Sean Harrison - Halfway From Nashville

CD Cover: Sean Harrison - Halfway From Nashville

Eher alter Hase als frischer Newcomer: Trotzdem markiert "Halfway From Nashville" das Debüt-Album von Sänger und Songschreiber Sean Harrison.

Dass gut Ding Weile haben will, weiß schon der Volksmund. Und Sean Harrison kann davon buchstäblich ein Lied singen. Schließlich ist der Sohn des Buch- und Drehbuchautoren William Harrison (u.a. "Rollerball") kein Jungspund mehr. Im Gegenteil. Er ist ein gestandener Mann mit reichlich Lebenserfahrung. Geboren in Nashville und aufgewachsen in Fayetteville, Arkansas, bereiste Harrison ausgiebig die Welt. Er lebte einige Jahre in Europa (u.a. London, Paris, Spanien, Italien), später in New York, von da zog es ihn nach Dallas, Texas, bevor er - back tot he roots - wieder in Fayetteville sesshaft wurde.

Sean Harrison - ein Globetrotter wird sesshaft

Hier, in der mittelgroßen, rund 200.000 Einwohner zählenden Arkansas-Metropole fand er endlich Zeit und Ruhe, seine Musikerkarriere voran zu treiben. Er spielte Solo-Gigs, in Bands; er schrieb mit anderen Country-Musikern an Songs und er produzierte eine EP für Country-Sängerin Milton Patton, die in Insider-Kreisen positiv aufgenommen wurde. Das alles zusammengenommen ist: nicht übel, aber auch nicht gerade berauschend. Es ist so ziemlich genau die Art von Musik-Karriere, die vielen, vermutlich sogar den allermeisten Acts, vergönnt ist. Nicht mehr, nicht weniger. Es ist: pures Mittelmaß.

Etwas durchschnittlich präsentiert sich Sean Harrison jetzt auch auf seinem zwölf Songs umfassenden Debüt-Album "Halfway from Nashville". Das ist nicht despektierlich gemeint. Doch den Songs und der Musik des ehemaligen Globetrotters und musikalischen Spätstarters fehlt es einfach an herausragenden, an besonderen, vielleicht auch an unverkennbaren Momenten. Er bietet grundsolide Song-Kost. Nette Titel, nette Melodien und dazu sehr nett mit etwas schüchterner Stimme vorgetragen. Gelegentlich artikuliert er seine durchaus witzigen und vermutlich ehrlichen Texte so überdeutlich, dass man denken könnte, hier singe ein Typ aus Deutschland, oder zumindest jemand, dessen Muttersprache nicht Amerikanisch ist.

Diesen Eindruck gewinnt man gleich beim Opener und Titeltrack, wenn er zu einer akustischen Gitarre die ersten Textzeilen singt: "at this point in my life, halfway from Nashville. I’m searching for clues, to know what it’s all about …" Die Antworten für seine Sinnsuche hofft er in alten Country-Songs zu finden: Bei Merle Haggard, auch bei Bob Dylan und - allen voran ¬- beim Man in Black, bei Johnny Cash. Ein, sagen wir mal, vertrautes Country-Song-Thema. Ein Mann in einer Lebenskrise. Ein Suchender, ein Mensch, der nach Orientierung und Halt strebt - und ihn in der Country Music zu finden hofft. Das lässt sich gut hören, zumal er sein Bekenntnis in hübsche Folk- und Roots-Country-Harmonien verpackt. Es ist aber auch: um einen Tick zu brav und zu kontrolliert.

"Halfway From Nashville" bietet grundsolide Song-Kost

Beim nächsten Song lässt er die Zügel etwas lockerer. Mit der Folge, dass er mit "Go to Girl" in rockige, nostalgisch nach britischen Beat-Klängen erinnernde Gefilde trabt. Keine Frage, seine Jahre in Europa haben bei Sean Harrison Spuren hinterlassen. Am deutlichsten sind sie vielleicht in dem mit einem wilden Gitarrensolo von John Sprott (The Nelsons) ausgestatteten "Worried" zu erkennen und natürlich bei "Fingertipps". Bei dem Song vereint Harrison Folk-Rock mit Cajun-Elementen und New Wave-Attitüde.

Im Gegensatz zu Song-Poeten wie Mary Chapin Carpenter, Lucinda Williams oder Bob Dylan spricht Harrison meist nicht in Bildern oder Metaphern. Er sagt gerade heraus, was Sache ist. So bekennt er in dem herzhaften Midtempo-Country-Rocker "Gravel and Dirt" gleich zu Beginn des Songs "I have no reason to tell the truth, I had no reason to lie. It didn’t count, that I survived my wild youth, and it won’t matter when I’m die." Diesen nüchternen, durchaus deprimierenden Pragmatismus legt er zum Glück immer wieder ab. Zum Beispiel in dem hintergründigen, im flotten Shuffle-Rhythmus gehaltenen Looser-Song "Big Decisions" und in dem leisen Folk von "Wake Up Dead", bei dem er an eine hellstimmige Version von Johnny Cash erinnert. Sehr entfernt natürlich. Auch weil sich im Laufe der Takte der Track zu einer leicht überdrehten Country-Revue-Nummer mausert.

Das gilt auch für "Paydays". In dem augenzwinkernden, langsamen und mit fröhlichen Mitsing-Melodien angelegten Titel lässt Sean Harrison doch glatt an Rock-Genie Frank Zappa mit Stetson denken. Auch wegen des hintergründig humorigen, fast schon sarkastischen Texts. Nichts davon gilt indes für den letzten Song der von Harrison gemeinsam mit Michael Brinson und Paul Carabello produzierten CD, für "Breathe Out Her Name". In dem viereinhalbminütigen Folk-Track gelingt Harrison vielleicht der beste Song seines Debüts: ein ungekünstelter, ehrlicher, weder smart noch witzig wirken wollender Song über - natürlich! - die Liebe. Hier zeigt der lebenserfahrene Mann aus Arkansas, was alles in ihm steckt.

Fazit: Solide Song-Kost, mal ganz Country, mal Folk-Rock, dann wieder mit Elementen aus Rock und New Wave garniert. Um aus der Masse der vielen namenlosen Musiker herauszustechen, fehlt Sean Harrison bei seinem Debüt "Halfway from Nashville" der besondere Moment.

Label: Arky Blue VÖ: 6. November 2020
01 Halfway from Nashville
02 Go to Girl
03 Gravel & Dirt
04 Big Decisions
05 Ode to a Goner
06 Wake up Dead
07 Fingertips
08 Psychedelic
09 Paydays
10 The Last Water Tower
11 Worried
12 Breathe out Her Name
vgw
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