Heiligenhaus? Selbst der ein oder andere Bewohner des größten Bundeslandes dürfte kurz überlegen, wo sich die Stadt befindet. Also gut. Die Stadt mit rund 25.000 Einwohnern liegt im Norden des Kreises Mettmann und so im Städtedreieck Essen-Düsseldorf-Wuppertal. Die Location "Der Club" ist ein Zentrum für Freizeit und Kultur, das von der Bevölkerung rege frequentiert wird; gestern Abend nicht nur für das Konzert, sondern auch für individuellen Gitarrenunterricht und das Training im orientalischen Bauchtanz.
Ganz so vielseitig wie die Angebote der Einrichtung fällt der Besucherdurchschnitt nicht aus - es dominiert eindeutig der gereifte Musikfreund der Generation Ü40. Aus der Perspektive des Hauptakteurs auf der Bühne also quasi alles Jungspunde, feierte Lawson im vergangenen April doch bereits seinen 71. Geburtstag.
Die Show startet mit "Love On Arrival" vom 2011er Album "Drive Time”. Eine flotte Nummer, die ihrem Namen alle Ehre macht, denn von den ersten Takten an schlägt der Band viel Sympathie des mit 140 Zuschauern ausverkauften Clubs entgegen. Nahezu jede Solo-Einlage erhält - und das völlig zu Recht - Szenenapplaus. Stephen Burwell (Fiddle) und Joe Dean (Banjo) haben sichtlich Spaß bei der "Arbeit" und die Grimassen von Josh Swift (Dobro) zeugen ebenfalls von einem hohen Wohlfühlfaktor innerhalb der Formation.
Vier Jahre ist der letzte Besuch von Lawson und Gefolge in Deutschland her - offenbar für Fans und Künstler eine zu lange Zeit. Schnell entschuldigt sich der Mann, der seit über fünf Jahrzehnten Bluegrass-Geschichte schreibt, dafür, dass man keine CDs mitgebracht habe. Nach dem letzten Auftritt in den Staaten sei man quasi direkt in den Flieger gestiegen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb steht das neue Werk "In Session: 33 Strings + 6 Pickers + 6 Voices = Reading, Riting & Rhythm” im Mittelpunkt des Abends. Mit dem antreibenden "Rolling Big River" stellt die Band gleich die erste Single der Scheibe vor - mal wieder ein No.1 Hit in den Bluegrass-Charts. Doch nicht nur mit Musik wird an diesem Abend bestens unterhalten. Josh Swift, immerhin schon seit zehn Jahren an Bord von Quicksilver darf es sich herausnehmen, Witze mit dem ergrauten Bandleader zu bringen. Beispiel gefällig? Swift zu Lawson: "Dein Haar sieht heute wirklich gut aus. Schade nur, dass du es im Hotel gelassen hast". Doch auch Lawson ist nicht schlecht drauf: "Ich spiele gerne Instrumental-Songs, weil ich dabei nur die Hälfte zu tun habe", erklärt der Senior mit einem verschmitzten Lächeln, bevor es mit dem "Evening Prayer Blues" den einzigen Song ohne Gesang von der neuen Platte zu hören gibt. Natürlich vergisst Lawson nicht zu erwähnen, dass der Titel im Original von Bill Monroe stammt, den Lawson als Fünfjähriger erstmals hörte, und den er seit dem zu seinem Vorbild erkoren hat.
Auch zu den neuen Songs gibt es einiges zu erfahren. So berichtet Lawson, dass die Ballade "Calling All Her Children Home" bereits sein zehn Jahren auf dem Tisch hatte, den Track von Carl Jackson und Aaron Wilburn aber erst jetzt aufgenommen hat. Bassist Eli Johnston überzeugt beim Leadgesang mit seiner warmen Stimme, die einfach wunderbar zu der gefühlvollen Nummer passt. Dass aber wirklich alle Musiker über einen überzeugenden Gesang verfügen, beweis unter anderem das A capella dargebotene "Get On Board" vom 2014 erschienenen Gospelwerk "Open Carefully, Message Inside". Unfassbar harmonisch und einfach nur genial!
Im Laufe des zweiteiligen Sets mit einer Gesamtlänge von rund zwei Stunden singt sich aber vor allem Gitarrist Dustin Pyrtle in die Ohren und Herzen der Fans. Der Mann, der erst seit 2013 bei Quicksilver ist, überzeugt bei seinen zahlreichen Songs mit einer enorm kraftvollen und wunderbar klaren Stimme. Allein seine Performance des 1979 erschienenen Titels "I'll Be With You" ist das Eintrittsgeld wert. Ganz nebenbei tauscht der erst 23-Jährige Banjo-Spieler Joe Dean dabei sein Instrument gegen die Pyrtles Gitarre ein und zeigt auch da sein Können. Als Pyrtle dann mit "'Til The End" noch einen weiteren Klassiker zu Gehör gibt, setzt es erstmals stehende Ovationen. Auch für Publikumswünsche sind Lawson und Co. zu haben. So gibt es "Help Is On The Way" zu hören, das sich ein Besucher in der Pause bei den Musikern gewünscht hat. Der Sound in der kleinen Halle erfüllt alle Ansprüche; einige Besucher sprechen von CD-Qualität und liegen damit goldrichtig.
Auch nach dem Konzert, das mit dem famosen "Blue Train" endet, präsentierten sich die US-Amerikaner vorbildlich und erfüllen jeden Wunsch nach einem gemeinsamen Foto oder einem Autogramm. Unter dem Strich ein großartiges Konzert, das alle Besucher begeistert hat. Bluegrass-Fans sollten auf jeden Fall eins der noch ausstehenden Konzerte besuchen. Nicht nur, um dem Großmeister an der Mandoline noch einmal auf die Finger zu gucken, sondern auch, um die tolle Band zu hören. Nicht umsonst gilt Quicksilver in Musikerkreisen als eine Art Elite-Universiät. Alle Musiker, die bei Doyle Lawson ausgebildet wurden, können inzwischen selbst auf eigene Karrieren blicken. Einfach mal Jamie Dailey von Dailey und Vincent fragen.