Der Opener "All Lose Things" ist gleich so ein Beispiel. Von der gnadenlos schrammelnden Gitarre bis hin zu Hubbards knurrigem Gesang klingt der Song einfach nur herrlich düster und gefährlich. Bräuchte die US-Fernsehserie "Sons of Anarchie" noch einen Soundtrack, würde es wohl kaum einen passenderen Kandidaten geben. Ähnliches trifft auch auf "Hey Mama, My Time Ain't Long" zu. Mit Bestimmtheit kann man gar nicht ausmachen, welche Zutaten Hubbard hier ins Feuer wirft. Blues ist dabei, ungeschliffener Gitarrenrock sowieso - und natürlich auch eine gewisse Eigennote, die auf gängige Konventionen so wenig gibt wie der Vegetarier auf den Besuch im Steakhouse.
Nach so einem furiosen Auftakt ist man fast schon geschockt, wenn die ersten Töne von "Too Young Ripe, Too Young Rotten" erklingen. Fragil und sanft gibt sich der Song, der besonders durch den famosen Einsatz einer Fiddle ein ganz besonderes Ambiente erzeugt, das irgendwo zwischen Bluegrass und Folk anzusiedeln ist. Auch dieser Anzug passt Hubbard wie eine zweite Haut. Doch schnell stöpselt er die Sechssaitige wieder ein, und haut mit "Chick Singer, Badass Rockin'" einen echten Hammer raus. In der stampfenden Nummer zelebriert der grauhaarige Troubadour all seine weiblichen Heldinnen (wie etwa Joan Jett), die sich vollkommen dem Rock'n'Roll verschrieben haben. Auch einen Seitenhieb in Richtung Nashville kann sich Hubbard nicht verkneifen, und beschreibt die Metropole (oder wahrscheinlich eher das, wofür sie steht) als "pissant". Zu Deutsch: lächerlich. Nun ja.
Fest steht zweifelsohne, dass der Rebell mit seinem kompromisslosen Stil in der Music City komplett fehl am Platz wäre. Das beweist er auch mit dem groovigen "Bad on Fords", das mit seinem ausgedehnten Gitarrensolo förmlich nach einem endlosen Highway und einer Harley schreit. Wer mehr davon möchte, bekommt mit "Down by the River" noch einmal kräftigen Nachschlag. Das soll es dann mit den wilden Nummern aber auch gewesen sein, denn Hubbard kann ja bekanntlich auch anders.
"Mr. Musselwhite's Blues" ist beispielsweise, wie der Name schon sagt, ein bluesiger Reißer mit einer vorzüglichen Mundharmonika. Stellenweise könnte man glauben, dass "Mr. Dire Straits" Mark Knopfler plötzlich das Mikro übernommen hat, so herrlich nölt Hubbard die Textzeilen. "Jessie Mae" groovt auch vergleichsweise verhalten vor sich hin, und besticht dabei vor allem durch den erneuten Einsatz der Fiddle. Das gefällige "Barefoot in Heaven" zeichnet sich hingegen durch verspielte Gitarrenlicks und eine Gesangsleistung aus, bei der Hubbards ohnehin schon raue Stimme so klingt, als habe er vor der Aufnahme noch einmal eine Stange Kippen inhaliert. Und getreu dem Motto "Das Beste kommt zum Schluss" tischt der Routinier zum Abschluss mit "Stone Blind Horses" eine mit Melodie durchtränkte Ballade auf, die das emotionale Highlight des Albums darstellt. Chapeau.
Fazit: Das musikalische Feuer im Herzen von Ray Wylie Hubbard brennt trotz fortgeschrittenen Alters noch immer lichterloh. Mit "The Ruffian’s Misfortune" präsentiert er ein komplexes und abwechslungsreiches Album, das von krachend bis sanft so Einiges zu bieten hat.
Label: Bordello (hier nicht veröffentlicht) | VÖ: 7. April 2015 |
Titelliste
01 | All Loose Things | 06 | Mr. Musselwhite's Blues |
02 | Hey Mama, My Time Ain't Long | 07 | Down by the River |
03 | Too Young Ripe, Too Young Rotten | 08 | Jessie Mae |
04 | Chick Singer, Badass Rockin' | 09 | Barefoot in Heaven |
05 | Bad on Fords | 10 | Stone Blind Horses |