Normalerweise macht es das Publikum einem Opening Act nicht leicht, wenn es nach Konzertbeginn hereinströmt, jeder Besucher seine Platz sucht und damit einfach eine gewisse Unruhe im Raum auslöst. Für einmal war es hier umgekehrt. Es waren die Sister Morales, die bereits mit ihrem ersten Song für Unruhe im Publikum sorgten, denn bei diesen Klängen konnte niemand ruhig bleiben. Tex-Mex pur! Mit dem fünften Song, "La Palomita", geriet das Publikum dann vollends aus dem Häuschen.
Einige Nummern wurden nur von der fünfköpfigen Band gespielt, für die restlichen wurde sie jeweils um Akkordeon, Violine und Horn erweitert. Zahlreiche Songs wurden in Englisch vorgetragen, aber irgendwie wirkten die Sisters authentischer, wenn sie auf Spanisch sangen. Spanisch passt einfach besser zu dieser Musik aus dem Süden der USA. Es war ein hervorragend geglückter Auftakt. Allen Besuchern, die zu spät kamen, kann man für ein nächstes Mal nur dies mitgeben: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Wie üblich waren an der Country Night vier Acts angesagten. Nach einer kurzen Umbaupause war die Reihe an Laura Bell Bundy. Wie sich gleich zu Beginn herausstellte, müsste sie eigentlich Bündel heissen, Energiebündel. Unglaublich, was die Dame da auf der Bühne mit ihren zwei Backup-Begleiterinnen gesanglich und tänzerisch abzog. Schon die erste Nummer "I'm No Good" liess das Publikum ahnen, was da noch folgen könnte. Unterstützt wurde Laura Bell Bundy und ihre zwei Backup-Girls von einer sechsköpfigen Band, in der auch ein Saxophon zeitweise den Ton angab.
Die meisten der vorgetragenen Songs waren von ihr selbst geschrieben. Sie ist nicht nur eine in der harten Schule des Broadway gross gewordene Tänzerin, schon vor ihrer Broadway-Karriere war sie eine aktive Liederschreiberin. Sie sei mit Singen und Tanzen aufgewachsen und könne sich nicht mehr erinnern, was zuerst war. Seit Kindsbeinen an hätte sie beim Singen immer auch tanzen wollen.
Was Laura Bell Bundy in Gstaad zeigte, war so neu nicht, als Fernsehzuschauer ist man sich das von grossen Popkonzerten oder teuren Musikvideos her gewohnt. Aber eben nur vom Fernsehen. Hier war es live und für die Bühne der Country Night Gstaad eine Premiere. Den Schnellgang legte sie dann gegen Ende ihrer Show mit "Sittin' On The Dock of The Bay", der legendären Nummer von Otis Redding, ein, die sie slow and easy begann, um dann plötzlich in Uptempo zu wechseln und gewissermassen als Sahnehäubchen eine perfekte Stepeinlage hinzulegen. Der Broadway lässt grüssen!
Ändert Laura Bell Bundy mit ihrem Stil etwa die Vorgaben für Country Music-Konzerte? Damit dürften einige Künstler wohl überfordert sein. Nun, wir werden sehen. Auf jeden Fall hat das Publikum an diesem Stil Gefallen gefunden, die stehenden Ovationen waren Beweis genug.
Für die Freunde des Bluegrass war die Darbietung von Dailey & Vincent so etwas wie ein Homecoming. Sechs Herren in Reih und Glied mit Anzug und Krawatte am Bühnenrand stehend, das war der Anblick, den man von Bluegrassgruppen-Auftritten her gewohnt war. Schon die ersten Klänge der Band waren Balsam für die Seele des Bluegrass-Liebhabers. Dass Dailey & Vincent aber nicht nur hervorragende Instrumentalisten und Sänger sind, sondern dazu noch begnadete Unterhalter, zeigten sie im Lauf des Abends.
Und dass sie nicht nur das klassische Liedergut des Bluegrass pflegen, zeigten sie mit Ausflügen in andere Musikdomänen, so etwa mit dem Country-Klassiker "Country Roads" von John Denver oder dem heute eher selten zu hörenden Merle Travis Song "16 Tons". Mit seiner unglaublichen Bassstimme liess Christian Davis Erinnerungen an Tennessee Ernie Ford wach werden, dem dieser Song seinerzeit zu weltweiter Popularität verhalf.
Obschon erst seit 2007 in einer Band mit ihrem Namen vereint, sind Dailey & Vincent alte Hasen im Musikgeschäft. Jamie Dailey spielte lange Jahre bei Doyle Lawson & Quicksilver, Darrin Vincent war 10 Jahre lang Mitglied von Ricky Skaggs Band und häufig noch mit der Band seiner Schwester, Rhonda Vincent, unterwegs. Mit A Cappela-Einlagen und perfektem Harmoniegesang begeisterten die sechs zum Teil Multiinstrumentlisten von Dailey & Vincent das Publikum. Der 2002 mit einem Grammy ausgezeichneten Alan Jackson-Song "Where Were You (When The World Stopped Turning)" frischte die Erinnerung an den 11. September auf. Mit rund 140 Auftritten im Jahr sind Dailey & Vincent einer der derzeit gefragtesten Bluegrass Acts in den USA, wurden und werden immer noch mit einer Fülle von Auszeichnungen eingedeckt.
Trace Adkins, der im Vorfeld als Star des Abends angekündigte Hüne aus Nashville trat mit einer acht Mann starken Band in Gstaad an. Mit Whup Hillbilly und Swing zeigte er gleich mal an, wo's musikalisch lang gehen sollte. Es waren moderne Country-Klänge, die Art Country Rock, die heute vornehmlich aus Nashville kommt, die aber hervorragend zu seinem starken Bass-Bariton passen.
Die meisten seiner in Gstaad vorgetragenen Songs sind den Radiohörern in den USA bestens bekannt. An der Pressekonferenz warnte er aber vor den Radioversionen, sie seien für das für das Radio getrimmt. Wenn man seine Songs verstehen wolle, müsse man zuerst mal in eine seiner CDs hinein hören und erst dann ein Konzert mit ihm besuchen. Die Gefühle in den Balladen kämen erst dann richtig zum Ausdruck. Und er liebe es, Balladen zu singen. Dennoch, in Gstaad kamen die Balladen etwas zu kurz.
Allerdings liess er es nicht nur bei seinen Songs bleiben. Mit "How Long Has This Been Going On", einem wunderschönen Gershwin-Song, überraschte er das Publikum. Er mag ja aus kommerziellen Überlegungen das Redneck-Image pflegen, auf der Bühne aber zeigt er eine Leidenschaft, die nicht gespielt weden kann und die seinem Gesang eine tiefere Dimension verleiht. Mit "Badonkadonk" als Schlussnummer des regulären Sets brachte er noch einmal Honky Tonk-Stimmung unter's Publikum. Als letzter Act im Programm gab er dem Publikum als Zugabe "Songs About Me" auf den Nachhauseweg.
Die Country Night Gstaad Zeigt an zwei Abenden das gleiche Programm. Dabei nehmen die Musiker manchmal die Gelegenheit wahr, um noch ein wenig am Programm zu schleifen. Auch dieses Jahr gab es Umstellungen, die aber keinen Einfluss auf das Programm hatten. Erwähnenswert sei höchstens, dass die Morales-Schwestern sich entschlossen hatten, am Samstag nur noch auf Spanisch zu singen. Es hat ihren Auftritt aufgewertet.