Die Presse in Nordamerika huldigt der dunkelhaarigen Künstlerin spätestens seit ihrem 2011 erschienenen Debüt "Little Red Boots" mit Jubelkritiken. So sei sie etwa „das Kind, das Nancy Sinatra und Johnny Cash nie hatten." Andere Kritiker sehen und hören Parallelen zu Dolly Parton und Emmylou Harris. Kürzlich wurde ihr neues Album "Cigarettes & Truckstops" für zwei Juno Awards nominiert und auch die Liste ihrer Tour-Partner liest sich so gut wie außergewöhnlich: So stand die zu etwas schrillen Outfits neigende Lindi Ortega beispielsweise mit Dierks Bentley, Kevin Costner und den Punk-Veteranen von Social Distortion auf der Bühne.
Tatsächlich hat "Cigarettes & Truckstops" von allen etwas - von Cash, Bentley, Parton und auch von Social Distortion. Das liegt daran, dass sie ihre musikalische Heimat an den Roots der Country- und Americana-Musik fest macht. An erdigen Klängen mit Kontrabass, Mandoline und klimperndem Piano, an dunklen, teilweise tief schürfenden Themen und an Soundtrack-typischen Melodien. Gleich mehrere Songs von "Cigarettes & Truckstops" würden sich für die akustische Untermalung eines Quentin-Tarantino-Filmes eignen: das schräge "High" allemal. Das noch verwegenere und mit seiner skurril-mystischen Aura ausgestattete "Murder of Crows" unbedingt.
"Ich habe mich mit den dunklen Seiten meiner Persönlichkeit beschäftigt", erklärt sie diese Songs, "und ich hatte keine Angst davor, diese Dinge nach draußen zu lassen: Das Gute, das Böse und das Hässliche an Lindi Ortega." Klingt mutig und konsequent. Aber auch ein bisschen übertrieben. Denn recht viel "Hässliches" lässt sich auf dem Album nicht ausmachen. Dafür umso mehr gute Songs. Schon der Opener und Titeltrack legt die Spur für ein gelungenes Album. Ein Song, der nach Weite und Freiheit klingt, der mit seinem flirrenden, luftigen Arrangement gleichermaßen in der Tradition wie in der Moderne bestehen kann. Der Rhythmus schleppt sich wie ein alter Pickup den Highway entlang, rund, träge, kraftvoll; eine Slide-Gitarre verströmt Wehmut und Fernweh. Im Mittelpunkt erstrahlt Lindi Ortegas klare und mit dezent dosiertem Country-Timbre aufgeladene Stimme. Wer dabei an Dolly Parton denkt, liegt bestimmt richtig. Noch verblüffender fällt die akustische Ähnlichkeit mit der großen Dolly beim nachfolgenden, sehr flotten Country-Feger "The Day You Die" und bei der leisen, langsamen und wunderschönen Ballade "Lead Me On" auf.
Damit aber niemand Lindi Ortega in die Dolly-Parton-Widergängerinnen-Schublade stecken kann, fährt sie schon im nächsten Titel die Krallen aus: "Don’t Wanna Hear It" - ein Country-Rockabilly-Punk mit rabiaten Gitarrenriffs, dröhnendem Beat und einer wilden Lindi hinter dem Mikro. Keine Frage, die Dame hat Temperament. Und auch Und auch sonst alles, was es zum Star braucht.
Fazit: Es geht stetig die Karriereleiter hoch – verdientermaßen. Lindi Ortega gehört zu den heißesten Eisen, die Nashville zur Zeit zu bieten hat. Eine kecke Punk-Version von Dolly Parton mit großer Zukunft. Leider fällt ihr zweites Album mit zehn Tracks etwas dünn aus.
Label: Last Gang / Pias (rough trade) | VÖ: 8. Februar 2013 |
Titelliste
01 | Cigarettes & Truckstops | 06 | Murder of Crowns |
02 | The Day You Die | 07 | Heaven Has No Vacancy |
03 | Lead Me On | 08 | High |
04 | Don't Wanna Hear It | 09 | Use Me |
05 | Demons Don't Get Me Down | 10 | Every Mile of The Ride |