Mit "In the Cut" legt die Hamburger Band Giant Crow ihre Debüt-EP vor
Das Debütalbum "In the Cut" von Giant Crow ist kein Album zum Nebenbeihören. Es ist ein einziges Crossover, das sich wenig um Genregrenzen schert, klassische Countrynoten mit Nick Cave vermählt, im progressiven Rock eine Heimat findet, aber nie die Faszination für die Country Music aus den Augen verliert. Selbst im rockigsten Moment bleiben Augenblicke, die doch wieder den Bogen zur Country Music schlagen.
"In the Cut" beginnt mit "Hands", dessen Einstieg Bilder entwirft, die einem Spätwestern entsprechen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der etwas beobachtet. Was? Wir wissen es nicht. Steht er vor seinem Haus? Irgendwo im Nirgendwo? Draußen, weit entfernt von den Städten? Ein einsamer Mann - verfolgt von den Geistern seiner Vergangenheit? Die Musik stellt Fragen und gibt Antworten. Die Gitarre, verzerrt, brutal, bricht die Ruhe. Der Kampf gegen die Geister der Vergangenheit beginnt.
"In the Cut" ist wie ein Soundtrack zu einem ungedrehtem Film
"Hands" ist der Einstieg, wie er perfekter nicht ausfallen kann. Alternative Country ist das, was die Hamburger mit ihrem Debüt abliefern. Ein Album, das sich den Traditionen nicht verwehrt, aber seinen ganz eigenen Weg beschreitet. Es ist eine Reise durch unterschiedlichste Klanglandschaften, die vertraut und doch neu erscheinen. "In the Cut" fühlt sich an wie der Soundtrack zu einem Film, der noch gedreht werden muss, doch die Szenen beginnen bereits in den Köpfen der Zuhörer zu entstehen. Jeder Song malt dabei seine eigenen Bilder, schafft eigene Atmosphären, die sich wie Puzzlestücke zu einer größeren Geschichte zusammenfügen. Welche? Das bleibt der Fantasie der Zuhörer überlassen.
Brüche und Pathos
Nach "Hands" geht die Reise weiter mit "City Lights". Auch hier beginnt die Melodie eingängig; fast hymnisch erhebt sich die Stimme, um die Nacht mit ihren Lichtern der Hoffnung zu feiern, und doch schwingt auch hier eine gewisse Melancholie mit. "City Lights" ist wie ein Blick in die Ferne, auf die Lichter einer Stadt, die man erreichen will, die aber vielleicht unerreichbar bleibt. Es ist dieser Spannungsbogen zwischen Hoffnung und Resignation, der das gesamte Album durchzieht und es so packend macht. Inhaltlich geht es immer wieder um die Suche nach einem Platz in einer chaotischen Welt. Das erklärt die immer wiederkehrenden Brüche, die Härte, die auch eher ruhige Stücke vorantreibt. Als Kontrast dient die Stimme als ein Instrument, das jedem Stück gleichzeitig tiefe Menschlichkeit verleiht. Mal melancholisch, mal voller Pathos.
Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Hamburg an. Zugegeben, mit diesem klassischen Country-Song der legendären Band Truck Stop hat "Giant Crow" musikalisch nicht allzu viel gemeinsam. Mit einer großen Ausnahme: Auch ihre Wurzeln liegen an der Waterkant. "Giant Crow" ist aus den Überresten der Band "Raindance Kid" entstanden, die eigentlich dieser Tage ihr zehntes Bandjubiläum hätte feiern können. Doch man hat sich neu ausgerichtet, so ist auch ein neuer Name entstanden.
Mastermind der Band ist Nikolas Kuhl und dass dieses Debütalbum fast wie das Begleitalbum zu einem Neo-Western klingt, kommt nicht von ungefähr. Er ist Theatermusiker und hat als solcher an einer Reihe unterschiedlichster Produktionen mitgewirkt. Er ist also kein Musiker, der fest in einem Genre beheimatet wäre, sondern schon von seiner Brot- und Buttertätigkeit her ist er ein Mann, der in unterschiedlichsten Welten agiert.
Dazu gehört auch, dass er gerade mit dem Autor Stefan Sandrock einen düsteren Thriller über eine Entführung geschrieben hat, die Parallelen zu einem 20 Jahre alten Fall aufwirft, der jedoch als abgeschlossen galt, da sich der Entführer angeblich selbst gerichtet hat. "Das Dickicht" heißt der Roman, der in Hamburg spielen mag, aber als Nordic Noir seine Vorbilder im skandinavischen Thriller findet. Eine gewisse Vorliebe für düstere Welten scheint Nikolas Kuhl nicht gänzlich fremd zu sein.
16 Horsepower als Vorbild?
Einige Parallelen finden sich in der Musik von "Giant Crow" zu den Klangwelten von 16 Horsepower, die in den 90ern mit einer Mischung aus Folk, Bluegrass, Gospel und Alternative Rock im Alternative Country ihre Spuren hinterlassen haben. In Deutschland spielten sie als erste Band, die sich zu ihren Wurzeln in der Country Music bekannten, im Rockpalast des WDR.
Fazit: Ganz einfach werden es die Hamburger mit ihrem Album nicht haben. Das ist nicht Nashvillesound, das ist aber auch kein Mainstream-Country, der auf Spotify Millionen Klicks generieren würde. Dafür ist das Debütalbum zu sehr ein Grenzgänger zwischen verschiedenen Genres. Wer sich aber die Zeit nimmt, das Album wirklich zu hören und in seine Klangwelten einzutauchen, erlebt ein musikalisch intensives Ereignis, wie es selten geworden ist.