Natürlich hätte es Springsteen längst nicht mehr nötig. Er müsste schon lange keine Alben mehr aufnehmen, nicht mehr auf Tour gehen. Doch: er macht's, immer wieder. Warum? Weil er es gerne macht, weil er einfach ein Vollblut-Musiker ist. Er kann nicht anders.
Trotzdem ist es schon auffallend, wie sich der Boss für "Wrecking Ball" ins Zeug gelegt hat. Schon Cover- und Booklet-Ausstattung machen deutlich, dass es - nach diversen spartanisch arrangierten Tonträgern - dieses Mal wieder richtig in die Vollen geht. Mit allem drum und dran. Mit allem was gut und teuer ist. Mit allem, wofür Springsteen seit seinem 1973 erschienen Debüt "Greeting From Asbury Park, N.J." steht. Ein echter Rundumschlag.
Entsprechend kraftvoll und energiegeladen sind auch die Posen auf den Cover- und Booklet-Fotos. Mehrfach sieht man ihn, wie er seine brave Telecaster packt, als ob er sie strangulieren, niederringen möchte. Er quetscht sie aus - um Töne, die nur der Schmerz hervorbringen kann. Und Schmerz - psychisch wie physisch - ist ja seit Karrierebeginn ein Leitmotiv für Springsteen.
Für "Wrecking Ball" verpackt er seine Klagen und Anlagen allerdings größtenteils nicht in moll-gefärbte Akustikgitarren-Arrangements, sondern in zupackenden Rock. "This Depression" - ein pathetisch angehauchter Mainstream-Rocker, inklusive Gitarren-Solo, einem Wüterich am Mikro und reichlich 80ies-Spirit. Auch das düstere "Death to My Hometown" kleidet er in vergleichsweise fröhliche Harmonien und Arrangements. Ein lauter Song mit einem plumpen, fast an "We Will Rock You" erinnernden Beat und einer kräftigen Prise Irish-Folk. Überhaupt: die irische Tradition hat es ihm auf "Wrecking Ball" hörbar angetan. Kein Wunder, sein Vater ist von irisch-holländischer Herkunft. Der Boss wuchs in dem einfachen Haushalt gemeinsam mit seinen Eltern, seinen zwei jüngeren Schwestern, der Religion und der irischen Musik auf. Er hat sie auf alle Fälle intus, die Jigs und Barndances der Grünen Insel.
Das beweisen auch das irgendwie an einen übergroßen Shanty-Chor erinnernde "Shackled And Drawn" und der Titelsong. "Wrecking Ball" ist so ziemlich alles: keltisch angehauchter Rocksong, ein stadiontaugliches Bombast-Werk, Hymne, Bläser sorgen für Rhythm and Blues-Feeling - und dazu eine wunderbare Rückbesinnung auf seine privaten Roots. Nicht nur hier beweist er sein grandioses Talent als Geschichtenerzähler. Mit einfachen Worten und starken, bewegenden Bildern ist Bruce Springsteen einfach der Hemingway der Rockgeschichte.
Manchmal aber drängt sich der Eindruck auf, dass er hier zu viel will. Alles - und alles gleichzeitig. In "Rocky Ground" zum Beispiel, ein über viereinhalbminütiges Epos, packt er jazzige Harmonien, dezente Rap-Einlagen (!) und Gospelchor. Ein Song, so kalorienreich wie ein gutes Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Aber nicht ganz so süß... "Land of Hope And Dreams" kann da schon eher mithalten: erneut eine monumentale Rock-Ballade, viel, viel Geklimper, wieder Chor und Rock in XXL. Mit dabei - und da wird der geneigte Hörer wehmütig - der im letzten Jahr verstorbene Clarence Clemmons, Springsteens langjährig treuer Saxophonist.
Ach ja, natürlich packt der Boss zwischendrin auch sein Folk- und Country-Faible aus. "We Are Alive", der letzte offizielle Track, geht als lupenreicher, grundehrlicher, staubtrockener Country-Song durch. Ein spätes Glanzlicht der CD.
Die Bonustracks, das düstere "Swallowed Up (In The Belly of The Whale)" und der waschechte Irish-Folk-Rock von "American Land" bringen das monumentale Werk kraftvoll zu Ende.
Fazit: Klarer Fall, der Boss kann's noch. Eine CD, wie für eine Tour mit der E-Street-Band geschaffen. Großer, stadiontauglicher Rock mit (Irish)Folk- und Country-Elementen und reichlich Pathos.
Label: Columbia (Sony) | VÖ: 2. März 2012 |
Titelliste
01 | We Take Care of Our Own | 08 | You've Got It |
02 | Easy Money | 09 | Rocky Ground |
03 | Shackled And Drawn | 10 | Land of Hope and Dreams |
04 | Jack of All Trades | 11 | We Are Alive |
05 | Death to My Hometown | 12 | Swallowed Up (In The Belly of The Whale) |
06 | This Depression | 13 | American Land |
07 | Wrecking Ball |