Die meisten ihrer Stücke sind von einer zurückhaltenden Fröhlichkeit. Sie animieren zum Lächeln, aber zwingen nicht direkt auf die Tanzfläche. Sie beherrscht aber auch die Melancholie in ihrer eher sanften Form. Emily Nenni spricht selbst von einem Honky-Tonk-Feeling. Ihre Vorbilder findet sie in der Country Music der 1980er.
Dabei ist Emily Nenni alles andere als ein Country-Girl aus dem Klischeekatalog. Geboren und aufgewachsen ist sie in Kalifornien mit Blick auf den Pazifik. Die Begeisterung für die Musik hat sie von ihren Eltern geerbt, die sie schon früh mit auf Konzerte nahmen und dafür sorgten, dass sie keine Berührungsängste kennt. Ihre Mutter ist ein Fan von Willie Nelson, Jessi Colter und Hank Williams, ihr Vater, ein Radiomoderator, brachte sie früh mit James Brown und John Coltrane in Kontakt. Fast wichtiger noch als die Musik, die ihre Eltern mit ihr hörten und ihr nahebrachten, waren die vielen Musikgeschichten, die sie ihr erzählten und damit eine Begeisterung in ihr weckten, die losgelöst ist von einem bestimmten Genre - auch wenn sie ihre Heimat in der Country Music gefunden haben mag.
Emily Nenni - von der Ranch ins Tonstudio
Nach einem Collegestudium Tontechnik, das sie allerdings nicht beendet hat, hat sich Emily Nenni auf den Weg nach Nashville begeben, um dort zu arbeiten. Arbeiten bedeutete allerdings zunächst die Arbeit in einem Restaurant. Abends trat sie allerdings in Clubs auf. So lernte sie Mike Eli (Eli Young Band) kennen, dem sie schließlich nach Colorado folgte, wo sie auf einer Ranch arbeitete - allerdings nicht als Cowgirl, sondern als Haushaltshilfe. In dem familiär geprägten Umfeld fand sie Zeit, mit Mike Eli an ihrem Debüt-EP "Hell of a Woman" zu arbeiten, einem unabhängig produzierten Album, dem zwei weitere EPs folgen sollte. Der Titeltrack ihrer zweiten EP, "Long Game", entwickelte sich zu einem kleinen Streaming-Hit, der ihr jenen Plattendeal einbrachte, unter dem sie nun ihr LP-Debüt abgeliefert hat.
Der Opener, "Can Chaser", gibt die Richtung vor. "Can Chaser" ist eine Geschichte über Frauen im Rodeo, die mit Liebe und Hingabe ihren Job erledigen, wenngleich man den Text auch als eine Hommage an die Country-Musikerinnen der 90er lesen kann, die mit ihrer Liebe zur Musik Country auch für die die Pop-Charts interessant gemacht haben. Mit ihrer klaren Stimme erschafft sie eine kleine, fröhliche Ode, der mit "Useless" ein Stück folgt, das mit einem gitarrenbetonten Sound gleichfalls eine selbstbewusste Protagonistin in den Mittelpunkt stellt, die mit Witz und Weitblick die Welt beschreibt, in der sie lebt.
Der Titelsong "On the Ranch" fällt überraschend kurz aus
Trägt das Album den Titel des dritten Stückes, "On the Ranch", fällt dieses Stück, bedenkt man, dass es eine Hommage an ihr Leben auf der Ranch in Colorado darstellt, mit 2.48 Minuten Länge überraschend kurz aus. Andererseits erzählt "On the Ranch" exakt die Geschichte, die Emily Nenni erzählen will. Sie sitzt auf einer Terrasse, betrachtet einen Regenbogen, das Leben meint es gut mit ihr, wahrscheinlich steht noch eine Dose Bier neben ihr auf einem Tisch. Was braucht es mehr? "On the Ranch" ist derart klassischer Country-Sound der 80s, dass die Musikerin ihre Hörerinnen und Hörer regelrecht zu einer Zeitreise einlädt, bei der nur noch der Besuch eines 80er-Jahre-Fernsehserienhelden fehlt, der sich zur ihr setzt und sich darüber freut, dass er gerade wieder einmal ein Abenteuer unbeschadet überstanden hat.
Die Stärke ihres Albums besteht darin, dass immer wieder Bilder entstehen, die über den eigentlich Text, das eigentlich Gehörte, hinausgehen. Emily Nenni lädt ihre Hörerinnen und Hörer ein, mit ihr abzutauchen. Wohin? Sie mag Bilder vorgeben, doch den Ort selbst, an den man abtauchen möchte, sucht man sich selbst aus.
"Leavin'" ist die erste Ballade, der Titel ist Programm, "In the Mornin'" kehrt zur Ranch zurück, auf der sie gerade noch auf der Terrasse gesessen hat, nur dass der Tag diesmal beginnt und die Frage im Raum steht, was er wohl zu bieten haben mag? Er ist voller Aufbruchstimmung, wenngleich auch nicht zu euphorisch.
Mit "Matches" bietet sie etwas Füllfutter und damit einen Song, der zwar nicht stört, aber auch nicht wirklich ins Ohr geht, in "Gates of Hell" kann sie derweil ihre glockenklare Stimme vollends zur Geltung bringen, während sie mit "Does Your Mother Know" beweist, dass ABBA auch eine formidable Country-Band abgegeben hätte, denn tatsächlich ist "Does Your Mother Know" eine bemerkenswert Cover-Version des ABBA-Hits von 1979. Während sich der Refrain nah am Original bewegt, verpasst Emily Nenni dem Song eine melancholische Note, die man so nicht unbedingt erwartet hätte.
Das Album endet mit "The Rooster and the Hen", einem gesangsbetonten Stück, während "Get On With It" mit langen Instrumentalpassagen einen idealen Abschluss bietet und das Album in gewisser Weise "auslaufen" lässt.
Fazit: Emily Nennis Album "On the Ranch" nimmt seine Hörerinnen und Hörer mit auf eine musikalische Reise, die immer wieder zum Lächeln animiert.
Label: Normaltown (H'Art) | VÖ: 4. November 2022 |
Disk 1 | |
01 | Can Chaser |
02 | Useless |
03 | On the Ranch |
04 | Leavin' |
05 | In the Mornin' |
06 | Matches |
07 | Gates of Hell |
08 | Does Your Mother Know |
09 | The Rooster and the Hen |
10 | Get on with it |