Daddy's Girl
Nicht einmal 100 Zuschauer stellten sich an diesem Abend ein, eine eher traurige Bilanz für eine zwar noch unbekannte, aber doch mit hohen Meriten ausgestattete Künstlerin, für das countryskeptische Berliner Publikum jedoch nicht unüblich. Trotzdem dankte die langbeinige, langmähnige Blondine bescheiden für das warmherzige Willkommen, mit Sicherheit ist sie anderes gewohnt.
Drei Jahre bevor ihr Vater 2017 an der tückischen Alzheimerkrankheit starb, begann sie ihn auf seinen letzten Konzerten zu begleiten – als Banjopickerin ebenso wie als Harmoniesängerin, jeder Song, so erzählt sie in einer ihrer charmanten Moderationen, wurde in den ausverkauften Hallen mit Standing Ovations begrüßt. Den Song "Remembering" schrieb sie für ihn, um sich mit ihm auch musikalisch zu verbinden, er wurde Teil des Soundtracks zur Glen Campbell Dokumentation "I'll Be Me" 2015 und ist an diesem Abend natürlich auch Teil ihrer Setlist.
Der beste Song kommt gleich als Opener
Seit dem Frühjahr liegt ihr eigenes Debüt-Album "The Lonely One" vor, und der beste Song kommt gleich als Opener: "Better Boy Friend", ein cleveres, ironisches Spiel mit einer zu flach geratenen Beziehung, dargeboten als noch etwas holprige Bluegrassnummer, ganz am Anfang des Konzerts ist das schnell vergessen (wenn auch etwas verschenkt), denn Ashley Campbell überzeugt mit jedem weiteren Stück sowohl mit ihrem brillanten Banjospiel als auch mit ihrer präsententen, typisch amerikanischen Hochlagenstimme.
Überhaupt braucht man schon ein bißchen, um hier das Bild der modellhaften Erscheinung in Hot Pants mit den instrumentalen und stimmlichen Fähigkeiten zusammenzubringen. Man mag ihr soviel Talent gar nicht zutrauen und doch wird dieser Abend genau davon geprägt.
Dreiklangharmonien
Sie stehen zu dritt auf der Bühne. Neben Ashley Campbell im Mittelpunkt Eli Bishop an der Fiddle, der sich später zudem als rekordverdächtiger Schnellklatscher outet, und an der zweiten Gitarre Cy Winstanley, ehemals aus New Zealand, heute Nashville. Alle drei liefern zudem perfekte Dreiklangharmonien.
Nahezu jeden Song kündigt die begeisterte Ashley Campbell als ihren Favoriten an, erzählt auch gerne die eine oder andere Hintergrundgeschichte, wechselt dabei zwischen Banjo und Akustikgitarre und gesteht nicht ohne Augenzwinkern, dass die meisten ihrer selbstgeschriebenen Songs traurig sind und von gescheiterten Beziehungen und Einsamkeit handeln.
Ashley Campbell wählt interessante Cover-Versionen
Das ist -zugegeben- kein allzu weit reichendes Spektrum, tiefschürfende Reflektionen und originelle Perspektiven sind ihr Ding nicht unbedingt, dafür wählt sie interessante Cover-Versionen. Zum Beispiel den "Deep River Blues" von Doc Watson, den sie, den "Bluespicke"“, als Vorbild und Inspiration nennt und der zum Katalog jener Musik gehört, mit dem sie aufwuchs.
Zu dritt trauten sie sich gar an den Mason Williams Instrumentalklassiker "Classical Gas" von 1968 heran – im Original in voller Orchestrierung, hier als kleine, inspirierte Bluegrassnummer. Gewagt, gewonnen! Und das nutzt sie, um ihre grundsätzliche Liebe zu Instrumentalstücken auszudrücken, auch das ein deutlicher Beleg für ihre Anti-Pop-Haltung, ihre Vorbilder der Gegenwart entstammen eher dem progressiven Bluegrass und heißen Punch Brothers und Dixie Chicks, an Kasey Musgraves bewundert sie die Experimentierfreudigkeit. Mit "Carl & Ashley's Breakdown" hat sie auch eigenes Instrumentalstück im Programm, eine Hommage an Carl Jackson, Patenonkel und Bluegrass-Legende, der viele Jahre auch mit Vater Glen gearbeitet hat.
Ein Glen Campbell Klassiker darf nicht fehlen
Natürlich fehlte auch einer der großen Glen Campbell Erfolge nicht, "Gentle On My Mind", das im Original ebenfalls mit einem Banjo anfängt, und mit Stolz trägt sie zudem Dolly Partons Song "Jolene" vor, ihr Lieblingscountrysong aller Zeiten, und einer der, so sagt sie, obendrein von einer Frau kommt – ist das nicht wunderbar.
Ob auch Ashley Campbell eines Tages auch zu den großen Country-Musikerinnen gezählt werden kann, ist noch lange nicht ausgemacht. Sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie Daddy's Girl ist. Gleichzeitig aber zeigt sie auch, dass sie eine echte Musikerin ist. Ihre instrumentalen und stimmlichen Fähigkeiten ebenso wie ihre ersten Songs nötigen unbedingt Respekt ab. Und im Laufe des Konzerts und mit zunehmenden Wohlbefinden auf der Bühne ist eine Selbstvergessenheit zu beobachten, die in jeder Hinsicht Hoffnung macht. Musik als Selbstausdruck und Lebensgefühl steckt ihr in den Genen. Ihre Herkunft und die damit verbundenen Möglichkeiten befördern ihr Talent und ihr Qualitätsbewusstsein, demnächst wird sie mit der anderen großen Legende auf der Bühne stehen, Jimmy Webb, der ganz nebenbei Lieblingskomponist ihres Vaters war. Wenn sich nun noch Lebenserfahrung mit Momenten von Gefahr und Versuchung dazugesellen, kann auch aus ihr, der Wohlbehüteten, eine ernstzunehmende Künstlerin werden. Alle Voraussetzungen sind da.
Ashley Campbell wird heute noch in Köln auf der Bühne stehen und am 11. Oktober 2018 im Rahmen des CMA Songwriter Konzertes ihre Songs zum Besten geben. Mehr Infos in unserem Terminkalender.