Rhiannon Giddens mit Francesco Turrisi live in Hamburg

Rhiannon Giddens mit Francesco Turrisi live in Hamburg

Rhiannon Giddens und Francesco Turrisi bringen kulturelle Vielfalt und facettenreiche Klänge in die Hamburger Fabrik.

Die Fabrik öffnet am 4. Dezember 2019 ihre Türen für ein innovatives und facettenreiches Musikerlebnis zweier Künstler mit ausgeprägtem, multiinstrumentalem Talent. Die US-Amerikanische Künstlerin Rhiannon Giddens und der italienische Musiker Francesco Turrisi präsentieren heute live das in Zusammenarbeit entstandene Album "There is No Other".

Sie verzichten in ihrem Album auf aufwendige Nachbearbeitungen und setzen auf unverfälschte und ursprüngliche Musik. Die rund 400 Zuschauer erleben dabei eine Reise durch die Geschichte verschiedener Musikkulturen und Stile - präsentiert mit ganz viel Leidenschaft: Von Country und Folk über italienische Tanzmusik bis hin zu klassischer Oper - Rhiannon Giddens und Francesco Turrisi haben einiges im Repertoire.

Wir sind alle eins

Die Atmosphäre in der Fabrik ist am heutigen Abend eine ganz besondere: Stühle umrahmen die Bühne und im Hintergrund läuft Instrumentalmusik zur Einstimmung. Die zusätzliche Weinbar und die rote Beleuchtung der hohen Halle sorgen für gemütliches Ambiente. Pünktlich um 20:00 Uhr betreten drei Künstler die kleine Bühne und stimmen wortlos ihr erstes Lied "Ten Thousand Voices" an. Ebenso geerdet und ursprünglich wie ihre Musik, wirkt auch die US-amerikanische Musikerin, die viele Leser als Hanna Lee "Hallie" Jordan aus der Fernsehserie "Nashville" kennen, erscheint in legerer Kleidung und barfuß auf der Bühne. Im Anzug versprüht Francesco Turrisi gewisse Eleganz, während er passioniert sein Akkordeon erklingen lässt. Das Line-Up wird durch einen Kontrabassisten vervollständigt. Erst nach dem zweiten Song richten sich die Musiker an das Publikum.

Zwei Jahre ließ Rhiannon Giddens ihre Fans, nach ihrem vielfach ausgezeichneten Album "Freedom Highway", auf neue Musik warten. Das Aufeinandertreffen mit dem italienischen Musiker Francesco Turrisi inspirierte die beiden Künstler dazu, gemeinsam Musik zu machen. Im Frühling 2019 erschien dann endlich das Album "There is No Other". Der Name des Albums steht für Gemeinschaft und Nächstenlieben. "Es gibt keine Anderen - Wir sind alle eins".

Tiefpunkte der Menschenrechtsgeschichte

Rhiannon Giddens Songtexte sind politisch, kritisch und erzählen zum Teil die bewegenden Geschichten von Schicksalen der Sklaverei in Amerika. Sie hat keine Scheu unschöne Fakten auszusprechen und an die Tragödien der Vergangenheit zu erinnern.

Untermalt von Francesco Turrisi am Klavier erzählt die Musikerin von einer jungen Frau, einer Sklavin. Sie war auf dem amerikanischen Sklavenmarkt "on-sale", da sie ein Baby erwartete. Der Verbleib des Kindes lag allein in der Gewalt ihres Käufers. Ein Beispiel für den Tiefpunkt der Menschenrechtsgeschichte. In ihrem Lied "At the Purchaser's Option" gibt sie dieser jungen, farbigen Frau eine Stimme und geht der Frage auf den Grund: "Wie viel kann ein Mensch ertragen?" Das Publikum äußert seine Rührung mit gebannter Stille, während es ganz aufmerksam und mit großen Augen Rhiannon Giddens Auftritt lauscht - definitiv ein emotionales Highlight des Abends.

Dancing is healing

Doch Rhiannon Giddens Lieder sind nicht nur tiefgründig und textbasiert. In den meisten Stücken setzt sie auf die Stimme ihres uralten Banjos. In Francesco Turrisi hat sie damit einen ebenbürtigen Partner gefunden. Er wechselt an diesem Abend mehrfach zwischen dem Akkordeon, Tamburin und Klavier und beweist an jedem Instrument absolute Brillanz. Auch Giddens beherrscht mehr als nur ihr Markenzeichen, das Banjo. Sie brilliert ebenso im Gesang und an der Geige.

Ein Höhepunkt des Abends ist Francesco Turrisis italienischen Wurzeln zu verdanken: Die Musiker wagen sich an einen italienischen Tarantella-Volkstanz, einen Pizzica. Gewitzt und charmant erzählt er vom Ursprung, dem vergangenen Glauben des italienischen Volkes, dass ein lebensbedrohlicher Spinnenbiss durch Tanzen geheilt werden könne. Ganz nach dem Motto "Dancing is healing". Bei den rhythmischen, schnellen Klängen kommt das ganze Publikum richtig in Bewegung. On-top gab es noch eine auf-italienisch-singende Rhiannon Giddens dazu.

Dido’s gebrochenes Herz

Halbzeit. Rhiannon Giddens und Francesco Turrisi verabschieden sich nach genau einer Stunde in die Pause.

20 Minuten später geht es mit einer rein instrumentalen Nummer aus ihrem Album weiter. Die Musiker sehen einander an, während sie spielen, als würden sie miteinander improvisieren, sich instrumental austauschen, und sich aufeinander verlassen - sie jammen, lassen ihre Instrumente miteinander flirten. Dabei zeigen sie sich oft vertieft in die Musik, als würden sie die Welt um sich herum ausblenden. Die tiefe Liebe zur Musik und die Passion mit der sie ihre Instrumente wählten und heute spielen ist jederzeit spürbar.

Die Musiker teilen nicht nur diese Leidenschaft, sie haben beide ihre musikalischen Anfänge in der klassischen Musik. Mit der Opern-Arie "Dido’s Lament", einer dramatischen Liebesgeschichte von Henry Purcell, überraschen sie ein weiteres Mal ihr sichtlich angetanes Publikum. Rhiannon Giddens beweist ein ausgeprägtes gesangliches Talent und Francesco Turrisi brilliert am Piano. Die Dramatik der klassischen Oper wurde heute in die Hamburger Fabrik transportiert.

Der Abend bleibt weiter überraschend, tiefgründig und intensiv. Die Künstler präsentieren weitere Songs aus ihrem Album, wagen sich aber auch an Cover-Songs mit jazzigem Sound.

Nach gut zwei Stunden neigt sich der Abend dem Ende zu und das Publikum zeigt sich begeistert, wirkt aber auch hier und da erschöpft von der geballten Ladung musikalischer Vielfalt. Kein Wunder, die instrumental-dominierten Stücke der beiden forderten mitunter hohe Konzentration. Und die Tamburin-Banjo-Kombination ist schon sehr speziell - und damit nicht jedermanns/jederfraus Sache. Alles in allem haben die Künstler heute Abend geliefert und ihren Zuschauern ein unvergessliches Musikerlebnis beschert. Wie passend, kurz vor Weihnachten...

Weitere Konzerte der Rhiannon Giddens mit Francesco Turrisi Tournee stehen auch in unserem Terminkalender.

vgw
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