Nach richtig Pressure klingt das zweite Album von Mrs. Greenbird "Postcards" jedenfalls zu keinem Song, zu keinem Ton. Eher ist das Gegenteil der Fall. Dafür dürfte auch verantwortlich sein, dass sie die CD unter der Produzenten-Regie von Marshall Altman (Amy Grant) in Nashville aufgenommen haben. Eine weise Entscheidung. Denn hier leben bekanntermaßen nicht nur die besten Musiker im Country und Folk, hier gibt es auch die dafür besten Studios, Produzenten und Arrangeure. Außerdem: Die Songs und Sounds des Kölner Folk-Zweiers sind regionalen und nationalen Maßstäben längst entwachsen. Ihre Musik ist: international.
Wer genau hinhört, erkennt bei den Vocals von Sarah Nücken und Steffen Brückner trotzdem eine Spur deutsches Klang-Kolorit. Nicht schlimm, nur Nuancen. Nicht so genau muss man die Ohren spitzen, um bei Nücken die Folgen ihrer absolvierten Gesangsausbildung zu erkennen. Sie kann jederzeit aus dem Stand zum Oktavensprung ansetzen, um alpine Tonregionen zu erreichen. Kompliment! Andererseits klingt so manches gesangliche Bravourstück etwas geschult und operndivenhaft. Vielleicht auch: etwas deutsch.
Country-Folk-Pop auf "Postcards"
Egal, die beiden legen mit "Postcards" ein richtig schönes Country-Folk-Pop-Album hin. Schon der im Dreiviertel-Takt gehaltene Opener "Dark Horses" kann durch Bluegrass-getränkte Melodien und authentische Country-Stimmung überzeugen. Man spürt, dass den beiden die Sessions mit den Nashville-Cracks (u.a. Drummer Shannon Forrest und Pianist Tim Lauer) Spaß gemacht haben. Mehr noch: Musiker diesen Formats und dazu in dieser musikhistorischen Umgebung (im legendären RCA Studio A) haben hörbar Wirkung gezeigt und Sarah und Steffen zu Höchstleistungen inspiriert.
Musikalisch gereift zeigen sich die beiden beispielsweise auch im nächsten Track von "Postcards": "Everyone's The Same", ein mit einer typischen Mark Knopfler Vintage-Gitarre aufgeladener, gut gelaunter Folk-Rock-Song mit herrlich ins Ohr gehenden Melodien. Ein Titel, der sich in jedem amerikanischen Autoradio gut machen würde. Dieses hohe Niveau kann nicht jeder Beitrag des neuen Song-Dutzends halten. Tracks wie das süße "Shine Shine Shine" und das ebenfalls süße "Lucky One" sind einfach nur: süß. Kantiger und interessanter fallen die nostalgische Revue-Nummer "Insomniac" und das temperamentvolle Folk-Zwiegespräch von "Planets" aus. Gerade letzterer Refrain hat alles, was ein echter Ohrwurm harmonisch so drauf haben sollte. Ganz so leicht macht es einem der Titeltrack dagegen nicht. Dennoch ist der Song vielleicht das Glanzstück der vollauf gelungenen CD: ein betörend ruhiger Titel mit Tiefgang und prächtigen Harmonieverbindungen. Spätestens wenn in der zweiten Strophe Tim Lauer seine traurige Akkordeonmelodie zu spielen beginnt, kommt unweigerlich die Gänsehaut angekrochen. Ein absoluter Song-Volltreffer!
Etwas zu süßlich fallen das ganz nach Kinderlied klingende "Mr. Werwolf" (das Schreckgespenst von Mrs. Greenbird?) aus und auch dem Folk von "Hole In Your Heart" fehlt es an Biss. Das gilt keinesfalls für den von Steffen Brückner gesungenen Roots-Country-Song "Good Ole Ricky", den flotten Country-Rocker "Slow Me Down" und für das ganz im Bluegrass angelegten "Take My Hand", mit dem die CD "Postcards" erstklassig ausklingt. Bei letzterem Track fühlt man sich sogar fast an Alison Krauss erinnert - und ein größeres Kompliment kann man den beiden wohl kaum machen.
Fazit: Mrs. Greenbird ist nach Nashville geflattert, um dort mit Top-Musikern das Top-Album "Postcards" aufzunehmen. Selten zuvor hat man eine deutsche Formation besser amerikanische Roots-Musik machen hören.
Label: Four / Columbia (Sony) | VÖ: 7. November 2014 |
01 | Dark Horses |
02 | Everyone's The Same |
03 | Shine Shine Shine |
04 | Lucky One |
05 | Insomniac |
06 | Postcards |
07 | Planets |
08 | Mr. Werewolf |
09 | Hole In Your Heart |
10 | Good Ole Ricky |
11 | Slow Me Down |
12 | Take My Hand |