Für das neue Album "West" nahm Hal Willner (u.a. Lou Reed, Marianne Faithful) den heißen Produzentenstuhl neben ihr ein. Gemeinsam mit Musikern wie Star-Drummer Jim Keltner (Clapton, Lennon u.a.), dem abgefahrenen Gitarristen Bill Frisell, Keyboarder Rob Burger und Geigen-Virtuosin Jenny Scheinman sollten allerdings die irgendwie widersprüchlichen Sound- und Songvorstellungen der alternativen Folk- und Countrysängerin glücken. Will man doch meinen...
Und tatsächlich: Die CD ist voller Widersprüche! Das Cover ist eine Augenweide - das Titelfoto zeigt die Sängerin in nachdenklicher Pose, ein grimmiger Zug um die Mundwinkel, der Blick stur ins Nichts gerichtet. Klappt man das Pappcover auf galoppieren einem im Gegenlicht Wildpferde durch einen romantisch bewaldeten Bachlauf entgegen. Vielleicht ein Fingerzeig an "Der Pferdeflüsterer", dessen Soundtrack sie mit "Still I Long For Your Kiss" maßgeblich veredeln half. Das 16-seitige Booklet wiederum erinnert mit dem grobkörnigen Aufmacherfoto an die Zeit der amerikanischen Depression, an Steinbecks "Früchte des Zorns", an Armut, Elend, Einsamkeit. Die Fotos im Innenteil könnte man in ihrer Magenta-Nostalgie an eine Liebeserklärung an den Mittleren Westen der USA deuten; an die Zeit, als man noch glaubte, alles sei möglich, alles werde gut; als Amerika noch für die "unbegrenzten Möglichkeiten" im positiven Sinne stand.
Diese Widersprüchlichkeit, dieses kontrastieren der Pole findet musikalisch ihre Fortsetzung. Großartiges wechselt sich ab mit Banalem; Feingeistiges mit Grobschlächtigem; Trauriges mit Lustigem; Intelligentes mit Stumpfsinn. Vermutlich ist es wichtig zu wissen, dass Lucinda Williams einiges zu verdauen hatte: Ihre Mutter starb und auch sonst hatte sie privat einiges wegzustecken. Wie für Musiker üblich, ist Songschreiben die beste Therapie. Doch manchmal möchte man es, ehrlich gesagt, gar nicht so genau wissen. Wie sie beispielsweise in dem lauten, rockigen "Come On" über ihren Ex abledert, na ja ... Oder das musikalisch überzeugende, textlich aber irritierende "Fancy Funeral". Sorgen könnte man sich über sie allerdings machen, liest man die einfach nur albernen Textzeilen von "What If" - da singt sie doch allen Ernstes Zeilen wie: "If cats walked on water, and birds had bank accounts, and we loved one another in equal amounts." Dummerweise verpackt sie diesen hochkarätigen Unsinn in wundervolle, elegische Klänge. Widersprüche, Sie verstehen...
Doch die CD hat auch einige wirklich exzellente Songs zu bieten. Die wundervolle Liebeserklärung an ihre Mutter "Mama You Sweet", das melancholische, mit einer herrlichen Gitarre verzierte "Rescue", der hypnotisierende Opener "Are You Alright?" (ähem, diese Frage stellt sie im Verlauf des Songs übrigens genau 22 Mal). Dadaistisch monoton dagegen kommt das mit einem verstörenden Telefongemurmel beginnende "Wrap My Head" daher - wer sich eine rappende Amanda Lear in ausgewaschenen Jeans und Cowboystiefel vorstellen kann, liegt nicht so ganz falsch.
Fazit: Lucinda Williams hat harte Zeiten hinter sich - das hört man auch. Trotz mancher Fehlgriffe bleibt sie trotzdem eine der interessantesten Singer/Songwriterinnen im Folk und Country.Label: Lost Highway (Universal) | VÖ: 2. März 2007 |
Titelliste
Links
01 | Are You Alright? | 08 | Where Is My Love? | |
02 | Mama You Sweet | 09 | Rescue | |
03 | Learning How to Live | 10 | What If | |
04 | Fancy Funeral | 11 | Wrap My Head Around That | |
05 | Unsuffer Me | 12 | Words | |
06 | Everything Has Changed | 13 | West | |
07 | Come On |