Über 30.000 Zuschauer beim Country2Country in London

Country 2 Country London

Die Zac Brown Band und Brad Paisley waren die Headliner des zweitägigen Country2Country-Festivals in der Londoner O2-Arena. Rund 35.000 Zuschauer bekamen einen hochkarätigen Querschnitt des aktuellen Nashville-Sounds geboten - auch wenn der deutlich mehr von Rock als von Country geprägt ist.

Wer am Wochenende des 15./16.3. keine Lust hatte, in den Fahrplan zu sehen, fand auch so problemlos nach North Greenwich zur O2-Arena. Man musste sich lediglich der Subway-fahrenden Schar von Cowboyhüten anschließen - die führte einen zielsicher in den Osten Londons.

Ja, ja, unter den rund 35.000 Gästen beim Country2Country-Festival fanden sich ganz schön viele Stetson-Träger. Pi mal Daumen 20 Prozent. Ein Prozentsatz, den die aktiven Bühnenmusiker garantiert nicht erreichten. Hier und da mal ein Sideman, der sich den Hut aufsetzte. Und natürlich Brad Paisley - der am zweiten Festivaltag den Headliner gab - den man sich ohne weiße Kopfbedeckung gar nicht richtig vorstellen kann. Was Hut mit Musik zu tun hat? Jede Menge ...

Den ersten Festivaltag eröffnete um Punkt 16.45 Uhr Martina McBride mit ihrer grandiosen Band. Die Halle war um diese Zeit schon gut gefüllt. Und das will was heißen, denn in London zog an diesem dritten März-Wochenende der Frühling ein. Man sollte fast sagen: der Sommer. Die Menschen schlenderten in T-Shirts und Shorts über die Straßen der Stadt und machten auf jeder Grünfläche Picknick. Doch was ein echter Countryfan ist, nimmt darauf natürlich keine Rücksicht. Wann hat man schließlich schon die Gelegenheit, acht Nashville-Großkaliber gebündelt in Europa zu erleben? Selten genug.

Martina McBride hatte deshalb keine Mühen, die Zuschauer zu begeistern. Ihre Trümpfe: klasse Stimme, top Bühnenpräsenz und eine gelungene Songauswahl. Neben ihren Hits wie "Independence Day", "Wild Angels" und "A Broken Wing" servierte sie auch zwei Evergreens: "(I Never Promised You A) Rose Garden" von Lynn Anderson und den Elvis-Klassiker "Suspicious Minds".

Ein hervorragender Auftakt - an den Dierks Bentley anzuknüpfen versuchte. Indes mit anderen Stilmitteln. Nach seinem zwischenzeitlichen Bluegrass-Ausflug hat es den smarten Lockenkopf mit seinem letzten Album "Riser" ganz und gar auf die Rock-Seite verschlagen. Das hört man, das sieht man: Die Drums donnern bombastisch, die Gitarren und Bässe hängen den Musikern lässig weit unten am Knie und der Sound nimmt es in Punkto Dezibel locker mit Motörhead oder dergleichen auf. Nur gelegentlich blitzen Country-Elemente durch. Songs wie "Every Mile A Memory", "Back Porch" oder "How Am I Doin‘" entwickeln aber dennoch Charme und Feeling. Bei "Riser" fühlt man sich bei dieser ganz auf Arenen zugeschnittenen Gitarrenlinie dann aber doch an ein U2-Konzert erinnert. Egal. Als Entertainer ist Dierks Bentley ein Ass. Er springt ins Publikum, greift sich das Arbeitsgerät vom Kameramann und erzählt launige Stories über sein Leben und seine Karriere. Als gelungene Reminiszenz an England präsentiert er - er weiß wie die Briten ticken - eine Bluegrass-Version des Pink-Floyd-Klassikers "Wish You Were Here". Paradoxerweise ist der Track der einzig echte Countryverweis in seiner Show. Zum Abschluss lässt er vom Band reinsten Metal vom Schlage "Iron Maiden" aus den Boxen dröhnen. Skurril - aber auch irgendwie witzig.

Um kurz vor halb acht schlendert BBC-Moderator Bob Harris auf die Bühne, um die Dixie Chicks anzukündigen. Die drei Damen haben sich wieder zusammengetan und sind erneut auf Erfolgskurs. Gegenüber England pflegen sie, seit sie einst hier gegen George Bush gewettert haben, ohnehin eine ganz besondere Beziehung. Entsprechend euphorisch ist der Empfang für Emily Robison, Martie Maguire und Natalie Maines, als sie mit "The Long Way Around" ihr Set beginnen. Im Mittelpunkt natürlich Natalie Maines. Die hat sich neuerdings eine Radikalfrisur zugelegt, mit der sie irgendwie an den italienischen Irokesen-Fußballer Balotelli erinnert. Eine Frisur, die sagt: ich bin kein braves Mädchen. Ich bin wild und überhaupt nicht angepasst. Wer weiß, vielleicht sieht sie sich von Miley Cyrus herausgefordert, die mit ihren Eskapaden gerade die Schlagzeilen dominiert. Könnte sein, zumal sie in der Mitte des Sets eine Coverversion des Miley-Hits "Wrecking Ball" anstimmt - und den Song gesanglich natürlich in eine andere Liga überführt. Was Maines & Co. drauf haben wird vor allem aber in den ruhigeren Titeln deutlich: Im Patty-Griffin-Cover "Truth#2" oder im Fleetwood-Mac-Klassiker "Landslide". Mittendrin dreht die Band erstaunlich auf. "Goodbye Earl" oder "Sin Wagon" bieten Hardrock reinsten Wassers. Irgendwann kickt Natalie Maines ihre High-Heels weg, um ein strampelndes, stampfendes, headbangendes Rumpelstilzchen zu geben. Mit dem folkig-schönen "Wide Open Spaces" und dem finalen Bob-Dylan-Song "Mississippi" scheinen dann aber alle ihren inneren Frieden gefunden zu haben. Keine Frage: ein Comeback nach Maß.

Den Headliner am ersten C2C-Tag gibt dennoch die Zac Brown Band. Die amerikanischen Überflieger verweigern sich natürlich auch bei ihrem Europa-Ausflug konsequent allen Country-Klischees und bieten einen bunten Mix aus - ganz, ganz vielen Zutaten. Zum Style gehören Latzhosen, Schlabber-Shirts, Pferdeschwänzen, Bärte und Holzfällerhemden. Alle acht Musiker sind unglaublich gut drauf. Sie hüpfen, tänzeln und lachen sich über die Bühne, dass man den süßlichen Geruch von Gras in der Nase und das Bild von Grateful Dead oder den Allman Brothers vor dem inneren Auge hat. Im Mittelpunkt der Show natürlich Zac Brown himself. Ein bärtiger Bär mit Wollmütze und Honigstimme. Auf seine stämmige, waldschratige, hosenträgerspannende Art sieht er richtig gut aus - gesund und kernig, wie ein junger, alternativ-gestrickter Kenny Rogers. Und zupackend ist auch das 18 Titel umfassende Programm. Darunter finden sich ihre Hits wie "Whiskey’s Gone", "Natural Disaster", "Toes" und "Let It Rain". Mal geht es in Folk, mal in Reggae-Richtung. Mal spielt der Gitarrist Piano, dann zupft Zac Brown den Bass. Und bei dem Metallica-Cover "Enter Sandman" gibt Bassist Driskell Hopkins den Sänger - was er offenkundig genießt. Ob der Song in die Setlist passt? Egal, Hauptsache es macht Spaß. Vielleicht die Erfolgsformel dieser etwas anderen (Country)Band?

Während am zweiten Tag ab 16.15 Chris Young mit solidem Country-Rock den Anheizer gab, konnten wir im Backstage-Bereich mit Rascal Flatts sprechen. Für das Trio ist der Auftritt beim C2C-Festival bereits die dritte Konzertreise nach England: bietet die große Show auch die große Chance? "Nun ja, das kann die Tür schon ein gutes Stück weit aufmachen", sagt Sänger Gary LeVox. Bei ihrem Auftritt werden sie aber kein speziell auf Europa zugeschnittenes Programm bieten, sondern "ein typisches Festival-Programm" und meint damit ein Best-Of ihres mit Hits gespickten Kataloges. Wir wollten von der erfolgreichsten Boygroup im modernen Country wissen, ob - ihrer Meinung nach - das Line-Up des C2C-Festivals den aktuellen Zustand der Country-Musik beschreibe. "Ja, das kann man so sagen", meint Gitarrist Joe Don Rooney, während durch die Katakomben der Halle das herrliche "Don’t Close Your Eyes" von Chris Young dröhnt, "jedenfalls steht das Festival für die Top 40 der Countryszene." Auf den Hinweis, dass die Top-Acts von Nashville wenig mit Roots-Klängen gemeinsam hätten, reagiert der Dreier abgebrüht - bis dezent genervt. Offenbar haben sie diesen Einwand schon oft, vielleicht zu oft gehört. "Die Countryszene ist in Bewegung", sagt Bassist Jay DeMarcus, "das ist aber auch gut so, und das war auch schon immer so." Kann man so stehen lassen. Bevor Rascal Flatts an der Reihe sind, geben die drei Geschwister von "The Band Perry" ihre musikalische Visitenkarte ab. Auf der finden sich schon ein paar Hits wie "If I Die Young" und "Done". Vor allem aber überzeugt das Trio - mit formidabler Backingband im Rücken - durch einen druckvollen, kraftvollen Sound und präzisen Arrangements. Man merkt: Die Band ist erstklassig eingespielt. Dreh- und Angelpunkt der Show ist natürlich das akustische und optische Aushängeschild: Kimberly Perry. Im kurzen Leder-Mini, Stiefeln und einem ärmellosen, durchtrainierte Oberarme zur Schau stellenden Top gibt sie ein sexy Kraftpaket. Nicht weniger kräftig ist ihre Stimme. Manchmal meint es die blond gelockte Sängerin mit der ihr zur Verfügung stehenden Power aber zu gut, dominiert sie zu sehr den Bandsound. Auch wenn ihr Bruder Neil Mandoline spielt und immer wieder eine Fiddle aufwiehert, ist The Band Perry ein Rock-Act. Und clever. Als Verbeugung vor dem britischen Publikum gibt es eine Geigen-Version von "God Save The Queen", Reid Perry schwenkt dazu - nein, gar nicht pathetisch - den Union Jack.

Um Punkt 19 Uhr sind Rascal Flatts dran. Ihre Show bietet genau das, was man von dem smarten Dreigestirn erwarten darf: geschliffene Arrangements, druckvoller Sound, die grandios hohe Stimme von Gary LeVox und einige wundervolle Harmony-Vocals. Vom Opener "Banjo" bis zur Zugabe "Life Is A Highway" bietet die Show 60 Minuten gute und gefällige Unterhaltung - solide Wertarbeit, aber ohne Überraschungsmoment. Bei einem Titel rollt auf der Großleinwand ein blitzblank polierter, knallroter Vintage-Cadillac durchs Bild. Wie dieses Gefährt ist auch die Musik von Rascal Flatts: ästhetisch, blitzblank poliert aber auch ohne Ecken und Kanten.

Für den krönenden Abschluss des zweiten Country2Country-Festivals sorgt Brad Paisley und Band. Eine gute Wahl. Denn Paisley ist nicht nur ein hervorragender Gitarrist und Sänger - er ist vor allem auch ein begnadeter Entertainer. Und dazu ein echter Scherzkeks. Das beweist er beispielsweise bei der Bandvorstellung, als er sich - scheinbar spontan - dazu entschließt, seinen Bandmitgliedern irgendwelche europäischen Nationalitäten zuzuschreiben. Da wird aus dem Pedal-Steel-Gitarristen ein Schwede (ließ das Publikum gelten), aus dem Keyboarder ein Franzose (lautstarke Buhs vom Publikum) und aus dem aus Ohio stammenden Kenny Lewis ein Deutscher - was dem armen Kerl tausendfache Buhrufe bescherte. Besser erging es da schon Drummer Ben Sesar, den New Yorker machte er kurzerhand zum Engländer - und frenetischer Applaus war dem kraftvollen Grobmotoriker sicher. Was zeigt uns das? Dass der gemeine Countryfan naiv und leichtgläubig ist und verarscht werden will? Oder dass Brad Paisley genau weiß, wie sein Publikum tickt? Vermutlich beides. Dazu kommt: dass er ein unverbesserlicher Witzbold ist, der Musik und Show nicht allzu ernst nimmt. Unterm Strich sind das beste Voraussetzungen für gelungene Unterhaltung. Während seines Programms streift er durch seinen Backkatalog. Er bietet Mainstream-Country ("American Saturday Night"), Klassiker ("Old Alabama") und abgefahrene Instrumentals (das Van Halen-Cover "Hot For Teacher"); er huldigt Legenden, für den verstorbenen George Jones lupft er den Hut. Er marschiert ins Publikum und gibt auf einer kleinen Satelliten-Bühne ein kurzes Akustik-Set. Er albert, plaudert, reißt Witze, lacht und hat bei seinem Job offenbar jede Menge Spaß. Für den ruhigsten Moment sorgt er mit "Whiskey Lullaby" - und man war gespannt, wen er für dieses Duett als Partnerin vorzeigen wird. Es ist - naheliegend - Kimberly Perry. Dass sie stimmlich nicht mit der im Original singenden Alison Krauss mithalten kann, war ohnehin klar. Dass sie aber auch bei diesem wehmütigen Titel die Wuchtbrumme gibt, wäre nicht nötig gewesen. Egal, die Show war gut. Dass sie nicht sehr gut war, lag an dem offenkundig tauben Tonkutscher. Der drehte Bass und Drums bis zur Schmerzgrenze auf und beeinträchtigte damit wesentlich das Klangbild. Mit "Alcohol" endete schließlich das zweite Country2Country-Festival um 22.15 Uhr. Anfang März 2015 geht das Festival dann in die dritte Runde.

Fazit: Das Festival hat es sich zur Aufgabe gemacht, die heißesten Acts Nashvilles in Europa bekannt(er) zu machen. Wie die Zuschauerreaktionen beweisen, dürfte man diesem Ziel einen guten Schritt weiter gekommen sein. Die Acts waren in Spiellaune, Organisation und Technik liefen wie am Schnürchen. Bleibt die Frage: Wann steigt in Deutschland ein C2C?

vgw
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