Sein größtes Idol seiner frühen Karrieretage war Leon Russell. Der aus Oklahoma stammende Sänger, Songwriter, Pianist, Gitarrist und Sänger war für einige Jahrzehnte ein gesuchter Session-Musiker und Live-Sideman. Alle Großen des Business sicherten sich seine versierten Dienste: von den Rolling Stones über Eric Clapton bis hin zu Frank Sinatra, Beach Boys und – so langsam wird's Country – Willie Nelson, The Band, J. J. Cale und Glen Campbell. Was in seiner Vita gerne vergessen wird: seine respektable Solo-Karriere – "One For The Road" (Duett mit Willie Nelson) landete auf Platz 3 der Country-, "Carney" auf Platz 2 der US-Billboard-Charts. Wie hoch das Ansehen des weißhaarigen, rauschebärtigen Musikgenies in Musikerkreisen ist, wurde zuletzt bei den Grammys deutlich, als er gemeinsam mit die Zac Brown Band am Piano verstärkte.
So, nun also Elton John und Leon Russell gemeinsam. Wie es dazu kam, beschreibt Sir-Elton auf vier Booklet-Seiten – sehr emotional, sehr persönlich, aber auch: durchaus glaubwürdig. Vielleicht sollte man vor dem ersten Hördurchgang diesen Text lesen, um die Geschichte der CD besser einschätzen zu können. Für Elton John ist dieser Longplayer, da besteht kein Zweifel, eine echte Herzensangelegenheit. Er sagt: von allen seinen bisher veröffentlichen Alben ragt "The Union" heraus. Die Arbeit mit seinem Idol – dazu produziert von keinem Geringeren als T-Bone Burnett – war für den Popstar offenbar ein unvergleichliches Erlebnis. Auch weil Leon Russell vor den Aufnahmen sehr krank war und sich einer schwierigen Operation unterziehen lassen musste. Doch, so Elton John, die Songs und die Sessions hätten ihn wieder erstarken lassen. Jetzt sei Leon Russell endlich wieder da wo er hingehört: im Bewusstsein der Musikliebhaber.
Wer will ihm da widersprechen? Bei so einer Geschichte? Doch – und das ist das Schöne daran – die CD würde auch ohne diese Begleitumstände gut funktionieren. Klar ist "The Union" vor allem eine Elton-John-CD. Wieder schrieb er einige Songs mit seinem Leib- und Seele-Texter Bernie Taupin. Wieder steht das virtuos klimpernde, perlende Klavier im Sound-Focus. Wieder schwelgen die Harmonie zwischen Pop und Gospel, Beat und Ballade, Moll und mollig. Allerdings, und das dürften die Verdienste von Russell und T-Bone Burnett sein, klingt alles um eine Nummer weniger glatt und gebügelt. Das rustikale Umfeld sorgte offenbar dafür, dass der geschmeidige Sänger um einen guten Ton mit seiner Stimme tiefer ging – und verstärkt so das etwas hemdärmeligere Ambiente.
Der Auftakt der CD bleibt allerdings Leon Russel vorbehalten. "If It Wasn't For Bad" stammt aus seiner Feder, er spielt Klavier und übernimmt die Lead-Vocals. Ein starker, erdverbundener, Rhythm and Blues der verdeutlicht, warum Elton John den 68jährigen – der optisch heute auch als 100jähriger durchgehen würde – so sehr verehrt. Er hat einfach das Feeling in Fingern und Stimmbändern, entfacht aus wenigen Akkorden und gezügeltem Körpereinsatz ein Maximum an Emotionen und Groove. Alte Schule also.
Der adelige Pop-Prinz lässt sich, wie sich zeigt, von dieser Herangehensweise durchaus inspirieren. Er hält sich in allen Tracks mit geschniegeltem Pathos zurück und klingt deutlich urwüchsiger als sonst. Das Ergebnis sind feine, ungeschliffene Pop-Perlen wie "Eight Hundred Dollar Shoes" oder "The Best Part Of The Day", das verdächtig an Momente seiner CD "Songs From The West Coast" erinnert. Doch die 14 Titel und 63 Minuten halten auch noch andere Klänge parat: Deftigen Rhythm and Blues ("Hey Ahab" – klasse Titel!), stimmgewaltige Gospelchöre ("There's No Tomorrow"), Countryfeeling ("Jimmie Rodger's Dream") und an die 60ies erinnernde Kracher, inklusive Honky-Tonk-Piano und Bläser ("Monkey Suit").
Fast schon kurios wird das Album, wenn sich noch ein paar Stargäste dazugesellen: Soul-Legende Booker T-Jones lässt öfter mal die Hammond wummern; Beach Boy Brian Wilson steigt bei der superlangsamen Ballade "When Love Is Dying" mit ein und Neil Young (!) lässt bei "Gone To Shiloh" seinen staubigen Tenor erklingen – um mit Elton John und Leon Russell den vielleicht skurrilsten Männergesangsverein der jüngeren Popgeschichte zu bilden. Skurril? Ganz klar. Doch auch: wunderschön. Der Titel verströmt eine so wundervolle Traurigkeit, dass man nur noch Dahinschmelzen und Leiden möchte. Ja, so muss eine Ballade sein.
Dass die Produktion natürlich Tiefgang, Wärme und grandiose Musiker bietet – darunter Drummer Jim Keltner und Gitarrist Doyle Bramhall II – versteht sich bei Grammy-Gewinner T-Bone-Burnett von selbst. Feine Sache also. Wer schon mal auf der Suche nach einem hübschen Weihnachtsgeschenk ist, kann hier bedenkenlos zuschlagen.
Fazit: Elton John feiert seinen persönlichen Helden – mit Herz, Schmerz, Pathos und Piano. Aber auch mit urigen Sounds und Songs. Produzent T-Bone-Burnett besorgt den Rest.
Label: Polydor (Universal) | VÖ: 22. Oktober 2010 |
01 | If It Wasn't For Bad |
02 | Eight Hundred Dollar Shoes |
03 | Hey Ahab |
04 | Gone To Shiloh |
05 | Hearts Have Turned To Stone |
06 | Jimmie Rodgers' Dream |
07 | There's No Tomorrow |
08 | Monkey Suit |
09 | The Best Part Of The Day |
10 | A Dream Come True |
11 | I Should Have Sent Roses |
12 | When Love Is Dying |
13 | My Kind Of Hell |
14 | Mandalay Again |
15 | Never Too Old (To Hold Somebody) |
16 | In The Hands Of Angels |
Titelliste DVD | |
01 | The Union |