Man durfte gespannt sein. Denn eine CD von Wynonna war in den letzten Jahren immer eine Art Wundertüte. Bei ihrem 1992 erschienenen, gleichnamigen Solo-Debüt präsentierte die jüngere Hälfte des Mutter-Tochter-Acts "The Judds" soliden, gefälligen Country-Rock und -Pop, gewürzt mit der einen oder anderen Blues- und Folk-Nummer. Das galt weitgehend auch für die nachfolgenden Alben "Tell Me Why" und "Revelations". Solide Wertarbeit, mit gefälligen Songs, von Top-Produzenten (Tony Brown) und den besten Musikern Nashvilles in Szene gesetzt - und stets in obersten Charts-Regionen platziert. So hätte es weitergehen können. So ging es aber nicht weiter. Babypause, eine gescheiterte Ehe und auch musikalisch hat sie etwas den Anschluss an aktuelle Sounds und Trends verloren. Ihre weiteren Alben floppten zwar nicht, sie erreichte aber nur noch mit dem 2003 veröffentlichten "What The World Needs Now Is Love" die Top-10 der Charts.
Zuletzt mag sie mit ihrem "Love Heals - A Tribute to Our Wounded Warriors" (2010) zwar noch Applaus aus den patriotischen Kreisen geerntet haben, die CD kletterte aber nicht höher als bis Platz 32. Zu wenig für eine Sängerin ihrer Güte. Es folgten "The Judds"-Revivals und Las Vegas-Konzerte. Alles okay, alles legitim. Man muss ja schließlich von etwas leben.
Wynonna & The Big Noise - zurück zur alten Klasse
Jetzt aber scheint die stimmgewaltige Sängerin wieder ihren früheren Biss gefunden zu haben. Gemeinsam mit Ehemann Cactus Moser, der frühere Drummer von Highway 101, hat sie jetzt das Bandprojekt "Wynonna & The Big Noise" aus der Taufe gehoben. Vielleicht die beste künstlerische Entscheidung in den letzten 20 Jahren. Denn gemeinsam mit ihren vier soliden Mitmusikern spielt die routinierte Sängerin alle ihre gesanglichen Trümpfe und ihr unwiderstehliches Temperament aus - in strammen Country-Rockern, in Blues-Tracks, in harmonisch prächtig eingängigen Southern-Rock- und Soul-Songs.
Anstatt klangtechnisch zu feilen und zu schminken, bis kaum mehr etwas von der Seele eines Songs übriggeblieben ist, gehen es Wynonna und ihre Herrenriege rustikal an. Nach alter Musikers Sitte haben sie die Titel größtenteils live im Studio eingespielt. Diesen rauen Charme spürt man. Und er tut den Songs gut. Schon der von Chris Stapleton mitkomponierte Opener "Ain't No Nothing" besticht durch stramm rockenden Groove, rotzigen Gitarren und klasse Hooklines. Erster Stargast: die wunderbare Susan Tedeschi. Erstes Zwischenfazit: top! Die Messlatte legt der innere Kritiker gleich mal um eine Stufe höher. Doch kein Problem für Wynonna & Co. Der mit brummender Hammond, Tom-Tom-Grooves und mit viel Freiräumen ausgestattete Soul-Leckerbissen "Cool Ya'" drängt sich ebenfalls sofort in die Hörgänge wie das nachfolgende, Jason Isbell als nächsten Duett-Partner präsentierende "Things That I Lean On". In dem ruhigen, wundervoll komponierten Track zeigt die stämmige Wynonna, dass sie auch eine Frau für leise und eindringliche Töne sein kann. Vor allem, wenn ihr mit Jason Isbell ein Meister der Sensibilität zur Seite steht.
Wynonna & The Big Noise plus handverlesene Gästeriege
Gar nicht leise, gar nicht zögerlich wird es in dem Southern-Rocker "You Make My Heart Beat Too Fast" und auch nicht bei dem im Retro-Soul und Zwei-Viertel-Motown-Groove angelegten "Staying In Love". Für die einschmeichelnden Melodien war Raphael Sadique verantwortlich, einer der jungen Helden der neuen R&B- und Soul-Szene. So schön der Titel sein mag. Ihre Fans werden sie dennoch lieber mit der Blues-Ballade "Keeps Me Alive" hören. Erneut: ein fantastischer Song. Ruhig, hypnotisch langsam, aber voller Intensität und Gefühl. Für das Tüpfelchen auf dem berühmten "i" sorgt das Slide-Solo von Derek Trucks. Vier Minuten, zwölf Sekunden purer Musikgenuss.
Auch die restlichen Titel haben ihren Reiz, strotzen vor Musikalität und Spielfreude. Zum Beispiel der tief gehende Folksong "Jesus And A Jukebox", die soulige Blues-Ballade "You Are So Beautiful" und - vor allem - das sehr nach Mitternachtssession klingende, im extrem langsamen Swamp-Blues gehaltene "Choose to Believe". Mit knapp vier Minuten ist der herrliche, an frühe Ry Cooder-Meisterwerke erinnernde Titel viel zu kurz. Zum Glück gibt es die Replay-Taste.
Fazit: Wynonna hat Las-Vegas-Bombast und Sound-Schminke entsorgt, um mit einer handwerklich astreinen Herrenriege erdige Klänge zu fabrizieren. Das gleichnamige Album Wynonna & The Big Noise bietet erstklassigen Country-Rock sowie soulige und bluesige Southern-Rocker. Schon jetzt gilt: das Comeback des Jahres!
Label: Curb (hier nicht veröffentlicht) | VÖ: 12. Februar 2016 |
01 | Ain't No Thing (mit Susan Tedeschi) |
02 | Cool Ya' |
03 | Things That I Lean On (mit Jason Isbell) |
04 | You Make My Heart Beat Too Fast (mit Cactus Moser) |
05 | Staying In Love |
06 | Keeps Me Alive (mit Derek Trucks) |
07 | Jesus And A Jukebox |
08 | I Can See Everything |
09 | Something You Can't Live Without |
10 | You Are So Beautiful |
11 | Every Ending (Is A New Beginning) |
12 | Choose to Believe |