"Tina Turns the Country On!" ist das erste Solo-Album von Tina Turner, das nun wiederveröffentlicht wird.
In den sechziger und frühen siebziger Jahren stand alles in ihrem Leben unter Ikes größenwahnsinniger Kontrolle - es war sein Name, seine Songs, sein Stil, seine Faust, seine Art. Als Tina Turner 1974 ihr erstes Soloalbum "Tina Turns the Country On!" veröffentlichte, war dies der Beginn ihres Versuchs, sich sowohl persönlich als auch beruflich von Ike zu lösen. Auch wenn das Album letztlich ein kommerzieller Misserfolg war, so ist es doch ein faszinierender Einblick in das Leben und die Zeit einer der erfolgreichsten Künstlerinnen der Musikgeschichte.
Tina Turners Begegnung mit der Country Music fiel in eine Zeit, in der sich ihr Leben mit Ike rapide verschlechterte, zumal er sich harten Drogen zugewandt hatte. Ihre Hits wurden immer weniger, ihr Publikum schwand, ihre Glaubwürdigkeit schwand und so wurde er zunehmend unruhig und ausfallend. Tina Turner sah, wie verzweifelt Ike nach Erfolg strebte und um ihn glücklich zu machen, beschloss sie, ihm einen Hit zu schreiben. Das autobiografische Nutbush City Limits war das Ergebnis - ein Song, der sie 1973 für kurze Zeit wieder in die Charts brachte. Der Song erzählte die Geschichte eines Kleinstadtlebens.
Wenn man den Text liest, hat man das Gefühl, dass dies ein Country-Song hätte sein können. Als der Song aufgenommen wurde, war der Sound natürlich ganz Ike - mit einem Up-Tempo-R'n'B-Beat und Tinas Stimme, die über die Basslinie brummt. Ihre Musikideologie könnte man mit dem Intro von "Proud Mary" zusammenfassen: "Wir machen nie etwas schön und einfach, wir machen es immer schön und hart". Mit diesem Stil wurde Tina Turner berühmt, aber Anfang der siebziger Jahre wollte sie sich von diesem Sound lösen. Sie wollte Balladen singen. Sie wollte ihr stimmliches Talent und ihre Vielseitigkeit unter Beweis stellen.
Tina Turner hatte genug Schmerz und Leid, um es in tausend Country-Songs zu verarbeiten
Es ist nicht schwer zu verstehen, warum sich eine Frau in ihrer damaligen Situation der Country Music zuwandte. Sie hatte genug Schmerz und Leid, um es in tausend Country-Songs zu verarbeiten. Tina Turner nahm auch unveröffentlichte Versionen von Country-Hits dieser Zeit auf, wie "Stand By Your Man" und "You Ain't Woman Enough (to Take My Man)" - Lieder, die ihre eigene schmerzhafte Realität widerspiegelten.
"Tina Turns the Country On!" beginnt mit "Bayou Song", einer bluesigen Ballade, die eine schöne Überleitung zu ihrer früheren Arbeit mit Ikes Funk- und Soul-Revue darstellt. Sie singt "What kind of life is this for my baby, it's bad enough I got to suffer it myself". Sie mag diese Lieder nicht geschrieben haben, aber sie fühlen sich an wie bewusste persönliche Entscheidungen.
Dann eine Cover-Version von Kris Kristoffersons "Help Me Make It Through the Night", in der sie im Stil einer Ballade singt, die sie schon lange ausprobieren wollte. Es ist eine unglaublich kraftvolle Version, die all ihre komplexen Emotionen über die Liebe zum Ausdruck bringt. Erst beim dritten Stück, einer Dylan-Cover-Version, "Tonight I'll Be Staying Here With You", kommt die Slide-Gitarre zum Einsatz und der echte Country-Sound kommt zum Vorschein. Es ist der beste Song des Albums und lässt vermuten, dass sie in diesem Genre leicht mehr Erfolg hätte haben können. "If You Love Me Let Me Know" fleht "take these chains away that keep me loving you" und es ist unheimlich, sie dieses Lied singen zu hören, wenn man weiß, wie ihr Leben zu dieser Zeit aussah.
Ihr zweites Dylan-Cover "He Belongs To Me" ist atemberaubend, mit dem Background-Gesang einer Girlgroup und einer Mischung aus Soul und Country. "Long Long Time" ist ein Song, der die Komplexität ihrer zum Scheitern verurteilten Beziehung anerkennt. "I'm Movin' On" ist der Beginn ihres Strebens nach Freiheit, schwungvoll und trotzig in Sound und Text.
Tina Turner singt "There'll Always Be Music" von Dolly Parton
Ihr Dolly-Parton-Cover "There'll Always Be Music" erklärt, dass es egal ist, welche Probleme sie in ihrem persönlichen Leben erlebt hat. Der letzte Song auf dieser CD ist fast spirituell, "The Love That Lights Our Way", in dem sie Gott anfleht, "mich stark und beständig zu machen, wenn er kommt". Es könnte sich um den Tod handeln, aber auch um das Ende einer Beziehung. Die Trennung von Ike würde der Kampf ihres Lebens sein. Aber sie fand den Mut und reichte 1976 die Scheidung ein.
"Tina Turns The Country On!" ist die Geschichte des Kampfes einer Frau und ihres Versuchs, ein Licht am Ende des langen dunklen Tunnels zu suchen. Nach ihrer Scheidung musste sie, nun Ende dreißig, mittellos, mit Kindern und wachsenden Schulden, neu anfangen. Als Tina Ike verließ, ließ sie ihr altes Ich zurück, wie sie in ihrer Autobiografie schrieb: Manchmal muss man alles loslassen - sich selbst reinigen. Das habe ich getan. Ich hatte nichts, aber ich hatte meine Freiheit. Denn wenn du frei bist, kommt deine wahre Kreativität, dein wahres Ich zum Vorschein.
Manchen mag Tina Turners Liebelei mit der Country Music wie eine vorübergehende Abzweigung in eine musikalische Sackgasse erscheinen. Schließlich ist das Album selbst eine Rarität, die nun wieder veröffentlicht wird. Aber man sollte die Kraft und das potenzielle Vermächtnis dieses Albums nicht unterschätzen.
Fazit: Vielleicht ist "Tina Turns The Country On!" nur eine Fußnote in Tina Turners Karriere, aber das bedeutet nicht, dass es sich nicht lohnt, es zu entdecken und zu genießen.
