Hymnen für harte Zeiten

Rusty Gaston, Gary Burr und Chris DuBois; Foto: Amanda Eckard

1927, als Produzent Ralph Beer von Victor Records in dem winzigen Studio in einem der oberen Stockwerke eines Gebäudes in der State Street in Bristol, Tennessee, The Carter Family, Jimmie Rodgers, Ernest V. "Pop" Stoneman und andere Sänger/Songschreiber aufnahm, genoss ein Großteil der Nation die letzten Ausläufer des Wohlstands, bevor die Weltwirtschaftskrise losbrach. Die Zeiten waren für einen Großteil des ländlichen Amerikas jedoch bereits hart, eine Situation, die sich in den Themen wirtschaftlicher Not widerspiegelt, die sich durch einige der in diesen "Bristol Sessions" aufgenommenen Songs durchzieht. Ähnliche Motive tauchten auch oft in der Countrymusik auf, bis Madison Avenue in den 1980ern das Phänomen des "Stadtcowboys" erkannte: Fans der Countrymusik kauften oft teure Autos, ritten Rodeo auf mechanischen Bullen und hatten Geld übrig, das sie für Bier und Jeans ausgaben.

Von da an wurden Lieder, in denen es darum geht, wie hart Daddy schuften muss, damit etwas zu essen auf den Tisch kommt, in den Countrycharts seltener. Doch gewinnen die alten Themen harter Zeiten jetzt, wo eine Rezession im Gange ist, wieder an Bedeutung? Dieses Thema stand im Raum, als eine hochkarätige Runde zusammenkam, um Erfahrungen und Einblicke auszutauschen: Songschreiber Gary Burr (aus dessen Feder Newtons "Love's Been a Little Bit Hard on Me", LeAnn Rimes’ "Nothing About Love“ und Kelly Clarksons "Before Your Love" stammen), Songschreiber/Verleger Chris DuBois (Jimmy Waynes "I Love You This Much", Mark Wills’ "19 Somethin'" und mehrere Lieder von Brad Paisley, darunter "Me Neither" und "We Danced") sowie Verleger Rusty Gaston, Geschäftsführer und, gemeinsam mit den Songschreibern Connie Harrington und Tim Nichols, Besitzer und Partner von THIS Music.

Wie reagieren wir Country-Songschreiber in diesen unsicheren Zeiten auf die Sorgen der Amerikaner?

Burr: Die Herausforderung für Songschreiber besteht darin, über große Dinge im Kleinen schreiben zu können. Wenn man über einen Typen schreibt, der seinen Job verliert, ist es dem Zuhörer egal, warum er seinen Job verloren hat. Was die Geschichte betrifft, ist das nicht wirklich wichtig. Welche Auswirkung das auf ihn und seine Familie hat, das ist wichtig. Diese Themen treffen immer ins Herz.

DuBois: Ich glaube, dass die Musik für viele Menschen eine Zuflucht ist. Ich habe als Schreiber irgendwie immer mehr Erfolg, wenn ich über positive Dinge schreibe und mich nicht auf die negativen konzentriere, sei es nun eine schlechte Beziehung oder eine wirtschaftlich schwere Situation. Die Menschen müssen nicht ständig daran erinnert werden, dass die Zeiten hart sind. Sie wissen es. Außerdem, wenn ich heute ein Lied darüber schreibe, wie schlecht die Zeiten sind, sind sie es vielleicht gar nicht mehr, bis wir das Lied geschrieben und Demo, Pitch, Schnitt und Veröffentlichung hinter uns haben, und es passt vielleicht gar nicht mehr.

Doch diese Themen wurden in Countrysongs während der Depression oft angesprochen. Hat sich die Demografie der Countrymusic so sehr verändert, dass es für die aktuelle Generation von schreibern schwer ist, den gleichen Bezug zu diesen Themen aufzubauen wie ihre Eltern oder Großeltern?

Gaston: Von allen Genres ist die Countrymusic bei Weitem das, was immer die Stimme der Seele Amerikas gewesen ist. Und jedes Mal, wenn das Land schwere Zeiten erlebt, sei es die Wirtschaft, Krieg oder Aufruhr, veranlasst es die Menschen dazu zu hinterfragen, was ihnen wichtig ist. Wenn sie das tun, dann ist das für gewöhnlich gut für die Countrymusic. Niemand kann Werte wie Familie und Gott und Vaterland so gut ausdrücken wie die Sänger/Songschreiber der Countrymusic. Wenn die Wirtschaft den Bach runter geht, braucht es Menschen, die in sich selbst und auf ihre Werte blicken, und dabei wenden sie sich naturgemäß der Countrymusic zu, selbst wenn sie nicht unbedingt Countryfans sind.

Rusty Gaston, Gary Burr und Chris DuBois; Foto: Amanda EckardIn wie weit beeinflussen die Nachrichten des Tages, worüber Ihr schreibt?

Burr: Wenn du ein guter Schreiber bist, sollte das einzige, was du im Nachhinein vielleicht ändern willst, die Produktion sein. Was die Themen angeht, habe ich mal gelesen, dass es in Musik und Literatur nur sieben wirkliche Grundarten von Geschichten gibt. Diese Arten von Themen sind es, was die Amerikaner immer hören wollen werden.

DuBois: Man muss das schreiben, was am besten in den Markt passt und sich nicht zu sehr mit dem befassen, was gerade in den Nachrichten läuft. Die offensichtliche Ausnahme dabei war Alan Jackson mit "Where Were You (When the World Stopped Turning)". Doch das war nicht nur ein wirtschaftlicher Abschwung. Es war ein weltveränderndes Ereignis. Und die Art, auf die er es ausgedrückt hat, war so ergreifend. Er hat es geschrieben, sie haben es geschnitten und es schnell veröffentlicht und es wurde der "Song des Jahres" bei den CMA Awards 2002. Doch man merkt vielleicht, dass es nicht sehr viele weitere Lieder wie dieses gab, weil er es so gut ausgedrückt hat, wie man es besser nicht ausdrücken konnte. Es ist wie wenn man "Schindlers Liste" anschaut: Er ist nicht die Art Film, den man fünf oder sechs mal anschaut. Er ist gewaltig, aber man sieht ihn einmal und muss danach nicht ständig daran erinnert werden.

Gaston: Was Songschreiber in Nashville versuchen, wenn sie sich hinsetzen, um ein Lied zu schreiben, ist, etwas zu schreiben, was zeitlos ist, was heute oder in 10 Jahren aufgenommen werden kann und das dann noch genau so aktuell ist und genau so passt wie heute.

Vielleicht sehen wir dehalb keine neuen Versionen von Darryl Worleys "Have You Forgotten"?

DuBios: Das ist ein perfektes Beispiel für ein Lied, das zu einer bestimmten Zeit gehört. Es nimmt Bezug auf so viele kulturelle Dinge, die mit diesem Ereignis zusammen hängen. Der Spritpreis ist ein weiteres Beispiel. Ich habe wirklich ein paar Lieder gehört darüber gehört, wie extrem hoch die Spritpreise letzten Sommer waren. Sechs Monate später waren sie so niedrig wie seit fünf Jahren nicht mehr.

Doch bestimmte Lieder verletzen diese Regel 

Burr: Ich habe vor langer Zeit ein Lied mit dem Titel "That's My Job" über den Tod meines Vaters geschrieben. Conway [Twitty] hat es aufgenommen. Ich habe es für mich selbst geschrieben und hätte nie gedacht, dass aufgenommen würde. Aber ich habe es eingeschickt und ehe ich mich versah, saß ich da und dachte: "Warum hören sich die Leute so etwas an? Es ist so deprimierend." Aber jeden Vatertag wird es gespielt.

DuBios: Ein Sänger muss eine unglaubliche, persönliche Erfahrung zum Thema oder eine enge Beziehung zum Lied haben. Sonst muss er in eine Rolle schlüpfen. Das passiert nicht mehr so oft wie früher, als Sänger in Liedern bestimmte Rollen spielten. Es scheint, wenn man ein Lied schreibt, in dem Kinder vorkommen, und sie [die Künstler] keine Kinder haben, wollen sie es nicht aufnehmen.

Burr: Ja, wie verrückt ist das denn? Ich habe das nie verstanden. Man tut als ob. Man schlüpft in eine Rolle. Aber wenn Menschen nicht trinken, wollen sie kein Trinklied singen. Wisst ihr, Johnny Cash hat auch nicht wirklich jemanden in Reno umgebracht.

Gaston: Die großartigsten Sänger der jüngsten Geschichte waren die, die solche Rollen annehmen konnten und bei denen die Fans es wussten. Sie wussten, dass Garth [Brooks] seine Frau nicht schlug und Reba [McEntire] keine Prostituierte war. Die Menschen verstanden das und sie ließen sich davon unterhalten.

Kann ein Lied, das sich realistisch mit ernsten Themen beschäftigt, die Zuhörer vergraulen?

DuBios: Es kann! Es werden Lieder veröffentlicht, die in den Charts nicht so hoch kommen, wie sie könnten, weil sie nicht gut recherchiert sind und die Öffentlichkeit einfach nicht auf sie anspringt. Manchmal ist die Thematik des Lieds einfach zu deprimierend und niemand will es mehr als ein Mal hören.

Burr: Manche Menschen wollen raus aus ihrer aktuellen Lage geholt werden, wenn sie Musik hören. Wenn die Zeiten also schlecht sind, so wie jetzt, wollen die Leute Lieder und Geschichten hören, die sie da raus holen. Vielleicht sind Lieder über ihre aktuelle Lage deshalb das letzte, was sie hören wollen. 

Gaston: Seien es aufmunternde Lieder oder Lieder über Hoffnung oder Lieder über Beziehungen, Countryschreiber sind diejenigen, die diese fundamentalen Bedürfnisse der menschlichen Seele verbinden. Unsere Schreiber schreiben nicht unbedingt über andere Themen, nur weil wir uns im wirtschaftlichen Abschwung befinden; es ist nur so, dass die Themen, über die unsere Schreiber sowieso schreiben und singen, das sind, was die Menschen jetzt hören wollen.

vgw
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