Das zweite Deutschlandkonzert - am Vortag trat er bereits in Untermeitingen auf - war großes Kino! Oder sollte man besser sagen: Autokino? Denn Chesnutt gelang es spielend, Country-Lebensart in Hamburg zu demonstrieren. Der Groove seiner ausgezeichneten Mitstreiter - zwei Akustikgitarristen, ein Bassist und ein Fiddler - führte von Anfang an in die derbe Kneipenwelt der Honky Tonks, wo gestandene Männer in ihre Biere flennen, über Beziehungskrisen lamentieren und tröstenden Sex suchen. Sofern sie nicht schon unter dem Tisch liegen. Ähnlich wie Frank Sinatra und sein Rat Pack auf Las Vegas' Casino-Bühnen Privatparty vorspielten, feierten Chesnuttund seine Truppe im Grünspan feuchtfröhliche Kumpelei (nur nicht im Smoking). Die hätten so auch an irgendeinem Tresen in Nashville sitzen können.
"German Beer Rocks!" brüllte Bassist Steve Ledford sichtlich begeistert. Den Jim Beam kippten die Texaner direkt aus der Flasche in den Rachen und spülten mit Beck's nach. Das Publikum johlte ob dieser Schlucklust. Schau-Saufen von Leuten, die es beherrschen. Und die dann hochprofessionell in David Allan Coes "Jack Daniels If You Please" einfallen können, dass es kracht, als sei gerade der nächste Bar-Brawl ausgebrochen, die Schlägerei zum Feierabend. Chesnutt und Band, stilvoll auf Barhockern, hatten sichtlich Spaß an ihrem Job. Souverän und lässig aus dem Handgelenk geschüttelt bearbeiteten sie die Instrumente. Und es war ein Vergnügen, ihnen dabei zuzusehen. Neben Songs aus seinen letzten beiden bei AGR Television Records erschienenen Alben "Heard It in a Love Song" (2006) und "Savin' the Honky Tonk" (2004) reihte Mark Chesnutt seine Greatest Hits aneinander. Die wunderschöne Ballade "Ol' Country" etwa. Oder die flotte Hyme an seinen Lone-Star-Heimatstaat: "Blame It on Texas". Das herrlich verkaterte "It Sure is Monday" dürfte ihm am Morgen nach dem Konzert schmerzhaft im Kopf gewummert haben. Denn darin besingt er die Folgen eines durchzechten Wochenendes.
Der Abend bewies neben Chesnutts Trinkfestigkeit aber noch etwas ganz anderes. Für ihn ist Country und besonders Honky Tonk mehr als Musik: Sie ist sein Leben. Und dass unterstrich er eindrucksvoll mit Klassiker wie "Mama Tried" von Merle Haggard, "You're Something Special to Me" von George Strait oder Waylon Jennings' "Luckenbach, Texas (Back to the Basics of Love)". Doch dabei schmückte sich Chesnutt, der seinen weißen Stetson so tief ins Gesicht gezogen hatte, als müsse er die gleißende, texanische Sonne abwehren, nicht mit fremden Federn. Er zollte seinen Vorbildern und Freunden Tribut. Imitierte nicht, sondern verpasste den Songs eine eigene Note - und dafür liebte ihn das Publikum. Da konnte er sich sogar locker einen vergnüglichen Seitenhieb auf die Beatles erlauben. Als Leadgitarrist Delaney Jackson ihn darauf hinwies, dass die Reeperbahn der Geburtsort der Fab Four sei, gab Chesnutt nur trocken zurück: "What do I care? I drank beer with George Jones!" Ein Vergleich, den sicher auch Jon Flemming Olsen, Markus Schmidt und Uwe Frenzel von Texas Lightning nachvollziehen konnten, die sich die Show ansahen.
Der Abend endete mit einer hinreißenden Version von Willie Nelsons Country-Blues "Night Life". So kam nach aller Bierseligkeit noch ein leicht ernüchternder Schlusston auf. Denn dort heißt es lapidar: "Night Life/Oh, it ain't no good life/Ah, but it's my life". Die pragmatische Erkenntnis, dass auf jede Party das Morgengrauen folgt. Wer wüsste das besser als Mark Chesnutt? Der musste schon in aller Herrgottsfrühe den nächsten Flieger erreichen.