Auch das mittlerweile 27. Studio-Album des gebürtigen Berliners handelt von allem, was ihm wichtig ist. So stellt sich auf "Mr. Lee", wie auf allen wichtigen Mey-Alben, das Gefühl ein, einem guten Freund spätabends bei dem vierten Glas Wein vom Leben erzählen zu hören.
Das Wichtigste auf jedem Reinhard-Mey-Album: die Texte
Die musikalische Begleitung spielt auf "Mr. Lee" eine untergeordnete Rolle, keiner seiner Bandmitglieder ist hier mit einem erwähnenswerten Solo zu hören, abgesehen vom berührenden Violinen-Solo von Hal Parfitt-Murray in "Haus am Meer". Das Wichtigste auf einem Mey-Album sind natürlich die Texte.
Viel Zeit nimmt sich Reinhard Mey dafür, bis zu sieben Minuten lang sind Meys ausufernde Erzählungen auf dem insgesamt 72 Minuten langen Album.
Da ist die Odyssee des verwirrten Herrn Bölke, der aus dem Heim abgehauen ist, und von dem Mey in "Herr Fellmann, Bonsai und Ich" mehr sprechend als singend berichtet.
In "Lucky Laschinski" besingt der mittlerweile 73jährige seine Katze; "Heimweh nach Berlin" ist eine Ode an "Friedrichshain mit seinen idyllischen Partywinkeln, wo dir die Partygänger nachts gern in den Hausflur pinkeln". Und er bereut: "Dr. Brand" ist eine kleines, späte Entschuldigung für die Streiche, die er als Pubertierender seinem Lateinlehrer in den 50er Jahren spielte. Natürlich werden auch ernste Themen nicht ausgeklammert: "So lange schon" beschäftigt sich mit dem Tod seines Sohnes, der 2014 nach Jahren im Koma verstarb. Gegen alle Erwartungen aber ist es kein todtrauriger Song, sondern hat durch die warme Band-Begleitung eine zumindest annähernd optimistische Note bekommen.
Die dezente Musik eines Quartetts unterstützt Reinhard Mey auf "Mr. Lee"
Bis zu sechs Musiker unterstützen Reinhard Mey bei der zurückhaltenden, zumeist akustischen Instrumentierung, doch ist er zumeist im Quartett mit Bass, Gitarre und dezenten Keyboards zu hören. Auf "Wenningstedt Mitte" ertönt auch mal eine Bouzouki, auf "Zeit zu Leben" eine Mandoline.
Wichtigste Begleiter dabei sind Gitarrist Ian Melrose und Bassist Antoine Pütz. Manfred Leuchter, für Keyboards und Akkordeon zuständig, übernahm außerdem Arrangements und Produktion.
Meys sanft raunende Stimme ist noch dieselbe, vielleicht nicht mehr so hell und ausdrucksstark wie früher, doch wunderbar vertraut.
Auf dem Bonus Track "Zeit zu Leben" ist im Hintergrund Meys Tochter Victoria-Luise zu hören. Die Synthie-Keyboards sorgen hier allerdings für etwas seifiges Pathos. Schöner ist da die Begleitung des AMN String Ensembles im abschließenden "Lavender\'s Blue", einem jahrhundertealten englischen Wiegenlied, das Mey im Duett mit der Tochter singt, ganz ungewohnt auf Englisch.
Bleibt nur eine Frage: wer bloß ist dieser Mr. Lee, der im Titelsong so frühzeitig ausgecheckt hat?
Fazit: Reinhard Mey ist ein wenig wehmütig geworden, und das bekommt seinen Songs durchaus. Eine sanfte akustische Instrumentierung und ernste bis amüsante Texte machen "Mr. Lee" zu einem gelungenen Spätwerk.
Label: Odeon (Universal) | VÖ: 6. Mai 2016 |
01 | So viele Sommer |
02 | Im Goldenen Hahn |
03 | Dr. Brand |
04 | Herr Fellmann, Bonsai und ich |
05 | Lucky Laschinski |
06 | Mr. Lee |
07 | Wenn\'s Wackersteine auf dich regnet |
08 | Wenn Hannah lacht |
09 | Hörst du, wie die Gläser klingen |
10 | Wenningstedt Mitte |
11 | Heimweh nach Berlin |
12 | Im Haus am Meer |
13 | So lange schon |
14 | Zeit zu leben |
15 | Lavender\'s Blue |