James McMurtry ist ein scharfzüngiger Chronist des amerikanischen Alptraums. Auf der Bühne gibt er sich jedoch wortkarg. Selbst zu Barack Obamas historischer Amtsübernahme, die am Tag des Konzerts stattfindet, murmelt er nur lakonisch, als er seinen Protestsong "We Can't Make It Here" ankündigt: den werde er zukünftig wohl seltener spielen können. Den Titel, eine bissige Abrechnung mit der Bush-Regierung, hatte er 2004 vor der Wahl kostenlos ins Netz gestellt und offensichtlich genau die richtigen Töne getroffen. Denn er machte ihn populärer als jemals zuvor. Auf seinem aktuellen Album finden sich u. a. mit "Cheney's Toy" und "God Bless America" würdige Nachfolger - ebenso bittere, politische Kommentare zur Lage der Nation. Überhaupt ziehen sich sozialkritische Themen und ernüchternder Realismus durch sein Werk, seit dem - von John Mellencamp 1989 produzierten - Debütalbum "Too Long in the Wasteland".
Live macht McMurtry unheimlich Druck. Erstaunlich, was sich aus der Minimalbesetzung Gitarre, Keyboard (Ex-Small Faces/Faces Ian McLagan) und Schlagzeug, gelegentlich ergänzt durch einen zweiten Gitarristen, alles herausholen lässt. Zwei Stunden lang verwandelt der Texaner das Knust in einen Countryrock-Schuppen. In Austin bespielt er als Lokalmatador regelmäßig die Clubs - und ist offensichtlich mehr Action gewohnt. Die konzentrierte Aufmerksamkeit, die ihm in Hamburg zuteil wird, scheint ihm jedenfalls eher suspekt zu sein. Bereits nach ein paar Songs ermuntert er die Zuschauer, sich doch zu unterhalten und zu amüsieren. Das sei hier schließlich eine Bar und keine Bibliothek. Mit anderen Worten: Was Songwriter üblicherweise als Geringschätzung ihrer Kunst auf die Palme bringen würde, treibt McMurtry erst an. Er möchte trotz wortgewaltiger Texte eben auch anständig rocken. Und das gelingt ihm fabelhaft, beispielsweise mit dem sumpfig dampfenden "Bayou Tortous" und dem Boogie "Chocktaw Bingo". Nicht umsonst bekannte er sich jüngst in einem Interview zu Neil Youngs punkrockiger "Rust Never Sleeps"-Ära. Seine Texte mögen fein ziseliert sein, seine Songs selbst sind laut und treibend.
Die Akustikgitarre schnallt James McMurtry im Knust jedenfalls nur selten um, etwa bei der großartigen, epischen Ballade "Ruby & Carlos". Auch mit dem bittersüßen Titelstück "Just Us Kids" schlägt der fast 47-Jährige ausnahmsweise verhaltenere Töne an. Darin sinniert er mit monotoner, an Lou Reed erinnernden Stimme darüber, wie schnell die Zeit vergeht. Schließlich ist auch er bereits längst ein Veteran im Musikgeschäft, sein Spitzbart und die lockige Matte, die unter dem Filzhut hervorquillt, in Ehren ergraut. Der Sohn des Pulitzer- und Oscar-Preisträgers Larry McMurtry ("Weg in die Wildnis", Drehbuch zu "Brokeback Mountain") hat mittlerweile neun Alben herausgebracht, darunter ein Live-Album. Er bildete für den Soundtrack "Falling from Grace" Anfang der 90er Jahre zusammen mit seinem damaligen Mentor John Mellencamp, John Prine, Joe Ely und Dwight Yoakam kurzzeitig die "Buzzin' Cousins". Er sollte damals bei Columbia groß rauskommen (was nicht geklappt hat), und ist heute bei dem Independentlabel Lightning Rod (in Deutschland bei Blue Rose) glücklich und erfolgreich. Nur in Deutschland muss er sein Publikum offensichtlich noch finden. Oder es ihn. Im Netz hat man dazu jedenfalls hervorragende Gelegenheit. Und bei der nächsten Tour wird's dann rappelvoll.