Die 80er-Jahre waren eine Zeit, als auf dem europäischen Festland ein besonders virulentes Musikfieber grassierte, es hiess Country. Es wurde von einem britischen Konzertveranstalter eingeschleppt, der seine Cracks in verschiedenen europäischen Städten, darunter auch Zürich, auftreten liess. Sie lösten eine musikalische Epidemie aus, die bis heute nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Nichts konnte das Fieber stoppen, Country war "in". Einige Wagemutige liessen sich gar zur Veranstaltung von Konzerten hinreissen und brachten 1989 Country-Grössen wie Kenny Rogers, Lorrie Morgan, Johnny und June Carter Cash, Reba McEntire und Rodney Crowell in die Schweiz. Deren Mut wurde trotz Starbesetzung ungleich belohnt.
So blickte man in jenem Jahr gespannt nach Gstaad, wo für September die erste Country Night mit Loretta Lynn und Conway Twitty, damals schon Legenden, angesagt war. Die Messlatte lag hoch. Wird sie oben bleiben, fragten sich viele Country-Freunde. Sie blieb oben, all die Jahre hindurch, und wurde dieses Jahr mit einem Angebot der Superlative gleich noch etwas höher gelegt.
Flynnville Train waren an diesem Abend gleich zweimal zu geniessen: einmal auf der Bühne als Opening Act und anschliessend an der After Show Party. Die Band aus Indiana begann den Abend sehr, sehr rockig. Nur selten liessen sie vom Tempo ab, ihr Programm war auf "antreiben" ausgelegt. Und das Publikum machte mit. Natürlich durfte da ihr Single-Hit "Tip A Can", der das Zeugs zum Ohrwurm hat, nicht fehlen. Mit "Last Good Time" waren sie am Ende ihres programmierten Sets angelangt, doch das Publikum liess nicht locker und brachte die Band noch einmal auf die Bühne. Einige der am Konzert vorgetragenen Songs sind auch auf der neuen, soeben bei AGR Television Records erschienen CD "Back on Track" zu finden. Was die Band auszeichnet, ist ihr bestechender Harmoniegesang, der auf der CD mit "Sandmann" zum Tragen kommt. Leider fehlte der Song im Konzert. Nach knapp einer Stunde entliess das Publikum Flynnville Train mit einer stehenden Ovation.
LeAnn Rimes entpuppte sich als Wiederholungstäterin: wie schon 2004 bei ihrem ersten Auftritt in Gstaad erstickte sie auch an diesem Abend jeden Zweifel an ihrem Können im Keim. Jeder Ton, jede Phrasierung sitzt und die hohen Töne werden gehalten. Die erste Hälfte ihres Sets bestand aus Songs neueren Datums. Mit einem Medley leitete sie dann über zu "Blue", der Nummer mit der ihre Karriere als Teenager begann. Es folgte "Last Thing on My Mind", das 2004 so ergreifend vorgetragene Duett, diesmal allerdings ohne Ronan Keating. Bei "How Do I live", einer ihrer bekanntesten Nummern, herrschte im Saal so andächtige Stille, dass man eine Stecknadel hätte auf den Boden fallen hören können. Mit dem sehr gefühlvoll vorgetragene "I Can't Make You Love me" schloss sie ihren Set ab. Natürlich folgte dann noch eine Zugabe mit "Halleluja", bei hem sie nur von einer Gitarre begleitet wurde. Eine insgesamt eindrucksvolle Vorstellung einer hochprofessionellen Künstlerin.
Mit den Time Jumpers kam so was wie der Hochadel der Nashville-Studiomusiker nach Gstaad. Die vielleicht bekannteste Figur der Gruppe mag Vince Gill sein, doch keines der elf Mitglieder steht hier im Abseits, jedes weist ein musikalisches Curriculum auf, das Seiten füllt. Bekannt geworden sind die Time Jumpers in der Öffentlichkeit vor allem durch ihre legendäre Montagabend-Sessions im Station Inn in Nashville, wo sie Western Swing vom Feinsten zelebrieren. Bereits kommenden Montag sind sie dort schon wieder anzutreffen.
Doch zurück nach Gstaad. 10 Mann und eine Frau waren angesagt, neun Mann und 1 Frau standen oder sassen da in mehr oder weniger einer Reihe auf der Bühne. Leider fehlte "Ranger Dough" Green (Gitarre und Gesang), der bereits 2007 mit "Riders in The Sky" in Gstaad auftrat. Doch was die Zehn so scheinbar locker, aber mit absoluter Präzision und Sicherheit vortrugen, war atemraubend. Es waren nicht nur so bekannten Stücke wie "Together Again", "Nothin' But The Blues", "I Hear You Talking", "Big Balls in Cowtown" (Bob Wills), "Roots Of My Raising" (Merle Haggard), "Leaving And Saying Goodbye", "Don't You Ever Get Tired of Hurtig Me", sondern die sichtbare Spielfreude, die das Publikum von den Sitzen riss. Beim bluesigen und von Vince Gill interpretierten "Sixpack to Go" gab es kein Halten mehr, das Publikum brach in einen nicht endenden Beifallssturm aus. Mitreissender kann Western Swing nicht sein. Dawn Sears brachte es mit ihrem Schlusswort auf den Punkt: "Meiner Ansicht nach hört ihr hier die besten Musiker".
Während der Pause danke der Veranstalter, den Sponsoren, den Mitarbeitern, den Künstlern und dem Publikum für ihre Beiträge und Treue während der vergangenen 25 Jahre. Mit einem kurzen Videorückblick wurden die Highlights dieser Jahre in Erinnerung gerufen.
Die undankbare Aufgabe nach den Time Jumpers aufzutreten fiel auf Gretchen Wilson. Undankbar, weil man riskiert, mit dem Vorgänger gemessen zu werden. Und, seien wir ehrlich, die Time Jumpers sind ein harter Brocken. Doch Gretchen Wilson liess sich nicht beirren, mit dem rockigen "Funk #49" und "Here For The Party" begannen sie und ihre vier Begleitmusiker den Set, er grossenteils zu Rock tendierte, was die Kenner ihrer Musik kaum überraschen konnte. Sie hielt denn auch nicht zurück, als sie zwischen zwei Nummern zwei ihrer CDs anpries: "Diese ist Rock und diese ist Country". Sonst gab sie sich eher wortkarg und eilte von Nummer zu Nummer ohne Zwischenansage. "Redneck Woman", das Stück mit welchem sie vor rund 10 Jahren in den USA den Durchbruch schaffte, brachte sie erst als Zugabe. Es war der perfekte Abschluss für einen Abend, der rockig begann und über Pop und Western Swing wieder bei Country Rock landete.
Das Schweizer Fernsehen zeichnete das Konzert auf, unbestätigten Berichten zufolge, soll das Konzert aber erst 2014 ausgestrahlt werden. In den Genuss dieses Konzerts werden her nur Zuschauer kommen, die im Empfangsbereich des Schweizer Fernsehens liegen.