Die gebürtige Texanerin Kasey Musgraves ist zum ersten Mal mit ihrer fünfköpfigen Band zu Gast in Berlin, und es ist offensichtlich, dass die wenigsten der vielleicht 150 Zuhörer, die am Sonntagabend den Weg in den Postbahnhof fanden, mit ihren Songs vertraut sind. Nur mühsam kommt in dem von CountryMusicNews.de präsentierten Konzert Stimmung auf, selbst bei Songs, die sich, wie das stampfende, bluesrockende "Blowin Smoke", in ihrer Heimat als wahre Stimmungsanheizer erweisen. Dieser Abend ist zum Kennenlernen gedacht, und so tut sie gut daran, sich von ihrer melancholischen, ruhigen, songorientierten Seite zu zeigen, das Publikum zum aufmerksamen Zuhören einzuladen. Und das lohnt sich rundum. "Same Trailer, Different Park" heißt ihr aktuelles Album, ihr Debüt für eine Major Company, mit dem sie kurzzeitig sogar an die Spitze der US Countrycharts vorstieß. Ein wahrer Überraschungserfolg, und das nicht nur, weil sie jung und neu ist, zudem Castingshow erprobt, wo sie zwar nicht gewonnen hat, aber immerhin die Weichen stellen konnte, nein, das wirklich Überraschende an Kasey Musgraves ist ihre konsequente Haltung einer Songwriterin. Sie will Geschichten erzählen. Und die Bühne dafür ist mehrheitlich der Trailer Park, also jene typisch amerikanische Anhäufung von Mobile Homes, wo das weiße Prekariat von Stütze lebt und aus Langeweile heiratet. So erzählt in einem ihrer schönsten Songs "Merry Go ‚Round", in dem sie berührende Zeilen findet für all ihre Protagonisten, die dem Leben ein bißchen Spaß und Sinn abzuringen versuchen, voller Mitgefühl einerseits, mit Ironie und Sarkasmus erzählt andererseits, um für genau jenen Wortwitz zu sorgen, der gute Songs schafft und ausgesprochen einnehmend wirkt. "Step Off" heißt es an anderer Stelle, wenn es um die neugierige, übergriffige Nachbarin geht, oder, wie in "Trailer Park", einem anderen Nachbarschaftssong: "Keep your two pence on your side of the fence".
Kasey Musgraves ist alles andere als ein Mainstream Country Act, nicht umsonst ist ihr Album auch in den Popcharts erfolgreich. Ihre Stilmittel reichen vom dominanten, countryfizierten Folkpop bis zu von Bob Marley inspirierten Reggaeanleihen, die Band ist ein wahrer Hybrid an stilistischen Facetten, was schon rein äußerlich zu einer ungewöhnlichen Erscheinung führt: der Lead Gitarrist mit Taillenlangen Haaren, dazu Rangerhut und Krawatte, der Organist im schnöden Pulli mit zerbeultem Strassenhut; kein Cowboyhut weit und breit, dafür bärtige Hipster und als Deko pinkfarbende Plastikflamingos. Kacey Musgraves selber trägt einen im Auge schmerzenden, von Pailletten nur so strotzenden Minirock. Lustig auch die Auswahl der Coversongs: "I Put A Spell On You" von Screamin Jay Hawkins interpretieren sie als Pedal Steel getragenen Spaghetti Western, das eigentlich funpunkige "Island In The Sun" der Indierockband Weezer spielen sie eher gemäßigt, auch das für Miranda Lambert komponierte, wunderschöne und herzergreifende "Mama's Broken Heart" ist dabei, und in der Zugabe, kurz vor ihrem aktuellen, endlich nun auch zum zaghaften Mitsingen führenden Hit "Follow Your Arrow", zeigen sie, dass sie auch Disco können.
Dieses Konzert war kein Fest, aber ein Erfolg. Kasey Musgraves konnte die Sympathien gewinnen und als stilübergreifende Songwriterin mehr als überzeugen. Vielleicht hat die Band ein wenig gestaunt über die reservierten Berliner, aber wenn sich zukünftig auch die hiesige Plattenfirma für ihren jungen Star einsetzen würde, könnte sich das bereits beim nächsten Mal, geplant ist das Frühjahr, ändern. Bis dahin haben vielleicht noch mehr Musiclover erkannt was für eine riesen Talent sie ist, wie unterhaltsam, modern und unverkrampft sie auf der Bühne wirkt, und was für eine anteilnehmende, sich tatsächlich in der Tradition von Songwriter Legende John Prine begreifende Stimme hier spricht. Denn bei allem, besonders bei jungen Leuten ankommenden Pop Appeal, Kasey Musgraves steht auch auf der Seite derer, die eher am Rande der Gesellschaft leben.