Es ist ihre Revelation-Road-Tour, benannt nach ihrem letztjährigen Album "Revelation Road", und sie kommt, wie auch dieses Album eingespielt wurde: ganz allein. Normalerweise verbindet man mit diesem, den hohen Reisekosten für eine Band, geschuldeten Umstand eine gewisse Enttäuschung, in ihrem Fall ist das jedoch unbegründet. Schon nach den wenigen Stücken erweist sie sich als souveräne Performerin, sicher in Takt, Ton und Präsens. Im Gegenteil: ihren Stücken ist man in dieser direkten, akustischen Form besonders nah. Sie ist dünner als erwartet. In Jeans und schwarzem Top wirken ihre Arme fast zerbrechlich, ihr frisch geföhntes, blondes Haar umgrenzt ein ernstes, schmales Gesicht, über das nur beim Applaus ein Lächeln huscht, um anschließend gleich wieder zu verschwinden. Wirklich locker, gelöst und freudvoll wirkt sie nie.
Die erste Hälfte des Abends wird durch die Songs des aktuellen Albums bestritten. Und es fällt auf, wie gut sie sind. "The Thief" zum Beispiel und "Toss It All Aside". In dieser reduzierten Form werden sie zu Folksongs, zu Balladen ohne Studioeffekte und konzentrieren sich ganz auf den lyrischen Gehalt.
Bei Shelby Lynne muss man nicht lange nach den Spuren ihres Lebensdramas suchen. Als sie 17 Jahre alt war, erschoss der Vater vor ihren Augen die Mutter und anschließend sich selber. Shelby Lynne kümmerte sich in Folge um die jüngere Schwester. Nahezu jedes Stück aus ihrer eigenen Feder handelt von Verletzung, Verlust, Trost und Erlösung. Das hat sich über all die Jahre nicht geändert, seit sie 1998 Nashville verließ, um tatsächlich eigene Stücke schreiben. Zuvor wollte sie wie Tammy Wynette werden, als Mainstream Country Act Karriere machen, erzählt sie in ihren seltenen Moderationen zwischen den zwei Dutzend Stücken an diesem Abend.
Und die Geschichten ihrer Songs sind einprägsam. Zum Beispiel die einer ungewöhnlichen Begegnung in "Jesus On A Greyhound" vom Album "Love, Shelby", das sensible "Killin' Kind" vom selben Album oder das nachdenkliche "Where Am I Now" von "Suit Yourself". Das Suchende, das Verlorene, das Verletzte, aber auch das Kämpfende kommt stets rüber, und auch wenn nur wenige ein ähnlich tragisches Schicksal teilen wie sie, so ist die Identifikation mit ihrem Überlebenswillen und der unbestreitbaren Toughness groß. Erstaunlich, wie viele hochgewachsene, kräftige Männer das Publikum bilden und sich zu spontanen Liebeserklärungen hinreißen lassen.
Shelby Lynne zu verehren ist nicht allein die Freude an ihrem großen Songwriter-Talent. Sie ist eine, die sich nicht unterkriegen lässt. Das bringt sie in jedem Song zum Ausdruck und wird darin zum Vorbild und zur Identifikationsfigur für den alltäglichen Kampf eines Jeden.
Und wenn eine energische, bestimmende Person wie sie nach gut 80 Minuten beschließt mit dem Konzert aufzuhören, dann bleibt noch Zeit für eine kurze Zugabe, aber dann ist Schluss.
Der Sound war nicht gut an diesem Abend in dieser heiligen Halle, zu kleine Boxen, zu wenig Bässe auf der Stimme. Ihrem Nachhall in den Herzen des Publikums aber hat das kaum einen Abbruch getan.