Die Geschichte geht so: Vor 35 Jahren, also Anno 1985, klingelte im Hause der damals 19-jährigen Sängerin um vier Uhr morgens das Telefon. Eine unwirtliche Zeit für einen Anruf, aber das Anliegen hatte es in sich: Sie wurde gefragt, ob sie Lust hätte, eine Cover-Version des Dolly-Parton-Hits "Apple Jack" aufzunehmen. Dolly Parton? Apple Jack? Der damals in der DDR lebenden Künstlerin sagten weder Interpretin noch Titel etwas. Dennoch stand sie am nächsten Tag pflichtbewusst im Studio, um genau jenes Lied einzusingen. Na klar, der Song wurde - wo wäre sonst das Happy-End? - ein riesiger Erfolg im einstigen Ostdeutschland. Und wäre der Track nicht aus Nashville, und damit aus dem imperialistischen Westen gewesen, hätte Linda Feller bereits mit 19 Jahren ihre erste "Goldene" eingeheimst.
Linda Feller - die deutsche Country Queen
Doch geschenkt. Sie hat auch so eine ziemlich unvergleichliche Karriere hingelegt. Sie hat Hits gesammelt, ist mit der Crème de la Crème aus Nashville aufgetreten, sie ist ein regelmäßiger TV-Gast und - besser geht's nicht - sie ist 1998 als erste und bislang einzige deutsche Country-Sängerin in der Ruhmeshalle des Country, in der Grand Ole Opry in Nashville auf Einladung aufgetreten. Wer glaubt, dass die blonde Sängerin nach diesen Erfolgen und 38 bisher erschienenen Studio-Alben für keine Überraschung mehr gut sein kann, irrt sich. Ganz gewaltig sogar. Mit "35 Jahre - Das Jubiläumsalbum", Silberling # 39, hebt die gerade 54 gewordene Sängerin die deutsche Country Musik auf ein neues Level. Nicht nur, weil sie stimmlich voll auf der Höhe ist, sondern auch, weil sie auf der CD ein paar Star-Gäste der Extraklasse präsentieren kann.
Ray Stevens ist beispielsweise mit dabei. Mit ihm singt sie seinen größten Hit "Turn Your Radio On / Schalt' Dein Radio ein" als deutsch/englisches Duett. Sehr charmant und dazu gekonnt. Oder "Rocky". In der Jay Stevens-Komposition teilt sie sich das Mikrofon mit Dickey Lee und Charie McCoy. Zum Ausklang der zwölf Tracks umfassenden, von Christoph Leis-Bendorff und Rudolf Müssing größtenteils produzierten CD interpretiert sie gemeinsam mit Muck den Kenny Rogers/Dolly Parton-Klassiker "You Can't Make Old Friends" - und beweisen mit "Mein letzter Freund", dass Country und deutsche Sprache durchaus funktionieren kann.
Den Auftakt des Song- und Gaststar-Reigens übernimmt allerdings eine Duett-Partnerin, mit der man nicht unbedingt rechnen durfte. Es ist schließlich keine Geringere als Dolly Parton. Die ungekrönte Königin des Country - und dazu coolste Künstlerin des Genres - hatte, wie es heißt, richtig Lust auf ein Duett mit ihrer deutschen Kollegin. Zumal es ja auch ihr Song war, der Linda Feller den Weg in die Karriere ebnete. Eigentlich wäre die deutsche Country-Queen für die Sessions mit Dolly Parton nach Nashville geflogen, Corona hat die Pläne - wie so viele andere - durchkreuzt. Wie wichtig Dolly Parton aber das Duett war, zeigt sich auch darin, dass sie ihren langjährigen Produzenten Kent Wells für den Job hinter dem Mischpult angesetzt hat. Das Ergebnis ist ein launiger, warmherziger zeitlos starker Country-Bluegrass-Song mit Jodel-Einlage, Banjo-Solo und zwei - offenbar nicht nur stimmlich - harmonierenden Künstlerinnen. Wie die Dialoge im Intro und Outro beweisen, hatten die Ladies bei der Neuaufnahme des mittlerweile 43 Jahre alten Klassikers richtig Spaß.
Linda Feller grüßt die Leser von CountryMusicNews.de
"35 Jahre - Das Jubiläumsalbum" findet den Nenner von Country, Schlager und Pop
Nun ja, so einen Song, so ein Song-Event an den Anfang eines Albums zu stellen, hat seine Vorteile. Natürlich, so ein Track entfaltet eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Andererseits liegt damit die Messlatte für alle weiteren Titel schon sehr hoch. Um einem Vergleich elegant aus dem Weg zu gehen, schlägt Linda Feller im nachfolgenden Titel "Hätt' ich ein andres Herz" andere Töne aus einer anderen Kategorie an: Die Christoph Leis-Bendorff- und Rudolf Müssing-Komposition bietet romantischen, durchaus anspruchsvollen Schlager-Pop mit Gänsehaut-Melodien, klasse Gitarren-Solo und einer gehörigen Portion Pathos. Wer schwelgen will, der schwelge!
Auch auf den weiteren Titeln der CD schlendert Linda Feller durch die artverwandten Terrains. "Ab jetzt" bietet gefühlvollen Pop, "Jugendliebe" hat alles was ein guter Schlager braucht (und dazu Ute Freudenberg als Duett-Partnerin), "Ich hätte Dich noch länger lieben können" findet den gemeinsamen Nenner von Country und Schlager, bei "Liebe ist ein andres Wort für Wahnsinn" gibt sie die feminine Antwort auf Max Giesinger und bei "Auf Eis gelegt" zeigt Linda Feller, dass sie auch formidabel rocken kann.
Dass sie Country im Blut hat, weiß man längst. Mit ihrer so authentischen und gefühlvollen Interpretation des Gretchen Peters-Songs "On a Bus to St. Cloud" beweist sie es erneut: Das kann man nicht lernen. Das hat man oder man hat es nicht. Linda Feller hat es.
Fazit: Zum Jubiläum bietet Linda Feller auf "35 Jahre - Das Jubiläumsalbum" ein gelungenes Crossover aus Country, Pop und Schlager - und präsentiert dazu Star-Gäste wie Dolly Parton. Das muss ihr erst jemand nachmachen.
Label: AGR Television (Soulfood) | VÖ: 25. September 2020 |
01 | Apple Jack (mit Dolly Parton) |
02 | Hätt' ich ein andres Herz |
03 | Turn Your Radio On / Schalt' Dein Radio ein (mit Ray Stevens) |
04 | Country-Medley (Liebe wie im Rosengarten, Tanzen mit dem Wind, Engel lieben meist die Falschen, Appartement 94, Ich schlaf in deinem T-Shirt, Andre Mütter haben auch ein schönes Kind, Blue Bayou) |
05 | Ab jetzt |
06 | Rocky (mit Dickey Lee & Charlie McCoy) |
07 | Liebe ist ein andres Wort für Wahnsinn |
08 | Jugendliebe (mit Ute Freudenberg) |
09 | Ich hätte Dich noch länger lieben können |
10 | On a Bus to St. Cloud |
11 | Auf Eis gelegt |
12 | Mein letzter Freund (mit Muck) |