Gunter Gabriel: Release-Konzert in Hamburg

Gunter GabrielVor kurzem hätte man sich allenfalls vorstellen können, dass Gunter Gabriel als Kandidat im Dschungelcamp noch mal durchstartet, aber als Künstler? Und dann legt der Kerl mit "Sohn aus dem Volk" und der Autobiographie "Wer einmal tief im Keller saß…" plötzlich ein furioses Comeback hin. Zumindest, wenn alles nach Plan läuft. Die Medien stehen jedenfalls Schlange, jetzt müssen sich noch genügend Käufer für Gabriels gelungenes Alterswerk im Stil der späten Cash-Alben finden. Am vergangenen Donnerstag (22. Oktober 2009) stellte er auf einem öffentlichem Release-Gig im Hamburger Knust das neue Album live vor – und grinste sich eins.

Der erste Song des Albums, die Single "Ich geb den Rest für dich", eröffnet auch den Abend, denn "damit hat alles angefangen", wie der sichtlich gutgelaunte Gabriel erzählt. Im schwarzen Anzug steht er da und resümiert in Büßerpose: "Ich war nicht immer ein Vorbild (…) war oft genug ein Idiot (…) doch ich hab dafür geblutet, und meinen Preis gezahlt." Zerknirschte Selbstbekenntnisse im tiefsten Bass, nur zur Akustischen. Ein gelungener Auftakt, doch so ernsthaft wie der Grundtenor des Albums ist der Abend dann doch nicht. Dafür steckt immer noch zuviel Gabriel in dem "alten Sausack" auf der Bühne, wie er sich freimütig nennt. Trotz des feinen Zwirns sei er ja jetzt nicht plötzlich ein anderer geworden. Heißt: hemdsärmelige Sprüche zum seriösen "Konfirmantenanzug". Aber auf alte Hits wie "Komm' unter meine Decke" oder (aktueller denn je:) "Hey Boss, ich brauch' mehr Geld" verzichtet er trotzdem. Schließlich soll dies ein Neuanfang sein.

Das Knust ist rappelvoll, einige eingefleischte Gabriel-Fans sind da, aber die meisten Zuschauer sind geladene Gäste. Die Stimmung ist gut, ausgelassen. Gibt ja was zu feiern, und falls hier tatsächlich einer nach zwanzigjährigem Absturz nochmal das Ruder herumreißt, will man dabei gewesen sein. Auch Promis sind gekommen, alte Weggefährten wie Hugo Egon Balder, Mary Roos, Uli Salm & Bernd Kühl (Rudolf Rock & die Schocker); Dschungelkönigin Ingrid van Bergen und Mamma-Mia-Star Carolin Fortenbacher; und Udo Lindenberg hat immerhin Kultkumpel und Bodyguard Eddy Kante geschickt. Aber der Star des Abends heißt: Gunter Gabriel.

Gunter Gabriel fotografiert von Sven SindtEr genießt die Aufmerksamkeit und plaudert zwischen den Songs munter drauflos. "Ich bin hin und weg, dass ich heute überhaupt hier stehe", bekennt er strahlend, um dann sofort passend in eins der bessergelaunten Stücke des Albums einzustimmen: "Nie wieder wart' ich so lang", eine höchst eingängige Aufforderung, sich seine Träume zu erfüllen, bevor es zu spät ist. Wer wüsste es besser als er? Deshalb kündigt er auch gleich an: "Nächstes Jahr gibt's 'ne neue Platte." Er will keine Zeit mehr verplempern, weiß, dass dies seine letzte Chance ist. Und die Schubladen sind voll, also raus damit. Allerdings muss der "Sohn aus dem Volk" das Volk jetzt erstmal von dem Comeback-Album überzeugen. Er ist zuversichtlich ("bin ein unverbesserlicher Optimist"), dass seine Fans nicht nur Truckersongs von ihm hören wollen, sondern für den "runderneuerten Gabriel" bereit sind.

Eines hat sich überhaupt nicht verändert: die kraftvolle Stimme bringt auch live die Magengegend zum Vibrieren wie sonst nur das Signalhorn der Queen Mary 2. "Wie weit muss ich gehen, um mein Schicksal zu wenden?", brummt er in der melancholischen Ballade "Das Lied". Dabei unterstreicht er mit linkischen Gesten jede dröhnende Zeile, als wolle er diesen Moment des Triumphs für immer festhalten. Den ganzen Abend über reckt er die Faust oder breitet die Arme aus, zeigt freudig auf alte Bekannte im Publikum und versucht, das Glück zu greifen.

Als er auf Johnny Cash zu sprechen kommt, wird’s dann pathetisch. 25 Jahre lang seien sie freundschaftlich verbunden gewesen. Er will durch das Trennfenster des Cash-Aufnahmestudios gar Tränen der Rührung bei dem bereits schwer gezeichneten Country-Übervater gesehen haben, als er, Gabriel, "Before My Time" auf deutsch einsang ("der größte Augenblick meines Lebens"). "Vor meiner Zeit" wird zum intimsten Moment des Abends. Der Song ist Gunter Gabriel anscheinend so wichtig, dass er sogar selbst zur Gitarre greift, was sonst nur noch ein weiteres Mal vorkommt.

Gunter Gabriel fotografiert von Sven SindtAnsonsten lässt er der Band freien Lauf (zwei Gitarren, Keyboard, Schlagzeug, Bass), die auch schon das Album so lässig eingespielt hat. Fünf "junge Bengel, die allesamt meine Söhne, wenn nicht Enkel sein könnten", wie der 67-Jährige die Musiker stolz vorstellt, darunter Helmut Krumminga, Co-Autor einiger der neuen Songs. Und noch ein anderer "junger Bengel" hat es Gabriel angetan: Peter Fox. Dessen Megahit "Haus am See" präsentiert die Band als dermaßen sumpfig groovenden Delta-Blues, dass man unwillkürlich nach Moskitos Ausschau hält. Live eine der mitreißendsten Nummern, die hervorragend zu Gabriel passt. Wer auf einem Hausboot im Hamburger Hafen lebt, den kann man sich wunderbar in einem Haus am See vorstellen.

Auch den NDW-Klassiker "Blaue Augen" von Ideal hat Gabriel zum relaxten Countrysong umfunktioniert. Aber am Ende des einstündigen Release-Konzerts wird es noch mal ernst und düster. Radioheads "Creep" dient als Basis für Gabriels schonungslose Bestandsaufnahme eines Lebens voller Höhen und Tiefen. "Ich bin ein Nichts", singt er voller Inbrunst. Zum Abschluss stilisiert sich Gabriel in "Schlag' mein Herz"  überzeugend als Ernest Hemingways Held aus "Der alte Mann und das Meer", der einen archaischen Kampf um einen großen Fang erst mühsam gewinnt, um dann ihn dann doch wieder zu verlieren. Gabriel hat seinen Kampf dagegen, so scheint es, vorerst gewonnen und im letzten Moment noch mal die Kurve gekriegt – ganz ohne 30-Tonner-Diesel.

vgw
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