Das Problem mit dem Tempo
"Viele Sender bevorzugen für ihr Programm ein schnelles Tempo, sodass weniger Sendeplatz zur Verfügung bleibt", erklärt Bob Walker, Programmdirektor (PD) von WCTK in Providence, Rhode Island.
"Ein Song mit dem richtigen Tempo wird von den Hörern schneller angenommen", stimmt Mike Kennedy, Vizepräsident (VP) Operations, KBEQ und KFKF in Kansas City, Missouri, zu. "Es werden mehr schnellere Songs veröffentlicht, die eher den Durchbruch schaffen. Country-Balladen brauchen länger, um richtig anzukommen und sich durchzusetzen - es sei denn, es ist eine Monsterballade. Ist sie jedoch perfekt gemacht, kann sie genauso schnell einschlagen."
"Tempo steigert die Verweildauer", so John Paul, VP Programmgestaltung bei Dial Global Radio Networks und PD des Hot-Country-Formats. "Sender mit temporeichem Programm kommen offenbar besser an. Sie haben mehr Schwung und höhere Werte bei der Verweildauer. Kein Programmdirektor will, dass sein Sender einschläfernd wirkt."
"Man könnte sagen, bei Country-Balladen ist es ein Auf und Ab", sagt J.R. Schumann, PD und Musikdirektor (MD) bei WWKA in Orlando, Florida. "Es gibt Zeiten, in denen Country-Balladen besser ankommen als andere Songs und umgekehrt. Ich denke, der Schlüssel ist die Hookline. Die Hörer wollen einen Song, bei dem sie mitsingen können. Egal ob langsam, gemäßigt oder schnell - hat er das gewisse Etwas, kommt er beim Publikum an. Country-Radiosender sind ständig auf der Suche nach Scheiben, die zum Ohrwurm taugen."
"Das Weltgeschehen hat viel damit zu tun, wie Country-Balladen akzeptiert werden", so Kevin Callahan, PD bei KSON in San Diego. "Wenn die Leute das Radio anschalten, wollen sie Musik hören, die ihrer Stimmung entspricht. Manchmal wollen sie abrocken und einen Jason Aldean-Song mitgröhlen oder aber ein paar Bierchen trinken, während sie Randy Houser hören. Aufgrund der momentanen Wirtschaftslage brauchen die Leute heutzutage vielleicht eher etwas Aufmunterung und das Tempo verbessert ihre Laune. Ich denke, das ist ein Kreislauf. Irgendwann wird sich die Lage ändern, und Country-Balladen haben wieder bessere Chancen."
Buzz Jackson, PD bei KIIM in Tucson, Arizona, räumt ein, dass er nicht genau sagen kann, warum Country-Balladen es schwerer haben, und dass er das bedauert. "Die besten Songs in diesem Format sind normalerweise Country-Balladen", sagt er. "Bei Musiktests schneiden immer die gleichen Songs am besten ab: Tim McGraws "Don’t Take the Girl" (Larry Johnson und Craig Martin), Garth Brooks' "The Dance" (Tony Arata) und Alan Jacksons "Remember When" (Alan Jackson). Meiner Meinung nach liegt das Problem zum Teil bei den Programmverantwortlichen, die sich sehr auf das Tempo konzentrieren. Wahrscheinlich ist das so, weil viele von ihnen vom Chartradiokommen. Meine Philosophie war schon immer: 'Ein guter Song ist ein guter Song - egal was für ein Tempo er hat.'"
Aus Sicht der Labels
"Die meisten Programmdirektoren wollen, dass ihre Sender Energie und Dynamik ausstrahlen und Country-Balladen passen offenbar nicht zu dieser Strategie", sagt Tom Baldrica, VP Promotion und Radiomarketing bei Show Dog-Universal Music. "Deshalb werden sie im Vorfeld intensiver geprüft und nicht so schnell ins Programm genommen."
"Country-Balladen brauchen länger, weil das Radio immer auf Tempo bedacht ist, um die gesamte Atmosphäre des Senders anzutreiben", fügt Adrian Michaels, ehemaliger VP Promotion bei Curb Records und jetziger Präsident von TopNotch Entertainment, hinzu. "Eine großartige Country-Ballade wird bei den Zuhörern immer ankommen. Es muss nur gelingen, sie ins Radio zu bringen. Bei der Programmgestaltung wird heutzutage meist auf Tempo geachtet. Außerdem sind nicht alle Balladen gute Balladen. Nur die allerbesten schaffen es an die Spitze der Charts."
Van Haze, VP Promotion bei MCA Nashville sagt: "Country-Balladen haben zur Folge, dass der Sound einer Radiostation ruhiger wird - zumindest höre ich das oft von den Programmdirektoren. Bis zu einem gewissen Grad kann ich das verstehen. Ist das Thema einer Country-Ballade nicht extrem bewegend, wird es schwer. Aber ich neige zu der Ansicht: Wird eine Country-Ballade gespielt, bringt es die Zuhörer dazu, etwas genauer und aufmerksamer zuzuhören. Und das ist ja nicht schlecht."
Bob Reeves, ehemaliger VP Promotion bei Warner Music Nashville, gibt zu, dass ihn der ausbleibende Erfolg von Country-Balladen erstaunt. "Ich fand es schon immer etwas seltsam, dass langsame Songs in unserem Format häufig hintenan gestellt werden", sagte er. "Diese Country-Balladen kommen heutzutage sehr oft am besten an und werden zu den größten Hits. Ein Hit ist ein Hit, egal wie schnell er ist. Es erscheint unsinnig, nur deshalb auf einen Song zu verzichten, den die Zuhörer hören wollen, weil er langsam ist."
Darauf kommt es bei Country-Balladen an
Auf die Frage, welche Eigenschaften eine Country-Ballade haben muss, um den Durchbruch zu schaffen, nennen die Führungskräfte der Musikindustrie eine Vielzahl von Kriterien.
"Der Trick ist eine gute Story mit ansprechender Melodie", sagt Walker von WCTK. "Die Handlung kommt bei den Fans manchmal schneller an, wenn sie in eine Country-Ballade gepackt ist - es sei denn, sie ist besonders mitreißend."
"Betrachtet man die Gemeinsamkeiten der erfolgreichsten Country-Balladen, sieht man, dass sie entweder einen guten Handlungsstrang besitzen oder das Herz berühren", so Jackson von KIIM. "Eine Country-Ballade dringt leichter zum Hörer durch, denn sie ist oft viel besser geschrieben und man versteht, was gesungen wird. Schnelle Songs sind oft so überproduziert, dass der Songtext bei der Produktion nur an zweiter Stelle steht."
Für Schumann von WWKA "hängt alles vom gewissen Etwas ab. Je schneller der Hörer den Text auswendig kennt, desto besser."
"Eine Ballade braucht Dramatik, sei es nun der Sound an sich oder der extrem berührende Text", sagt Kennedy von Kansas City. "Manchmal muss es den Zuhörer schnell packen und mitreißen."
Für Paul von Dial Global geht es immer um die Handlung des Songs. "Der Songtext spielt besonders bei Country-Balladen eine große Rolle. Bei schnellen Songs steht die Musik im Vordergrund, während es bei Country-Balladen eher um die Aussage des Songs geht. Wir Programmdirektoren müssen bei all unseren Entscheidungen nach Gefühl suchen. Country-Balladen sind da sehr geeignet."
"Angesichts der heutigen Stimmungslage ist eine positive Aussage in einer Ballade wichtig", so Callahan von KSON. "Songs wie "God Gave Me You" (Dave Barnes) von Blake Shelton, "If Heaven Wasn’t So Far Away" (Dallas Davidson, Rob Hatch, Brett Jones und William Seaborn) von Justin Moore und ein Song, mit dem wir hier bei uns großes Glück hatten, "Love Don’t Run" (Ben Glover, William Leathers und Rachel Thibodeau) von Steve Holy, haben alle einen aufmunternden Songtext, der auf Liebe oder schönen Erinnerungen basiert. Songs wie "Cost of Livin'" (Philip Coleman und Ronnie Dunn) oder Bradley Gaskins "Mr. Bartender" (Gaskin) waren nicht so erfolgreich, da sie den Zuhörer nicht in eine heile Welt entführen, wie diese sich das wünschen - auch wenn beide Songs außergewöhnlich gut waren."
Der Moment der Entscheidung für Country-Balladen
All diese und noch weitere Faktoren müssen die Verantwortlichen der Labels abwägen, wenn sie entscheiden, welche Songs als Singles veröffentlicht werden. Laut Haze machen Country-Balladen nur einen geringen Prozentsatz der Singles aus, die sein Label jedes Jahr herausbringt. Michaels erinnert sich an ähnliche Diskussionen, die es schon bei Curb gab: "Es gab keine bestimmte Strategie, wenn es darum ging, wie viele Country-Balladen im Jahr herausgebracht wurden. Mir war nur immer wichtig, dass sie großartig sein mussten."
"Die Ballade muss eine Geschichte erzählen, mit der sich das Zielpublikum des Senders identifizieren kann", beschreibt Baldrica die ideale Ballade für eine Singleauskopplung. "Die Melodie muss Bewegung haben und zu einem emotionalen Höhepunkt anschwellen. Eeine Ballade ohne Dynamik wird es nie ins Radio schaffen, da die Verantwortlichen für die Programmgestaltung wollen, dass ihr Sender Energie ausstrahlt."
Für Haze ist der Songtext entscheidend. "Country-Balladen sind bekannt dafür, dass sie etwas bedeuten und Gefühle auslösen. Wenn der Song die Zuhörer bewegt, bekommt er eine Chance, und die guten schaffen den Durchbruch immer."
Michaels stimmt dem zu: "Alle großen Country-Balladen, für die ich mitverantwortlich war und die Hits wurden, haben eines gemeinsam: Sie haben mich gleich beim ersten Anhören bewegt."