So ging es die ganze Zeit weiter, bis zur Schlussnummer "Virginia Bluebell", einer von Lambert, Hemby und Jennifer Kennard geschriebenen, wehmütigen Ballade mit zartfühlendem Text und hoffnungsvollem Klang. Mit den Schlussakkorden verdunkelte sich die Bühne, und das Publikum schien den Atem anzuhalten - als Lambert plötzlich wieder im Licht stand und mit entwaffnender Direktheit verkündete: "Das war's! Das, Leute, war Revolution!"
"Sie ist so offen," sagte Joe Galante, Vorsitzender von Sony Music Nashville, als er sich an diesen Moment und die darauf folgenden Ovationen erinnerte. "Das war für uns alle eine sehr emotionale Nacht. Für sie war es ein sehr gewagter Schritt, als sie beschloss: Ich werde mein gesamtes neues Album, das ich vor einigen Wochen fertig gestellt habe, vor dem wichtigsten Publikum meiner Karriere spielen. Drückt mir die Daumen.' Aber als sie das dann durchzog und noch ihre Hits nachlegte, bekam man einen ganz guten Gesamteindruck von Miranda Lambert. Man denkt bei ihr an ein wütendes Girlie, das bereit ist, einem den Schädel wegzupusten. Und dann sieht man sie und was sie in ihre Musik legt, wie sorgsam und bedächtig sie vorgeht, die Ehrfurcht, die sie vor allem hat, was dazugehört – und das macht sie einfach liebenswert!"
Natürlich war es allen im Ryman an diesem Abend klar, dass Lambert schon sehr weit gekommen war, da sie es in der ersten Staffel von "Nashville Star" (Das Country-Pendent zu "DSDS - Deutschland sucht den Superstar") beinahe an die Spitze geschafft hatte. Ihr erstes Album, "Kerosene", durchbrach die Platin-Grenze; das darauf folgende, "Crazy Ex-Girlfriend", startete in den Charts auf Platz 1. Auf Tourneen mit Jason Aldean, Dierks Bentley, Kenny Chesney, Toby Keith, George Strait und Keith Urban bewies sie, dass sie Stadien zum Kochen bringen konnte, wie sie es als Teenager auf dem Texas Club Circuit getan hatte.
"Revolution" jedoch ist eine Offenbarung, gibt Einblick in zartere Gefühle und zeigt stimmliche Techniken, die zu ihrer berühmten Art passen, die Romantik der Gefahr - oder vielleicht auch die Gefahr der Romantik zu vermitteln.
“Ich glaube, "Revolution" ist vielfältiger als die andren zwei,” sinnierte Lambert. "Es ist auch sehr ähnlich; wir haben die selben Musiker und die selben Produzenten, also gibt es immer noch diesen speziellen, Miranda Lambert eigenen Sound, der auf den anderen Platten zu hören ist. Aber es gibt auch viele Elemente über verschiedene Lebensphasen, denn so ist mein Leben ja. Dieses Album ist definitiv mein bestes bisher."
"Die erste Platte hat Spaß gemacht," erinnerte sich Frank Liddell, der alle drei Platten von Lambert mit Mike Wrucke koproduziert hat. "Wir hatten zueinander ein gutes, positives Gefühl. Bei der zweiten Platte waren alle aufgeregt, aber dennoch zurückhaltend, falls das Sinn ergibt, ungefähr so wie, 'Wow, kriegen wir das noch einmal hin?' Jetzt war es eher wie, 'Hey, wir haben das doch schon zwei Mal geschafft. Lasst uns loslegen und wieder so viel Spaß haben.'"
Mit den selben Produzenten und der selben Kerntruppe der Musiker einschließlich Richard Bennett, Jay Joyce und Randy Scruggs, Bassist Glenn Worf, Schlagzeuger Chad Cromwell und Percussionist Eric Darken zeigt jedes von Lamberts Alben ein kollektives wie ein individuelles Wachstum. Sie stellen auch fest, dass die Spontaneität zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Arbeit wurde. "Ich höre mir bei ihren Sachen niemals Demos an," sagte Wrucke. "Ich möchte nicht die Vision eines Songs von irgendjemand anderem hören und dann versuchen, diese aus dem Kopf zu bekommen. Ich möchte nur sie ohne Anlage spielen und den Song singen hören, und dann legen wir von da an los."
"Ich lieben es, mit diesen Jungs zu arbeiten, weil sie Tonspuren um meine Texte aufbauen, anstatt mir eine Tonspur zu liefern, zu der ich dann singe," erklärte Lambert. "Ich habe wirklich keine festen Vorstellungen, bevor ich ins Studio gehe. Ich spiele meinen Song und sage, 'Legt einfach los und macht das, wovon ihr glaubt, dass es richtig klingt.' So war das zum Beispiel mit 'White Liar', den ich mit meiner Freundin Natalie (Hemby) geschrieben habe. Ich setzte mich hin und spielte den Song den Musikern vor. Sie spielten mit und improvisierten ungefähr eine Stunde lang, dann fing es an, wie aus einem Guss zu klingen. Und das Original des Songs 'That’s the Way That the World Goes ’Round' von John Prine ist offensichtlich ganz anders als unsere Version. Die Form, die der Song dann annahm, war für uns alle auf jeden Fall eine Überraschung. Wir hatten so viel Spaß dabei, locker zu lassen, alle waren vollkommen ausgelassen. Es war ein Wahnsinnsspaß, weil es wirklich keine Regeln gab, und das setzt in jedem enorme Kreativität frei."
Die akustische Bandbreite von Revolution reicht weit über die Grenzen ihrer vorherigen Arbeiten hinaus und erkundet Gebiete, die Wrucke als "Country Punk" bezeichnet. Galante stimmte zu und stellte fest, dass das Album "eigenwillig und kraftvoll ist, mit der Seele der Country Musik. Wenn Merle Haggard und Waylon Jennings ein Kind bekommen könnten, wäre es Miranda Lambert gewesen; so klingt dieser Sound für mich."
Lambert jedoch, die 11 dieser Songs mit geschrieben hat, betrachtet dieses Album als ihr bisher am meisten vom Country beeinflusstes. "Ich liebe die Steel Guitar, und davon gibt es diesmal jede Menge," betonte sie. "Und auch die Texte sind eher Country."
Sie nennt zwei Songs als Beispiele: "Maintain the Pain," einer der drei Titel, die sie selbst schrieb, und "Airstream Song," eine von vier gemeinsamen Arbeiten mit Hemby, die auf dem Album präsentiert werden. “'Maintain the Pain' ist definitiv ein Rocksong, aber die Texte könnten auch vollkommen anders gesungen werden, da es ein Country Song ist," sagte sie. "Und 'Airstream Song' ist zu 100 Prozent Country. Vielleicht sage ich das, weil ich ein Country Girl bin und den Song aus der Perspektive eines Country Girls geschrieben habe. Die Interpretation der Texte ist ja jedem selbst überlassen. Aber fast jeder Song auf dieser Platte, zumindest aber die, die ich geschrieben habe, hat ein Country-Element, nicht nur aufgrund meiner Einflüsse und Herkunft, sondern auch durch die Art, wie ich sie singe."
Der Text in "Maintain the Pain", auf ihr Radio zu schießen, und ihr überhebliches Cover von Fred Eaglesmiths "Time to Get a Gun" passen mühelos zu dem Image, das sie mit "Crazy Ex-Girlfriend," "Gunpowder & Lead" und "Kerosene" etabliert hat, aber Revolution glänzt auch mit einer poetischen Qualität, die ihrer Art zu schreiben und ihrer gesanglichen Interpretation von nun an wohl eine neue Dimension hinzufügen wird. Lauscht man beispielsweise der Symbolik, die sich bei "Dead Flowers" enthüllt, gleicht dies dem Betrachten eines Stilllebens, bei dem man mit der Zeit immer neue Bedeutungsebenen entdeckt.
"Das fiel mir zu einer Vase voller Blumen ein, die ich zum Valentinstag bekommen hatte," sagte sie zu diesem Song, den sie allein schrieb. "Ich musste sie wegwerfen, weil ich verreisen wollte, und da dachte ich, 'Wow, was für eine Verschwendung.' Außerdem lasse ich meine Weihnachtsbeleuchtung das ganze Jahr über angebracht, so dass sie etwas herunterhing, und einige Lampen waren kaputt. Damit begann der ganze Song. Ich wollte ihn so schreiben, dass die Leute beim Anhören sehen könnten,. was ich sah."
Es half ihr außerdem, tiefer aus ihrem Talent als Interpretin von Texten zu schöpfen. "Ich musste mich definitiv für Songs wie 'Dead Flowers' in Stimmung bringen, denn im Moment bin ich gerade glücklich. Ich stehe in meinem Leben an einer großartigen Stelle. Aber ich mag Songs, die von der Wirklichkeit handeln, also muss ich mich an Schmerz und Wut erinnern, wenn ich aus dieser Perspektive schreibe. Als ich 'Dead Flowers' schrieb, verbrachte ich meine Zeit auf der Farm mit den Tieren. Blake (Shelton) war da. Es war wirklich ein toller Tag – aber ich schrieb diesen traurigen Song. Ich glaube also, dass ich mich als Texterin ein bisschen neu erfinde und künstlerisch aufgehe. Es geht immer darum, sich selbst neu zu erfinden und gleichzeitig seiner Einzigartigkeit treu zu bleiben."
Das ist nach Ansicht von Galante der Schlüssel dazu, was er als Lamberts Durchbruch zu einer dauerhaft etablierten Künstlerin betrachtet. "Sie ist stark und sie leistet viel, aber sie ist auch verletzlich und sensibel. Auf dieser Platte haben wir eine Mischung aus beidem erreicht. Das ist es, womit sie die Leute anzieht – und deswegen ist es auch für die Musikrichtung wichtig, sie zu haben."