"Roses In the Rain". Da wird gerockt, die Gitarren kreischen, es ist laut. Sein Ausruf "Gimme some claps!" bleibt nicht ohne Folgen: die Hände der Zuhörer gehen rhythmisch zusammen. Wenn man denkt, es geht nicht mehr: "All We've Done"- und man wird eines Besseren belehrt. Schon Lerner- als Einheizer für den Hauptact - wird von den ersten Reihen vor der Bühne gefeiert.
Der Berliner Frannz Club, der auf den ersten Blick wie eine große Bar mit kleiner Bühne wirkt, ist nicht ausverkauft, aber gut gefüllt. Viel Platz ist hier ohnehin nicht, die Zuhörer stehen nah am Geschehen. Nach einer Umbaupause (wozu die nötig war, lässt sich nicht erklären, da dieselben Musiker auf der Bühne stehen…) erscheinen die drei Musiker mit Sänger / Gitarristen Ryan Bingham und eröffnen mit "Dollar A Day". Es ist das erste Konzert in Europa, nachdem sie noch vor wenigen Tagen in den USA auf Tour waren.
In Berlin hört man sofort, dass der Americana-Künstler und seine Lieder hier keine Unbekannten mehr sind. Die ersten Reihen jubeln ihm zu, singen auch schon mal ein paar Zeilen mit und tanzen sogar. Das Markanteste, was dem Zuhörer sofort auffällt, ist die Stimme. Verwunderlich, wie krächzend, wie rau und hart sie klingen kann. Und das bei einem gerade einmal 30jährigen. Da wird sofort jede Menge Lebensweisheit impliziert. Abgeklärt gibt er den rockenden Geschichtenerzähler, singt von Einsamkeit, von Depressionen, von Gewinnern und Verlierern, von der Weite des Westens. Und klingt dabei, als hätte er mit Reißnägeln gegurgelt. Immer wieder entdeckt man neben aller Ernsthaftigkeit auch ein Lächeln auf seinem Gesicht. Wie ein unbekümmerter Junge hüpft er manches Mal mit seiner Gitarre auf der kleinen Bühne umher, liefert sich mit seinem Gitarristen Liam Lerner Saitenduelle, die nicht selten orgiastisch enden. Ein schmutziger Sound zwischen Southern-Rock und Blues, zwischen Folk und Country, kaum eindeutig einortenbar. In "Tell My Mother" verarbeiten die Musiker sogar so etwas wie Square Dance, natürlich unter stampfender Mithilfe des Publikums, die sich nicht lange bitten lassen und die Energie von der Bühne aufnehmen. Bei "Hard Times" lässt Bingham wieder einmal an diesem Abend die Gitarren aufheulen, sie kreischen und jaulen, laut, ungestüm- und in "Direction of The Wind" treibt der stampfende Boogie-Rhythmus jede Energie nach außen.
So abwechslungsreich Ryan Bingham sein Programm auch gestaltet, es kommt unweigerlich der Zeitpunkt, wo der knallende Sound der Gitarren und die aufgeraute Stimme die Ohren der Zuhörer ermüdet. Deshalb wahrscheinlich zieht er auch nach nur einer knappen Stunde Musik die Reißleine und verabschiedet sich mit "Blue Bird" … Die ersten Gäste gehen schnell. Noch bevor der Sänger für einige Stücke zurückkehrt- an deren Abschluß sein Oscar®- und Golden Globe-prämiertes Werk "Weary Kind", aus dem Film "Crazy Heart", steht.
Trotz der eingestreuten Balladen, die im Übrigen gar nicht so ruhig sind, und ein paar Country-Elementen ist am Ende des Abends klar: Ryan Bingham ist eher ein Rocker, als ein Country-Musiker, wie die meisten ihn kennen. Fiddle oder Pedal Steel sind nicht sein Ding, Gitarren schon eher. Seine Einflüsse reichen weit in die Urgefilden der Gitarrenmusik. Man möchte ja nicht übertreiben, aber von weit her grüßen Hendrix und auch Waits. Als Songschreiber hingegen steht er eher in der Tradition von Kristofferson oder Van Zandt. Daraus macht er sein eigenes Ding. Mit einer Stimme, die wirklich beeindruckt, die kantig, und unverfälscht ist, manchmal an Springsteen oder an Adams erinnert. Das ist unterhaltend und macht Spaß! Eine gute Stunde lang…