Die flinken Finger fliegen nur so über die Saiten und doch leuchten die Gefühle eher in die dunkleren Ecken des Lebens. Alison Krauss singt wie eine Nachtigall seit sie 8 Jahre alt ist und steht, nun in ihren Dreißigern, noch immer sehr jung und engelhaft unschuldig mit ihrer kleinen Geige im Mittelpunkt der Band. Trotz sommerlicher Temperaturen trägt sie einen schwarzen Gehrock über dem schwarzen Hemd und singt freundlich entspannt und konzentriert ihre Lieder. Die glockenhelle Reinheit ihrer Stimme wird von ihr nie selbstverliebt ausgestellt und zu eitlen Koloraturen genutzt, sondern sie dient ihr im besten, bescheidenen Sinne als Instrument. So vermag sie differenzierte Gefühle auch in den letzten Winkeln dieses imposanten Kirchenbaus zu erwecken. Dazu fiddelt sie und weist durch kurze Bemerkungen den Weg durchs Repertoire. Es wird neben einigen früheren Songs ein Wiederhören mit den Songs des aktuellen Albums "Paper Airplane", das sie mit exakt der Band eingespielt hat, mit der sie nun auf der Bühne steht. Von rechts: Ron Block an der Gitarre und am Banjo, das er sensationell gut beherrscht. Dan Tyminski, der George Clooney im Coen-Brüder-Film "O Brother, Where Art Thou?" seine Stimme lieh und selber doch auch gut aussieht, noch besser singt und wie keiner einen Song wie "Dust Bowl Children" aus der Feder von Peter Rowan interpretieren kann. Später wird er auch das großartige "Man of Constant Sorrow" singen, seine resonanzreiche Stimme gibt dem oft als allzu fröhlich eingegrenzten Bluegrass Gewicht. Barry Bales am Bass, der Jüngste, und doch schon über zwanzig Jahre an Alison Krauss Seite, und dann The Man Jerry Douglas, der beste Dobro Spieler der Welt, wie Alison Krauss ihn später vorstellen wird, ein freundlich gemeinter Superlativ mit dickem Wahrheitsgehalt.
Warum spielen wir immer so traurige Lieder, zitiert Alison Krauss die Frage eines Fans nach gut der Hälfte des zwei-stündigen Konzerts: weil wir so traurige Leute sind, antwortet sie selber und lacht. Und das ist auch die eigentümliche Wirkung dieser traditionellen Musikform, vermittelt sie auf der einen Seite eine musikverliebte Fidelheit mit ihren kleinen akrobatischen Instrumentalpassagen, in den Erzählungen der Songs aber kann der ganze harte Überlebenskampf der einfachen, arbeitenden Menschen liegen. Es ist zeitgenössischen Musikern wie Alison Krauss und Union Station zu verdanken, dass diese Urform des Country auch heute wieder so viele begeisterte Freunde findet.
Da auch Jerry Douglas selber ein musikalisches Ereignis ist, sein neues Album "Traveler" ist soeben erschienen, bekommt er im Laufe des Sets eine gute Viertelstunde für sich alleine und darf seine Spielkunst zeigen, stürmisch beklatscht von den Bewunderern seiner phänomenalen Technik. Er beherrscht wie keiner das wortwörtlich schillerndste Instrument des Abends, aus Spaß sucht er sein Spiegelbild im blitzend metallenen Instrumentenkorpus.
Die Setlist der gespielten Songs umfasst auch einige Coverversionen. Paul Simons "The Boxer" wurde scherzhaft zwar erwähnt, blieb aber außen vor, dafür erklang das selten gehörte "Now That I Found You" von The Foundations, eine Soulnummer aus den Sixties. Eine ungewöhnliche Wahl, das Alison Krauss aber bereits seit Anfang der Neunziger spielt, wohl auch seines religiös deutbaren Inhalts wegen, und das stellvertretend für den beeindruckenden Genreswitch steht, den die Band zu vollbringen vermag, ohne dabei ihren Sound groß zu ändern. Bluegrass wird von diesen Meistern des Fachs immer auch als Startrampe für einen erweiterten Begriff von Musik genutzt, ohne dabei in die Falle zu tappen berühmten Songs in-a-bluegrass-style ihren Charakter zu nehmen. Zurück in die Zukunft, nannte das mal ein amerikanisches Musikmagazin. Diese moderne Auffassung von Bluegrass geht natürlich ein wenig auf Kosten eines eher traditionellen Rootsverständnisses, auch wenn die Zugabe bei diesem schönen Konzert fast gänzlich von minimal an der Gitarre begleiteten Spirituals bestritten wurde sowie dem wunderschönen "Down to The River to Pray". Zum in die Knie gehen.