auf "This is How the Future Sounds"
"This is How the Future Sounds" wirkt wie eine gemütliche Rückkehr in die Welt des Pops - eingängig, unaufgeregt, ohne große Ausreißer nach oben oder unten. Ein Song, der sich mühelos in die Playlist schleicht, aber nicht mit großen Überraschungen aufwartet. Im Vergleich zum emotional stärkeren Nachfolger "Two Empty Eyes" fehlt ihm etwas die Tiefe. Dieser wiederum erzählt auf sehr gefühlvolle Weise von einer vergangenen Liebe. Der Track startet noch ganz klassisch im Pop-Gewand, bekommt durch den Einsatz der Bassdrum aber eine unerwartete Wendung und offenbart Lamboos Liebe zum Alternative Country. Das verleiht dem Stück eine interessante Crossover-Note, die sie später in "Best I Can" sogar noch weiter ausreizt, indem sie verschiedene Stile zu einer stimmigen Synthese verbindet.
Was Inge Lamboo auf diesem Album vor allem trägt, ist ihre Stimme. Sie erinnert von Zeit zu Zeit an die junge Alanis Morissette - besonders dann, wenn sie vielstimmig und ganz ohne Effekthascherei übereinandergelegt wird. Klassisch, klar und unverstellt. Das ist ihre ganz große Stärke. Die Texte dagegen sind eher eine kleinere Baustelle. Sie haben zwar Anfang, Mitte und Ende, erzählen persönliche Geschichten, doch es sind eher kleine Momentaufnahmen als große, packende Erzählungen. Keine Geschichten, die mit dramatischer Wucht fesseln oder mit umwerfenden Bildern um sich werfen, sondern intime Einblicke, die sich viel mehr über Melodien, Stimmungen und das Arrangement vermitteln.
Genau darin liegt die eigentliche Qualität: Die Melodien sind eingängig, aber keinesfalls beliebig. Sie besitzen genug Haken, mit denen sie sich am Trommelfell festhaken, statt nur angenehm vorbeizuschwirren. Mit "Higher" liefert Inge Lamboo noch einmal einen entspannten Radiosound, bevor sie mit "Bleed" musikalisch zurück in den Westen reist - modern, mit klaren Bezügen zum Pop der 2010er Jahre, der die verschiedenen Klangwelten, in denen sie sich bewegt, kraftvoll und harmonisch verbindet.
Das Ende
So schließt sich der Kreis am Ende von "This is How the Future Sounds". Wo "Like s Phoenix" den Aufstieg in die Sonne symbolisierte, legt "Age of Nostalgica" den Fokus auf die Rückkehr: ein reines Country-Stück, getragen einzig von Lamboos Stimme und einer Gitarre. Die musikalische Reise endet klassisch, versöhnlich - und mit dem Gefühl, dass hier etwas Echtes und Eigenes entstanden ist.
Fazit: Inge Lamboo gelingt mit "This is How the Future Sounds" ein einfühlsames, stilsicheres Popalbum, das mehr über Atmosphäre und Klangfarben erzählt als über große Geschichten. Ihre Stimme, klar und unverstellt, wird zum Ankerpunkt in einem Klangkosmos, der Country, Pop und Alternative zu einer stimmigen Einheit verbindet. Das Album verzichtet auf Pathos und Effekthascherei, punktet dafür mit feiner Arrangement-Kunst und einer unverkennbaren, persönlichen Handschrift. Es ist ein Album für Zuhörer, die es mögen, wenn Songs nicht nur konsumiert, sondern erlebt werden - mit allen Ecken und Kanten, die genau das ausmachen.