Es ist das derzeit vielleicht frechste, unverschämteste, provokanteste, dazu aber auch eines der ehrlichsten Album der jüngeren Geschichte. Und: Selten hat man auf einer CD so viele unterschiedliche Musik-Elemente und abgefahrene Ideen zusammenkommen hören.
Paul Cauthen traut sich was
Was treibt den aus Tyler, Texas, stammenden Sänger und Songschreiber nur dazu an? Die pure Lust am Radau, an der Provokation? Oder ist es gar der Frust darüber, dass ihn die Country-Gemeinde bisher weitgehend ignoriert hat? Schließlich haben es seine drei bisher erschienenen Alben nicht sonderlich weit gebracht. Lediglich sein 2016 erschienenes Solo-Debüt "My Gospel" bescherte der ehemaligen Hälfte des Duos "Sons Of Fathers" einen Eintrag in der Country-Bestenliste - mit einem bescheidenen 50. Platz. Die nachfolgende EP "Have Mercy" (2018) schaffte es dagegen auf Rang 22 der "US Heat" Charts und "Room 41", sein letztes, 2019 erschienenes Album kletterte auf Platz zwei der "Heat" - und auf Platz 18 der "Indie"-Charts. In der Country-Hitliste konnten beide nicht landen. Frust? Aber Hallo!
Nun, vielleicht erklärt das sein vermutlich eher schwieriges Verhältnis zum Sound aus Nashville. Und vielleicht ist das auch die Motivation für Songs wie dem verwegen betitelten Opener "Country as Fuck", in dem Nashville-Granden wie Tim McGraw und Kenny Chesney ihr Fett abbekommen ("… real Cowboys don't rock to Kenny Chesney."). Musikalisch hat das freilich nichts mit handelsüblicher Country-Ware zu tun, wenn eine funky Gitarre à la Nile Rogers und ein souliger Groove auf rustikale Honky-Tonk-Vibes treffen. Ergebnis ist ein lustiger, ein irrwitziger Mix, dem der kellertief grummelige Gesang von Paul Cauthen die Krone aufsetzt.
Kein Wunder, dass Cauthen für die Sessions von "Country Coming Down" nicht nach Nashville ging (lediglich für Overdubs und Mixes buchte er hier Studios), sondern das Album in Dallas, im heimischen Texas, aufnahm. Mit den Musikern, Produzenten und Songschreibern Beau Bedford und Jason Burt scharte der Country-Rebell zwei kongeniale Begleiter um sich. Man spürt, man hört: Hier ist ein unberechenbares Team am Werk, das zu überraschen weiß.
Irrwitziger Stilmix, abgefahrene Ideen: "Country Coming Down"
Immer wieder, wie im Verlauf der zehn Tracks deutlich wird. Mal erinnert das würzige Gebräu an die Synthie- und Blues-Experimente von ZZ Top ("Caught Me At a Good Time", "Country Clubbin'"), ein anderes Mal serviert er schrägen, dennoch eingängigen New-Wave-Style ("Champagne & a Limo 2"), dann wieder erinnert er mit Kopfstimmen-Chor und Sound-Flitter an alte Glam-Rock-Tage à la Gary Glitter ("Cut a Rug") oder David Bowie ("Till The Day I Die"). Gegen Ende des Albums kredenzt er noch eine operettenhaft gesungene, kompositorisch an Elton John gemahnende Country-Pop-Ballade ("Roll On Over") und - zum Finale - den leisen, akustischen, mit vollem Ernst präsentierten Titeltrack.
Es ist ein Abgesang auf das Genre - oder auf das Land. Oder auf beides. Man sollte mal bei Paul Cauthen nachfragen, wie das so gemeint ist. Dass er damit mit ziemlicher Sicherheit wieder nicht die Country-Charts stürmen wird, dürfte ihm egal sein - und sagt in dem heftigen Country-Blues "Fuck You Money" gleich mal, was er von kommerziellem Erfolg hält.
Fazit: Klarer Fall von Rebell: Paul Cauthen besingt mit den Songs von "Country Coming Down" den Abgesang des Genres - oder des Landes. Ein Album voller Überraschungen aber auch Wahrheiten.
Label: Velvet Rose / Thirty Tigers (Membran) | VÖ: 1. April 2022 |
01 | Country as Fuck |
02 | Caught Me at a Good Time |
03 | High Heels |
04 | Country Clubbin' |
05 | Champagne & a Limo |
06 | Fuck You Money |
07 | Cut a Rug |
08 | Till the Day I Die |
09 | Roll on Over |
10 | Country Coming Down |