Das Schauspielhaus ist mit seinen knapp 1.200 roten Plüschplätzen und barocken Verzierungen einer der größten und schönsten Theatersäle in Deutschland. Also genau richtig für jemanden wie Kris Kristofferson, der einige der größten und schönsten Country-Songs aller Zeiten geschrieben hat. Schlank und ganz in schwarz gekleidet hob er sich nur durch sein silbergraues Haar, das im Scheinwerferlicht glitzerte, vom schwarzen Hintergrund ab. Akustikgitarre, Mundharmonika, eine gesunde Portion Selbstironie - mehr brauchte er nicht, um das Publikum zu gewinnen. "Mein neunjähriger, mexikanischer Pflegesohn hat mal zu mir gesagt, Papa Kris, deine Musik bringt mich zum Einschlafen", warf Kristofferson lachend nach der Hälfte des Konzerts ein. Man wusste, was der Knirps gemeint hat. Das gepresste Brummen und der durchgehende Midtempo-Rhythmus konnten einen auf Dauer schon ins Reich der Träume schicken. Aber genau da wollte man ja auch hin! In eine längst vergangene Zeit, als Kristofferson durch Protestsongs und sensible Balladen das Lebensgefühl der Vietnam-Generation widerspiegelte.
"Busted flat in Baton Rouge, headin' for the trains...", gleich als Drittes kam "Me and Bobby McGee", Kristoffersons bekanntester Song. Im Laufe des Abends spielte er sie alle, darunter "Help Me Make It Through The Night", "For The Good Times", "Casey's Last Ride", "Lovin' Her Was Easier" und "Sunday Mornin' Comin' Down". Einige kommentierte er mit lakonischem Witz: "Nobody Wins" klinge verdammt nach der letzten Präsidentenschaftswahl in den USA, fand Kristofferson, der immer noch für seine Ideale und Gerechtigkeit eintritt. "Bei uns, im Land der Freiheit, sitzen mehr Menschen hinter Gittern, als in jeder anderen Nation", leitete er seinen romantischen Knastsong "Best of All Possible Worlds" ein. Natürlich erinnerte er sich auch an seinen Freund Johnny Cash, "der letzte Woche 75 Jahre alt geworden wäre". Nachdem Kristofferson die wütende Ballade "Johnny Lobo" gesungen hat, die das Schicksal des indianischen Freiheitskämpfers John Trudell beschreibt, fiel ihm ein, wie Cash zu dem Song immer backstage mitgeheult hatte wie ein Koyote, als sie auf Highwaymen-Tournee waren.
Zwei einstündige Sets lang plätscherte der Abend ruhig vor sich hin. Ein Fluss aus drei Dutzend Songs, die bisweilen abrupt mit einem eilig nachgeschobenen "Thank You" endeten. Kristofferson zupfte und schrammelte und begleitete sich etwas schnappatmig auf der Mundharmonika ("I ain't Bob Dylan, but it's all we've got"). Doch auch wenn ihm hin und wieder die Luft ausgegangen sein mochte. Seinen Biss hat er noch lange nicht verloren, wie die grandiosen Stücke des phänomenales Comeback-Albums "This Old Road" bewiesen, die er größtenteils im zweiten Sets unterbrachte. Etwa den Titelsong, oder die bittere Abrechnung mit Krieg, Armut und Ungerechtigkeit "In The News", und "Wild American", das ebenfalls John Trudells Kampf würdigte. In "Pilgrim's Progress", einer Nabelschau des Künstlers und sowas wie die Fortsetzung von "The Pilgrim: Chapter 33", lautet die erste Zeile: "Am I young enough to believe in Revolution?" Als Kris Kristofferson sie singt, brandet Jubel auf. Mit seiner Haltung, seinen Songs und seinen Kommentaren im Saal hatte er die Frage längst selbst beantwortet.
Überhaupt fügten sich die neuen Stücke nahtlos in den Abend ein und kamen genauso gut an wie die Klassiker. Eine Bestätigung mehr, dass dem Country-Poeten tatsächlich noch einmal ein großer Wurf gelungen ist. In "Final Attraction", einem der schönsten Stücke seiner aktuellen CD, heißt es: "Come on boy, get back up there, you can do it one more time (...), go break a heart". Damit brachte er das Konzert auf den Punkt. Denn das haben die Zuschauer (unter den Gästen: Tom Astor mit Frau, Volker Lechtenbrink, Gunter Gabriel und Manfred Vogel von der GACMF) erwartet und bekommen: jemanden, der die Gabe besitzt, ihre Herzen zu berühren - und der mit dem Herzen singt. Das war denn auch wichtiger als stilistische Bandbreite und Vokalakrobatik.