US-Online-Communities fördern das Musikgeschäft

 

Früher konnte man Community-Portale, die als Gastgeber für Interaktionen zwischen den Mitgliedern fungieren, metaphorisch als Seen bezeichnen, in denen die selbe Art von Fischen umherschwamm. Heute sind aus diesen Seen virtuelle Ozeane mit Millionen von Tierarten geworden, auf denen sich kleine Freizeitboote neben riesigen Supertankern tummeln.

Die Beliebtheit dieser Webseiten ist so schnell und dramatisch angestiegen, dass es schier unmöglich ist, genau zu sagen, wie viele Menschen sie benutzen. Die Besucherzahlen sind jedenfalls höher als manche vermuten, und sie steigen Tag für Tag. Laut einem im Juni 2007 veröffentlichten Bericht von Forrester Research werden die beiden beliebtesten Online-Communities MySpace und Facebook monatlich von über 63 Millionen US-Nutzern besucht. Im Rahmen einer Dokumentationssendung, die 2008 in der PBS-Serie "Frontline" ausgestrahlt wurde, konnte ermittelt werden, dass die Mitgliederzahl der beiden Webseiten zusammengezählt die atemberaubende Zahl von 160 Millionen erreicht hat.

Diese Zahlen führen dazu, dass es für viele Unternehmen unabdingbar geworden ist, auf solchen und ähnlichen Seiten Präsenz zu zeigen. Diese Einsicht ist sicher auch der Country-Music-Industrie nicht entgangen. Hierfür reicht ein Blick auf die Top 15 Billboard-Charts ("Hot Country Songs") vom Februar 2008 - jeder der dort aufgeführten Interpreten besitzt eine MySpace-Seite.

"Zwei der Schlüsselelemente der Country-Music sind die Vermittelbarkeit des Künstlers und der Zugang zum Künstler", sagt Heather McBee, stellvertretende Leiterin der digitalen Geschäftsbranche von Sony BMG Nashville. "Das ist das Großartige an Online-Communities: Die Fans haben die Möglichkeit, mit dem Künstler Verbindung aufzunehmen und mit ihm zu kommunizieren."

Mit Sicherheit trifft dies für Kenny Chesney zu, dessen Songs von mehr als 25 Millionen Fans über MySpace gestreamt wurden, wie auch für Taylor Swift, deren MySpace-Streams die 40-Millionen-Marke überschritten haben. Und auch wenn die Zahlen entsprechend kleiner sind, ist diese Art der Internetkommunikation für jene Künstler, die noch keine Stadien füllen, von umso größerer Wichtigkeit. Ein gutes Beispiel ist Chuck Wicks, der mit "Stealing Cinderella", einer Auskopplung seines Debüt-Albums "Starting Now" einen großen Hit landete.

"Was wir mit Hilfe der Online-Communities machen, ist den Fans die Chance zu geben, mehr von Chuck als Künstler zu erfahren", sagt McBee. "Leute, die seine MySpace-Seite besuchen, lernen mehr über ihn und seine Musik, können Interviews ansehen, seinen Blog lesen und einen Blick hinter die Kulissen eines Videodrehs werfen. Chuck zeigt bei der Umsetzung seiner Seite großes Engagement. Er investiert viel Zeit für die Kommunikation mit seinen Fans."

Künstlerseiten auf MySpace bieten zunehmend verschiedenen Möglichkeiten an, Musik zu kaufen. Manche Künstler erstellen Verknüpfungen zu iTunes oder eigenen Online-Verkaufsplattformen, andere bieten käufliche Downloads an. Die Firma Snocap, 2002 von Napster-Gründer Shawn Fanning und seinen Partnern ins Leben gerufen, erleichtert solche Transaktionen, indem sie auf MySpace-Künstlerseiten sogenannte "Stores" einrichtet. Die Gewinne aus den Verkäufen werden entsprechend einer Vereinbarung zwischen dem Künstler, der Plattenfirma und Snocap geteilt. Zu den Künstlern, die diesen Weg gegangen sind, gehören z.B. Clint Black, Little Big Town, Gillian Welch und Chris Cagle, der über seine MySpace-Seite Downloads von kompletten Alben zum Verkauf anbietet.

Ebenfalls gut im Geschäft ist "imeem", ein Community-Portal aus San Francisco, Kalifornien, das jeden Monat von mehr als 20 Millionen Einzelnutzern besucht wird. Was in Bezug auf die Musikindustrie noch wichtiger ist - Die Macher von imeem haben die Internetlandschaft verändert, indem sie mit den vier großen Major-Gruppen (EMI, Sony BMG, Universal Music und Warner Music) wie auch mit Tausenden von unabhängigen Labels Verträge abschlossen. Auf Grund dieser Vereinbarungen darf imeem die gesamten Musik- und Videokataloge der beteiligten Firmen als frei wählbare und kostenlose Streams anbieten. Die Plattenfirmen wiederum werden an den Werbeeinnahmen beteiligt.

Das imeem-Angebot ist mehr als eine zentrale Plattform, auf der die Benutzer ganze Lieder anhören und Videos ansehen können - imeem unterstützt das Online-Geschäft. Will ein Benutzer ein Lied herunterladen, liefert ihm imeem die Verknüpfungen zu Amazon.com und iTunes, wo das Lied erworben werden kann.

Universal Music unterschrieb den Deal mit imeem im Dezember 2007. "Imeem hat eine innovative Methode entwickelt, die Musik unserer Künstler in eine Art "Central Park" für soziale Netzwerkbildung zu verwandeln", erklärt Doug Morris, Chairman/CEO von Universal. "Was noch wichtiger ist: Sie sind den richtigen Weg gegangen, in dem sie Universal mit einbezogen haben. So kommen die Kunden in den Genuss eines aufregenden musikalischen Erlebnisses, gleichzeitig werden unsere Künstler für die Verwertung ihrer Werke fair bezahlt."

Wie bei den meisten anderen Online-Communities kann auch bei imeem jeder Mitglied werden. Das Design ist äußerst interaktiv, Benutzer können Songs und Videos hochladen, eigene Wiedergabelisten erstellen und Bilder oder Blogs gemeinsam nutzen. Im Januar 2008 kündigte imeem eine Zusammenarbeit mit MTV Networks an, um Videoclips und Sendungen online anzubieten. Imeem-Nutzer können nun Videomaterial von CTM, MTV, VH1, Nickelodeon, Comedy Central u.a. ansehen und tauschen.

Auf der Webseite treten Künstler im Rahmen von einmaligen Internetveranstaltungen auf, darunter exklusive "Listening Parties" und Begrüßungsansprachen zu imeem-Wiedergabelisten. Zu den Künstlern, die bisher teilgenommen haben, gehören unter anderem Faith Hill, Blake Shelton und The Wreckers.

Die Macher von imeem sind überzeugt, ein System geschaffen zu haben, in dem jeder der Beteiligten ein Gewinner ist - der Künstler, die Plattenfirma, der Werbekunde und der Verbraucher.

"Das werbungsgestützte Konzept ist ein völlig neues Geschäftsmodell und eine neue Einnahmequelle für die Musikindustrie", sagt Steve Yang, Marketing-Chef und Leiter der imeem-Entwicklungsabteilung. "Im Grunde genommen vermarkten wir die Aufmerksamkeit des Benutzers. Das gesamte Erlebnis auf imeem wird zum Zahlungsmittel. Wir haben ein Gewinnbeteiligungsmodell entwickelt, bei dem wir etwa die Hälfte unserer Werbeeinnahmen mit den Besitzern der Inhalte teilen. Plattenfirmen und Künstler können sich mit vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten auf imeem präsentieren. Die Werbekunden kommen zu uns, um das Bewusstsein für ihre Marke zu fördern und ein echtes Engagement für unsere Benutzer zu entwickeln. Die Werbeeinnahmen werden dann mit den Besitzern der Inhalte geteilt. Die Idee dahinter ist einfach: "Hey, lass uns zusammenarbeiten, und ich teile mit dir, was ich erwirtschafte." Das ist ein fundamentales Menschheitsprinzip. Die Leute kapieren das einfach."

Das imeem-Programm zur Teilung der Werbeeinnahmen steht einer Vielzahl von Rechteinhabern zur Verfügung - unbekannten Songwritern wie Major-Plattenfirmen. Die Anzahl der Streams wird erfasst, die Zahlungen stehen somit im Verhältnis zur Beliebtheit eines Lieds.

Das imeem-System arbeitet außerdem indirekt gegen illegale Musik-Downloads. "Die Piraterie nimmt überhand, sobald es einfacher ist, sich Material illegal zu besorgen, als das Angebot der Industrie wahrzunehmen", sagt James McQuivey, Medien- und Technologiespezialist im Bereich Musikindustrie bei Forrester Research. "Und imeem bietet eine unglaublich einfache Alternative. Sie können erfolgreich mit illegalen Anbietern mithalten. [Die imeem-Webseite] ist nicht nur leicht und auf befriedigende Weise zu benutzen, sie spricht auch genau die Altersgruppe an, die der Piraterie zugeneigt ist."

Obwohl die Lücke allmählich schwindet, besteht doch weiterhin ein deutlicher Zahlenunterschied zwischen den Benutzergruppen der Online-Communities, insbesondere zwischen jüngeren Verbrauchern (Generation Y) und den Baby-Boomern. Laut Forrester Research benutzen in den USA 80% der jungen Erwachsenen (18-21 Jahre) die genannten Seiten, verglichen mit 30% der Altersgruppe 18 und älter. Unter jugendlichen Benutzern (12-21 Jahre), die Online-Communities täglich besuchen, erklärten 40%, dass sie beim letzten Besuch einer solchen Seite Musik gehört haben, etwa 25% sahen sich ein Video an.

In zunehmendem Maße widmen die Menschen ihre Freizeit unterschiedlichen Internetaktivitäten. Als Folge ist ein kometenhafter Anstieg der Werbeeinnahmen im Internet zu erwarten. Eine Studie des Internet-Marktforschungsinstituts eMarketer.com sagt voraus, dass die weltweiten Ausgaben für Online-Werbung auf Online-Communities im Jahr 2009 2,9 Milliarden US-Dollar erreichen werden - im Jahr 2007 betrug diese Summe noch 1,2 Milliarden US-Dollar.

"Etwa 70 Milliarden Dollar werden jedes Jahr in den USA für Fernsehwerbung ausgegeben. Im Vergleich dazu geben die Leute jedes Jahr 24 Milliarden Dollar für DVDs aus", erklärt McQuivey. "Das bedeutet, die Werbekunden geben fast das Dreifache von dem aus, was die Verbraucher für ihre privaten Videos bezahlen", sagt McQuivey. "Was Online-Inhalte betrifft, ist ein ähnliches Verhältnis zu erwarten. Das heißt, die Werbekunden werden mehr Geld ausgeben, um die Leute über Musikplattformen wie imeem oder Internetradio zu erreichen, als die Verbraucher für das Herunterladen eigener Musik ausgeben."

Heather McBee von Sony BMG, deren berufliche Erfahrung mit dem Internet bis zurück ins Jahr 1996 reicht, weiß wie wichtig es ist, sich anzupassen. "Die Herausforderung besteht darin, den Benutzern einen Schritt voraus sein und ihnen gleichzeitig zu folgen", sagt sie. "Wir versuchen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein."

vgw
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